Kölner Debütantinnen Ball 2013 – Abschluss und Leben

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  25. März 2013, 10:32  -  #Kommunikation

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Als junger Vater macht man viel mit: Schwangerschaft, Geburt, Schwiegereltern, Kindergartenfeste, Einschulungen, Schulfeste, Elternabende, Aufführungen (jeglicher Art), Sportveranstaltungen und Abschlussbälle.

Abschlussbälle? Genau, Abschlussbälle! Ich hatte es auch Zeit meines Lebens geschafft diesem Gespenst aus dem Weg zu gehen. Die Vorstellung zu schlechter Musik, mit einem noch schlechter aussehenden Mädchen, zu tanzen, hat mir schon immer Angst bereitet. Außerdem war ich in während meiner Jugendzeit ehr auf der Suche nach neuen Grenzen und unkonventionellen Erfahrungen und hatte leichte Probleme mit der Kontroll- und Autoritätsorientierung. Um es mal akademisch auszurücken.

Mit anderen Worten:  Meine damaligen Wertevorstellungen entsprachen so gar nicht der der Erwachsenenwelt.  Steckt man in seiner Biographie erst mal ein fest, entwickelt sich vieles in diese Richtung weiter:  Einerseits macht so eine expeditive Haltung als Jugendlicher natürlich erst mal Stress. Die gepflegte Abneigung gegen die Schule und die punkige destruktive Haltung gegen die Zukunft, macht(e) vieles kaputt. Andererseits hat mich die Forderung nach Freiräumen für eigene Kreativität und Wünschen nach unkonventionellen Denkmodellen sicherlich auch zu dem gemacht, der ich heute bin.

Umso schlimmer nun also die Vorstellung, dass ich mich an einem Freitagabend in einen Anzug mit Krawatte stecken muss, miserable Musik von einer drittklassigen Coverband hören würde und mich in konventionelle Wertegespräche, á la „ich musste mir letztes Wochenende beim OBI einen neuen Gartenschlauch kaufen, die 25 m reichten nicht mehr aus“, verlieren werden müsse.

Hinzu die ständige Frage, was ich bei der Erziehung meiner Tochter falsch gemacht habe. Wie konnte es soweit kommen, dass ausgerecht sie, die ich doch immer so tolerant, eben nicht traditionell und wertfrei erzogen habe, auf einmal in diese konservativ-bürgerliche Haltung  verfällt.

Aber so einfach ist das nicht! Die einseitige, optionale Betrachtung der Gegebenheiten reicht für diese Fragen, Erziehungsstile und eigenen Wertewelten nicht aus. Denn um zu verstehen, warum junge Menschen erst mal so gar nicht der heutigen Massenmeinung entsprechen und das sie vermeidlich genau andere Werte habe, als wir damals in den 1980er Jahren ist grundsätzlich falsch. Um dieser Frage nachzugehen muss man einen etwas komplexeren Blick auf die jugendlichen Lebenswelten wagen. Es geht um differenzierte Soziologie. Die sich hier natürlich nicht darstellen lässt.

Zum Glück darf ich mich beruflich mit solchen Fragestellungen beschäftigen und somit habe ich auch an diesem Abend im Gürzenich einen  kleinen „seherischen“ Vorteil, da ich mich in die Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren bereits eingelesen habe! Wer das auch gerne tun möchte, eben um seine Töchter und Söhne besser zu verstehen. Dem sei die SINUS-Jugendstudie u18 empfohlen, die Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Südwestrundfunk und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung entstanden ist. Bestellbar ist die Studie hier:     http://www.amazon.de/Wie-ticken-Jugendliche-2012-Lebenswelten/dp/3776102780/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1364199679&sr=8-1 Grafik_Cover_Sinus-Jugendstudie_2012.jpg

