Familienfest und andere Schwierigkeiten

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  20. Juni 2011, 13:57  -  #Kommunikation

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Eigentlich habe ich mich immer selbst gefragt, warum es Menschen gibt, die Ihre persönlichen Gefühle, Erlebnisse, Erfolge und Niederlage in einem blog posten und somit öffentlich werden. Vor ein paar Jahren haben wir diesen blog aus den bekannten Gründen (Archivierung von Leidenschaften) aus den sprichwörtlichen Angeln gehoben. Ein paar persönliche Erfahrungsberichte gab es, niemals wurden Namen oder Bezüge zu echten persönlichen Menschen genannt. Dies soll so bleiben. Die folgenden Zeilen werden dann auch für „fremde“ Menschen etwas kryptisch, müssen aber genauso geschrieben werden.

 

Die vergangenen fünf Tage waren von langen Reisenwegen, vielen Beobachtungen und sehr persönlichen Gedanken geprägt. Durch eine krude Mischung aus beruflichen Terminen und privaten Verpflichtungen habe ich folgendes erlebt:

 

Die Tortur begann am Mittwochnachmittag. Da ich am folgenden Tag einen geschäftlichen Termin in Hamburg hatte, einige meiner Kollegen eine berufliche Verpflichtung in der selben Hansestadt hatten, war ich bereits so früh in der Woche gezwungen den weiten Weg aus dem Rheinland im Auto auf mich zu nehmen.

 

Die Fahrt mit den Kollegen war von der bekannten gegenseitigen Unsicherheit geprägt. Bloß nicht blamieren, ab und zu mal einen verbalen Test wagen, wie weit man mit seinen Aussagen gehen kann und dann lieber wieder mit seiner Meinung hinter dem Berg halten, um nicht in einen zu persönlichen Diskurs zu tauchen. Nach dem ich Kollegen 1 kurz vor der Hansestadt bei seinen Eltern abgesetzt hatte, fuhr ich mit Kollegen 2 Richtung Reeperbahn. Dort hatten wir uns bereits im Vorfeld in einem billigen Businesshotel eingemietet.

 

Die Tatsache, dass die Lokalisierung direkt auf der sündigen Meile war, hat mir nichts ausgemacht, da ich Hamburg in den vergangen Jahren von den Wurzeln auf sehr gründlich kennengelernt habe. Ich weiß, dass der Kiez nur noch ein Mythos ist und der Hedonismus, dass Geld und die Schickheit der jungen, erfolgreichen Agenturenmenschen schon lange eingekehrt ist.

 

So kam es auch, dass wir in einem edel Chinesischen Restaurant gelandet sind. „All you can Buffet“ für dreißig Tacken, Getränke extra, Süß-sauer wie immer. Alles schön lounig hier, dachte ich, bis mir aufgefallen ist, wie billig und blöd die Möbel, die Verglasung und die Designerlufballon ähnliche Lampen an den Decken eigentlich wirklich ist.

 

Ein Blick zwischen Sushi und Ente trocken auf die Straße, verritt die Realität. Nutten auf den Straßen, Obdachlose die um jeden Euro kämpfen, normale Bürger die ihren Geschäften nachgehen, Fassunglosikeit der Touristen und der Spiesser.

 

Beim kurzen Rauchinterlude auf der Straße, eine Touristengruppe beobachtet, die eine Nachttour durch St. Pauli gebucht hatte. Der Führer hielt eine Ansprache an die Gruppe: „Gerne können Sie während der Tour rauchen, aber bitte werfen Sie keine Kippen auf die Straße, dass kostet 20 Euro, wenn Sie von der Polizei erwischt werden.“ Staunen in der Reisegruppe, auf der anderen Straßenseite kotzte ein Mann gegen eine Zaun.

 

Ich drückte meine Kippe im chinesischen Ascheneimer aus, ging wieder ins Restaurant und bestellte mir noch ein Astra für 4,50 Eur.

 

Die Rückwege auf die sündigen Meilen zum Hotel habe ich schon immer gehasst. Das unerbitterliche, streckenweise unerträgliche und penetrante herantreten der Nutten nervt. Respekt sollte auch hier das beidseitige Zauberwort sein. Privatsphäre auch! Daher anfassen geht auf beiden Seiten nicht. Warum muss ich mir dann ständig auf die Schulter tippen lassen und mir blöde Anmachsprüche anhören, was mit einem anschließenden „Warum seid Ihr heute eigentlich alle so zickig“, quittiert wurde. Nerv. Sicher im Hotel zurück noch ein Weizenbier an der Hotelbar. Vor dem Fernseher in der Bar, sitzen ein paar Geschäftsleute und sehen n-tv. Alle sind eingeschlafen! Ich folge der Idee, nur auf meinem Zimmer.

