Herbie Hancock's Imagine Projekt

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  19. Juni 2010, 09:48  -  #Jazz

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Auch Herbie Hanock wird alt! Im April feierte er seinen 70. Geburtstag. Ich habe allerhöchsten Respekt vor diesem Ausnahmekünstler und Musiker. Wenn ich eine Liste der einflussreichsten Musiker der letzten fünfzig Jahre erstellen müsste, wäre der Pianist unter den wenigen aufzählungswürdigen Einzelpersonen dabei! 

Nun hat Hancock sein „Imagine Project“ veröffentlich. Laut Medien und Interviews, so etwas wie ein persönliches Geburtstagsgeschenk und für ihn enorm wichtiges Projekt. Hancock war noch nie ein Purist bzw. jemand der in seinem Genre verhaftet war. Er war immer auf der Suche nach Fusionen und Grenzgängen zwischen Soul, Funk, Hip-Hop, Pop, Klassik. Die Großtaten im Einzelnen aufzuführen, würde Stunden dauern. Seine Basis, seine Wurzel, den Jazz hat er dabei nie verraten, sondern immer wach gehalten und weitergelebt. 

Herbie Hancock’s Diskografie zu entdecken ist eine Offenbarung. Weil er nicht nur kommerzielles Interesse an Fusionen gehabt, nicht nur musikalisch auf der Suche war, sondern innerhalb der Musik neue Ausdrucksformen und Sprachen in Form von Sound-Spektren gesucht hat. Dabei setzte er immer auch auf die Technik, die andere Jazzmusiker konsequent vermieden und verabscheut haben. In vielen Richtungen kann man Hancock als Pionier bezeichnen und Klassenerster. 

Wer vielleicht keine Zeit hat, die über sechzig weg weisenden Schallplatten zu hören und zu bewerten, dem empfehle ich folgenden Tipp: 

Fangt an mit der klassischen „Maiden Voyage“ von 1965. Dann die elektronischen und avantgardistischen Scheiben die er unter dem Künstlernamen „Mwandishi“ (Künstler) veröffentlicht hat. Interessant sind dann die beiden Platten „The Herbie Hancock Trio“ und die unterschätzte Elektroplatte „Sunlight“ die beide 1977 erschienen sind und seine musikalische Vielfältig am besten in einer kurzen Schaffensphase skizzieren. Ich persönlich sehe hier allerdings ehr eine innere Zerrissenheit, die ich sehr gut kenne und nachvollziehen kann. Die 1983 erschienen „Futur Shock“ ist mein persönliches Hancock Highlight. Eine Bestandsaufnahme aller Musik im populären Bereich, die bis dahin aufgenommen wurde. Ein museales Stück Musik, eine Platte die man auf Marsmission mitnehmen muss, um fremden Kulturen klar zu machen, wozu der Mensch fähig ist. Viele Jahre später, nach etlichen großen Aufnahmen dann „Gershwin’s World“ .  Für mich ein Meilenstein, weil ich bei der CD-Präsentation Herbie Hancock kurz persönlich kennen lernen durfte. Seine Plattenfirma schickte ihn zu Saturn Hansa. Der Weltstar spielte ein paar Hits auf der kleinen Bühne und auf dem eigenens aufgestellten Flügel. Anschließend signierte er die CD. Ehrfürchtig hielt ich ihm meine entgegen. Natürlich wortlos! Aber er ah mir ins Gesicht und fragte mich, ob ich die CD mag. Ich antwortet: „Yeah!“ Soviel fällt einem dann ein, wenn man seinen Helden gegenübersteht. 

Die Gershwin’s World ist ein inhaltliches Vorbild für das neue „Imagine Project“. Auch hier experimentiert Hancock mit unterschiedlichsten Künstlern, nach einem musikalischem Motiv! 