Was verbindet also diese Jugendlichen an diesem Freitagabend im Kölner Gürzenich? Erst mal natürlich eine schöne positive Art von Glück und Aufgeregtheit. Nervös stehen die Jugendlichen im Foyer zwischen ihren Eltern, Tanzpartner, Freunden. Später sieht man einen Anflug von Stolz und Würde in Ihren Gesichter, als sie aufgereiht in den Saal einmarschieren. Erst sehr viel später, als der Mehrzahl der Debütanten und Debütantinnen einfällt, dass man auch Essen und Trinken muss, fallen sie in ein bekanntes Muster zurück. Kurz vergessen sie die verlogene Etikette die ihnen die Tanzschule indoktriniert  hat. Laufen wild in der Gegend rum, in der einen Hand eine Fanta, in der anderen ne‘ Wurst. Auf der Tanzfläche sieht man trotzdem noch jugendliche Paare tanzen. Zwischen den Eltern. Verliebter, verlorener, in einer eigenen Welt. Vielleicht das erste Mal.

Natürlich sieht man hier keine sozial Benachteiligten Jugendlichen und Eltern. Es ist ehr eine Gruppe von Menschen (egal ob Jugendlich oder Erwachsen) die sich an ihrer Leistungsfähigkeit und Bildungsbiographie messen lassen wollen. Das ist erst mal sehr konservativ und mir wird klar, dass ich diesen Wert als Vater auch vermittle. Dabei ist es egal, ob dieser Wert einer intellektuellen Idee Erziehungsidee folgt oder einer kapitalistischen Wertevermittlung entspricht.

Dieser Wert der Erwachsenen vermittelt den Jugendlichen ein Druckgefühl. Das hat erst mal nicht mit „traditionellen“ Werten zu tun, wie wir sie kennen und wie ich diese Veranstaltung wahrgenommen habe. Denn diese traditionellen Werte werden von einem individualistischen Leistungsethos und von hedonistischen ich-bezogenen Entfaltungswerten flankiert.  

Die Lösungsstrategien und Zukunftsperspektiven dieser Jugendliche sind andere als ich/wir sie kenne und beschreiben ganz andere Herausforderungen aber auch Werte. Aus Generation X, wird Generation Y.

Nach dem 6 Kölsch und dem 7 Glas Sekt ist mir das klar geworden.  Mir ist aber auch nochmal klar geworden, wie wichtig es ist überhaupt eine Haltung zu haben:

So setzt ein Abschlussball natürlich auch voraus, dass man(n) tanzt. Sicherlich ein Alptraum für viele der Väter. Für viele aber auch eine denkbar schöne Möglichkeit, sich selbst darzustellen. Schließlich hat man ja erst kürzlich einen Tanzkurs besucht, um altes Erlerntes aufzufrischen. „Seit dem läuft es auch in unserer Partnerschaft wieder besser“ (ich habe solche Sätze gehört an diesem Abend, tatsächlich gehört).

Sinn- und Unsinn des Partnertanzes im Standard oder Lateinamerikanischen Stil hin oder her! Grundsätzlich geht es um Musik! Musik ist die Basis und der Anstoß zum Tanz. Tanz nach meiner Definition ist Ausdruck der Freude oder von anderen Gefühlen, die dann aber lieber von Tanztheater oder professionellen Ballettgruppen aufgeführt werden sollten.

Bacharach276.jpgAls es zum Vater-/Tochtertanz kam, sagte Miss Lomax zu mir: „Du hattest ja bereits getanzt. Wer hätte das gedacht! Aber es wurde ja auch Musik gespielt, die Du sonst immer hörst“.

Genau! Denn auch wenn sich das sehr hedonistisch, sehr weithergeholt und für niemanden nachvollziehbar anhört: Einer meiner Werte ist mein musikalisches Universum! Und wenn in der ersten Tanzsession direkt zwei Burt Bacharach Kompositionen gespielt werden, dann tanze ich auch und setzte mich über alle Werte und Konventionen hinweg, die zerstört werden müssen.

Es hätte schlimmer kommen können! Miss Lomax, die sich diese Fragen hier nicht stellt und auch an einer sozialwissenschaftlichen Betrachtung ihres Milieus kein Interesse hat, war glücklich! Und wissen Sie was: Das ist meine wichtigster universeller Wert!

Alan Lomax

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