 

Am nächsten Morgen, die übliche Gafferei im Frühstücksraum. Wochenendtouristen mittleren Alters, die nicht oft in Hotels sind und sich unwohl fühlen. Ein paar Popstars, ein paar Geschäftsleute und ich, der wieder einmal über 20 Euro für ein miserables Frühstücksbuffet ausgegeben hat, obwohl ich morgens maximal einen Kaffee, einen Saft, ein Brötchen und 100 g Rührei esse. Anschließend mein Termin. Alles läuft glatt! Ich habe viel Zeit und gehe zu den Landungsbrücken. Vor einem Riesencontainerschiff aus Brasilien, verkehrt die „König der Löwen Barrake“, im Hintergrund betrachte ich den Fortschritt beim Bau der Elb-Philharmonie. Auf der Steinmauer sitzen ein paar Punks und trinken Bier. Ich genieße die Sonne und entscheide mich ein Cafe aufzusuchen. Einen Espresso und eine Sprite bitte, sage ich zur Bedienung. Wir haben nur Filterkaffee und Zitronenlimo, sagt, die betagte Kellnerin. Super, gerne, sage ich und bin froh, auf der Erde angekommen zu sein. Weil ich den Laden sympathisch finde, entschließe ich mich noch für das Currywurstbuffet, mit zwei Sorten Wurst und genieße den Ausblick auf den Hafen, auf die Touristen und die wunderbare stimmungschwankende Stadt Hamburg bevor ich mich auf den Weg zum Nordseeheilbad Bensersiel mache.

 

Eine verdammte Juckelei ist das von Hamburg an die Nordseeküste. Von wegen, Deutschland ist klein. 100 km Baustelle zwischen Hamburg und Bremen. Ein Kaffe bei MD, hunderte von Jugendlichen die zum Hurricane nach Schessel fahren. Gute Laune, Kleinwagen voller Bier und Einmal-Grills, Neid meinerseits. Ich steuere direkt in einen Tornado, kurz vor Oldenburg. Vielleicht treffe ich Deckard auf der Autobahn, wie er gerade von der Arbeit kommt, denke ich. Leider kein Deckard weit und breit. Kurzfristig werde ich traurig, steuere aber direkt auf Aurich zu bevor ich in das Kaff Bensersiel komme.

 

Es regnet! Ich habe ein Zimmer am Yachthafen! Schön mit Ausblick aufs Meer. Das jedoch zieht gerade Richtung Norden ab. Scheiss Ebbe. Ein erster kurzer Spaziergang auf dem Deich. Dann eine Apfelschorle in einem Kiosk. „Halt Deine verdammte Fresse“ brüllt ein Familienvater, seinen Sohn im Bollerwagen an. Der Vater (Typ Multifunktionsjacke) hat einen hochroten Kopf. Der ungefähr vierjährige Sohn wollte einen Keks. Jetzt  ein Jever denke ich, entscheide mich dann aber doch erstmal für einen Zeitungskauf (mare, wie orignell) und ein Souvenir (Frisischer Tee) bevor ich eine Pizzeria aufsuche. Ein Glas Weißwein (einige weitere folgen) und eine Lasagne. Ich checke meine Mails auf meinem BB, lese ein wenig in dem Meermagazin und beobachte, die Paare um mich herum. Vor mir und neben mir, sitzen jeweils Ehepaare mittleren Alters, vielleicht etwas jünger als ich. Beide Paarungen wechseln nicht EIN Wort miteinander. Erst als eine Möwe auf eine der Laternen des Restaurants landet, sagt einer der Männer zu seiner Frau, oh schau mal eine Möwe. Ich den Gesichtern der Frauen lese ich, dass sie sich fragen, warum ich wohl alleine bin. Mitleid und Neid vermischen sich in ihren Gesichtern. Ich fühle mich wohl, bevor ich in mein Hotelzimmer gehe.

 

Auf dem Balkon mit Blick auf den Hafen, gönne ich mir ein weiteres Jever, rauche ca. 10 Zigaretten und Blicke aufs Meer. Das kann ich stundenland tun, ohne dass etwas passiert. Ich fühle mich seit Tagen das erste Mal glücklich und entspannt, kein menschlicher Ton.