Die vielen Aufnahmen mit allen wichtigen Jazzmusikern und natürlich Miles Davies klammere ich hier auch mal komplett aus, möchte aber gerne noch kurz, bevor ich zum schlimmen Ende komme, die vielen unglaublichen Konzerte erwähnen die gesehen habe. Die Abende haben mich immer wortlos für viele Tage zurückgelassen. Da Hancock live immer ein Weltereignis ist. Kaum einer versteht das Wort Improvisation auf der Bühne besser als er und seine unfassbare Kreativität wird live einfach am vorstellbarsten. 

Mit fällt es sehr schwer alles von Hancock aufzuzählen, damit andere Menschen, sich auch mit diesem Ausnahme Genie beschäftigen. Kurz erwähnt werden müssen aber noch die Soundtracks. „Ein Mann sieht rot“, „Round Midnight“, „Colors – Farben der Gewalt“ und natürlich die beste Musik zu einem der langweiligsten Filme aller Zeiten: Antonioni’s „Blow Up“.     

John Lennon singt in seinem Song „Imagine“ folgendes: 

Imagine there's no Heaven

It's easy if you try

No hell below us

Above us only sky

Imagine all the people

Living for today 

Imagine there's no countries

It isn't hard to do

Nothing to kill or die for

And no religion too

Imagine all the people

Living life in peace 

You may say that I'm a dreamer

But I'm not the only one

I hope someday you'll join us

And the world will be as one   

Zweifelsohne eine der schönsten menschlichen Visionen, genial naiv von Lennon zusammengefasst. 

Hancock steht es zu sich diesen Wunsch anzunehmen und künstlerisch umzusetzen. So hat er sich eine Schar von musikalischen Gästen eingeladen um das Projekt umzusetzten und nach Lennons Ansatz weltmusikalisch zu verwirklichen. Für Radiohörer und „Nokia – Night of the Proms Besucher“ mag sich die Besetzung dann auch wie ein Manifest lesen: Seal, Pink, James Morrison, John Legend, Chaka Khan, The Chieftains, Lisa Hannigan usw. Auch ein paar alte Weggefährten wie Wayne Shorter und Manu Katche sind dabei. Die ganzen Weltmusiker auch! 

Herausgekommen ist leider ein nur sehr oberflächliches Werk zum Nebenbei hören. Hancock schraubt sein Können gewaltig zurück und stellt es in den Dienst der Ideale seiner bzw. Lennons Vision. Vielleicht kommt er seiner Grundidee, dass es keine Schubladen gibt, keine musikalischen Grenzen und jeder Mensch gleich ist, an diesem Punk am nächsten. 

Ich persönlich finde die Platte ärgerlich, da sie die Vision eines Mannes ist, der nicht den unbequemen Weg über die Abstraktion geht, sondern über den Mainstream. Er verkauft sein Talent an den Mainstream und führt die Musik nicht weiter. Aber genau das ist seine Mission. Hancock wurde mit besonderen Genen ausgestattet und somit ist er gefälligst aufgerufen zu versuchen einen Teil der Kunst zu revolutionieren und nicht zu zitieren. Der wunderbare Peter Gabriel Song „Don’t Give up“ steht dafür vielleicht exemplarisch. Auf „The Imagine Project“ gesungen von Pink und John Legend. Sehr schön übrigens, aufgepeppelt mit einigen Pianoharmonien die für 10 weitere Songs reichen. Aber auch unaufgeregt nachgespielt. Eine Beleidigung für Menschen wie mich, die der Musik mehr zu trauen und auf Künstler wie Hancock, auch weiterhin vertrauen. 

Und vielleicht zum Schluss noch ein wesentlicher Faktor warum die Idee dieser Platte eigentlich völlig falsch ist. Lennon hat „Imagine“ bewusst einfach strukturiert und klar formuliert. Damit jeder Mensch die Message versteht! Hanock überfrachtet es nun, der Zusammenhang wird diffus und verfehlt das Ziel. 

Je länger ich darüber nachdenke um so ärgerlicher werde ich. Worte wie „schlimm“, „grottenschlecht“ vermeide ich bewusst. Dafür habe ich zuviel Respekt vor Herbie Hancock und seinem Schaffen. Alles ist gesagt! 

Alan Lomax

 

  

 

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