 

Am nächsten Morgen im Frühstückssaal das gleiche Spiel wie am Morgen davor. Nur, dass ich der einzige allein Reisende bin. Unsicherheit, arrogante Blicke, abfällige Gesten! Ich habe gute Laune und puste ein fröhliches „Guten Morgen“ in den Saal, keine Antwort, einige der Zombies sehen mich an..

 

Ich nehme mir die bekannten Cerealien und lese in „Der Welt“ einen Artikel über Bon Iver. Bevor ich auschecke, spreche ich mit dem Kellner über die Kurtaxe. Ein netter Typ, der endlich mal froh war, etwas anderes zu sagen, als Kaffee oder Tee!

 

Fährhafen! Ich bin 2 Stunden früher dort als verabredet. Ich kenne meinen Vater. Dieser hat gerade mit meiner Mutter den Urlaub auf Langeoog beendet. Ich hole sie ab, wie vermutet haben sie die frühere Fähre genommen. Bevor wir ein „Guten Morgen“ austauschen konnte, sagte mein Vater bereits, „ich hole mal das Gepäck“. Woher habe ich eigentlich meine gute Erziehung denke ich.

 

Die Rückfahrt ins Rheinland ging zügig. Mein Vater erzählte mir 4 Stunden seine Lebensgeschichte, meine Mutter schwieg. Kurzes Intermezzo auf einer Raststätte. Viele Probleme mit den Sanifair-Klos seitens meiner Eltern. Ich habe ihnen nicht geholfen. Eine kleine Rache, für so viel Undankbar- und Unfreundlichkeit muss sein.

 

Dann Ankunft zuhause. Der Grund ein Familienfest. Die Taufe meiner Tochter. Der Alptraum beginnt, denn es ist eigentlich so, dass ich Familienfeste mag und ich es liebe Besuch zu haben. Es aber nicht leiden mag, wenn es keine Leidenschaft gibt. Und damit sind wir wieder bei den Ursprüngen dieses blogs und meiner generellen Unzufriedenheit. Es wird einfach nicht das zurückgespielt, was man gibt und jeder beschäftigt sich mit sich selbst.

  

Obwohl ich meinen Probleme mit dem lieben Gott haben und noch viel mehr mit dem Thema Religion als Gemeinschaft, hat der Pastor am Sonntag einen interessanten Satz gesagt: „Wer keine Fragen stellt, bekommt auch keine Antworten!“.

 

…und so werde ich dann auch lieber weiterverfahren! …diesen Artikel nicht weiterfortsetzen, weil es eben um die Taufe meiner Tochter ging und nicht um den Rest des Lebens. Miss Lomax ist glücklich, stellt Fragen und ist sowieso großartig, daher auch keine weiteren Worte zu meiner gänzlich uncoolen entfernten Familie.

 

Beschäftigen wir uns lieber mit der evangelischen Kirche und der Idee sein Kind in diesen Zeiten taufen zu lassen. –übrigens nur fortgesetzt, weil ich gerade einen Anschub von Mrs. Lomax bekommen habe und sie meint das dieser Eintrag, sie an einen anderen zeitgenössischen Nörgler erinnert, der zwar ein weltberühmter Literat ist, mir aber nicht ganz geheuer erscheint-

 

…ich habe meine Tochter nicht taufen lassen! Sie hat sich taufen lassen! Mit anderen Worten, die Kirche ist ganz alleine zu Miss Lomax gekommen. Ich erziehe meine Kinder bei der Frage nach Gott, gewissenhaft nach der Masterfrage, die auch bereits ein fünfjähriger beantworten kann: „Glaubst Du wirklich, dass ein Gott diese Welt in ein paar Tagen geschaffen hat oder glaubst Du das wir Menschen vom Affen abstammen und wir uns permanent weiterentwickeln?“.

 

Oh mein Gott, wird jeder Theologe nun sagen. Didaktisch ist das natürlich stark vereinfach, aber es ist ja auch nur ein kleines Beispiel von 30 Sekunden, in einem gesamten Erziehungsprozess von 18 Jahren! Schonmal drüber nachgedacht, wenn man so Beispiele liest, ist nicht immer alles genauso, wie es da steht!

 

Miss Lomax hat sich nun also für die Kirche selbst entschieden und ich bin nicht der jenige der es ihr austreiben würde. Somit bin ich auch ehr der Typ: „Gottesgläubiger Zweifler, der Religion als Unfrieden empfindet, die Werte dahinter aber schätzt.“ Was mir an dem Thema Kirche, Glauben und Religion gefällt ist der Reaktionimus, der in der heutigen Zeit, lustiger Weise, in umgekehrter Form in dem Themenkreis (Triangle) steckt. Denn die ganzen „aufgeklärten“ Menschen, Freunde, Bekannte und Kritiker um mich herum sind weitestgehend ungläubig. Aber kaum werden Gespräche darüber geführt. Ehr Abfälligkeiten, wie, dass das alles Scheiß ist, Betrug, alle Menschen die in die Kirche gehen, Abseitige sind und andere Menschen die an einen Gott glauben, entweder Kinderschänder oder Terroristen sind. Was völlig vergessen wurde, ist die Spiritualität die hinter dem Kerngedanken stehn und die Werte die eine Kirche, ein Glaube, ein Gott vermitteln kann und eigentlich auch ursprünglich tut.

 

Im Kern und Zusammengefasst (einige meiner Bekannten werden nun nicht glauben, was sie hier lesen) ist es genau das, was wir hier immer kritisieren und mit dem Ausspruch des römischen Stadtschreibers „...jeder ist sich seines Glückes eigener Schmied“, zum kritischen Leitspruch mainfestiert haben! Die Intoleranz, der Neid, die Ignoranz, die fehlende Fähigkeit zum Diskurs, zum sich mit etwas auseinanderzusetzen, die fehlende Leidenschaft und die fehlende Empathie.

 

Das Problem, aber ist natürlich die Instanz Kirche in seiner träge Form und die merkwürdige Verlogenheit (vielleicht nicht das richtige Wort) bzw. Altertümlichkeit, vielleicht auch Naivität.

 

Und diese Naivität lässt sich am Besten mit der Tatsache erklären, dass die mir liebste Hälfte der Familie ein bemerkenswertes Zeichen im Gottesdienst setzte und Leonard Cohens Hallelujah gesungen hat. Was wirklich wunderschön war, wenn man nicht geistlich ist. „I'll stand before the Lord of Song / With nothing on my tongue but Hallelujah”, singt Cohen (und da danach viele andere) in diesem aussergewöhnlichen Song, der eigentlich ein Liebeslied ist und gottgleiche Liebe zu einer Frau ausdrücken soll und eben nicht die Liebe zu Gott! Famos denke ich, wie immer wenn alles falsch interpretiert wird, man sich aber auch nicht damit auseinandersetzen muss/will. Verstehen Sie was ich meine? Ein Beispiel:

 

Stellen Sie sich vor gegen 14:30 Uhr sagen, Sie zu irgendjemand, puh, jetzt bin ich aber Müde und habe einen Durchhänger. Der andere sagt dann zu Ihnen: „Dann trink doch einen Kaffee“. Blöder geht es ja nicht, denn auf die Idee mag man ja zu 99% schon selbst gekommen sein. Trotzdem redet man immer wieder diesen Irrsinn, diese total unsinnigen Zeilen. Immer wieder, jeden Tag, anstatt sich mal die Frage zustellen, was „Hallelujah“ von Cohen, im Zusammenhang mit der besseren Version von Buckley, eigentlich soll, warum der Text kritisch ist, wenn er aber in der Kirche gesungen wird, einfach nur spirituell wirkt, nur wegen dem Wort und warum Menschen nicht in der Lage, sind den Menschen, die das Talent haben, soetwas wunderschön vorzutragen, nicht einfach sagen, dass das wunderschön war. UswUsw.

 

Macht es nun Sinn sich ständig über alles aufzuregen oder ist das Aufgregen nur ein Reflektieren, ein ständiges Nachgedenke, eine ständige Unzufriedenheit oder eine eigene Sympotomatik, die sich von selbst nicht klären lässt. Ich habe das Gefühl, dass wir derzeit in einer gesellschaftlichen Hauptprobleamtik leben: Die Leute wollen ihre Ruhe haben, jeder für sich alleine. Keine Gespräche, keine komplizierten Themen und vor allen Dinge keine Zeit für Gedanken. Dann doch lieber Ablenken mit Sport und gesundem Essen und weiteren Terminen, gehetzt von Ort zu Ort ohne darüber nachzudenken, was die wirklichen Werte sind. Auch wenn man sie selbst nie erfahren hat,  aber trotzdem um sie kämpft. Gerne!  

 

Alan Lomax

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