Claus Ogerman CITYSCAPE Michael Brecker
Frank Sinatra ist häufiger Ausgangspunkt für die Suche nach neuer Musik und so kam es, dass ich in Zusammenhang mit ihm an Claus Ogerman dachte, der jüngst ein Album zusammen mit Diana Krall produziert und aufgenommen hatte. Bereits in der Kollaboration mit Jobim war mir Ogerman näher gekommen, aber bisher fand ich wenig Zeit weitere Alben von ihm zu hören. Nun bin ich ein grosser Bewunderer der non-vocal Music, oder der Instrumentalmusik um es anders zu formulieren und diese Form der Musik hat ein lange Tradition, die immer wieder in Vergessenheit gerät. Jüngst war John Zorn in einer der letzten Ausgaben der 'Jazz Thing' der gleichen Auffassung. Sie hat die gleiche Berechtigung wie vocal music, ist aber in der Regel "schwerer" oder nicht immer einfach zugänglich. Ich war ihr immer etwas mehr zugetan, da die Versenkung in diese Musik eine Art Entspannung herbei führt, die ich sonst in der Musik nicht finde.
Ich finde Musiker beachtens- und bemerkenswert, die in ihrer Laufbahn versucht haben verschiedene musikalische Stile miteinander zu verbinden. Nun ist die Zusammenarbeit zweier Musiker und die "Fusion" verschiedener Musikrichtungen wie orchestraler Musik und Jazz wie in diesem Fall die von Ogerman und Brecker nicht neu ('Charlie Parker & Strings', 'Gil Evans & Miles Davis') aber in ihrem Ergebnis unglaublich schön. 1982 spielten beide Musiker zusammen mit Marcus Miller (Bass), Eddie Gomez, Steve Gadd und Warren Bernhardt (Keyboard, Klavier), John Tropea (Gitarre) und dem Percussionisten Paulinho da Costa dieses Album ein, welches von Tommy Li Puma produziert wurde und aufgenommen von Al Schmitt.
Musikalisch gesehen ist es sicherlich nicht einfach ein Saxophon mit grossem Orchester zu kombinieren, aber es gelingt hier Ogerman auf bestechende Weise. Das Orchester hält sich gekonnt zurück um dem Solisten die nötigen Freiräume zu liefern, die Brecker mit unglaublicher Sensibilität und sehr viel Einfühlungsvermögen ausfüllt. Zum einen erinnern die komplexen Arrangements von Ogerman häufig an klassische Musik, zum anderen liefern sie auch einen Hintergrund der auf dem Jazz fusst. Die Grundstimmung des Albums ist erwartungsgemäss keine joviale, sondern eher ruhig, leicht melancholisch und in gewisser Weise ätherisch. Die vorrangige Tonart ist Moll und es gibt selten Momente der Befreiung, als dass man tief durchatmet und sich in den Höhen wieder findet, die ein Burt Bacharach in der Lage ist zu erzeugen.
Sehr viel haben mich die Kompositionen an den Stil und die Arrangements eines Gil Evans erinnert: alle Stücke auf dem Album muss man mit Hingabe und Konzentration hören, das ist definitiv keine Lounge oder Chill Musik, erst dann entfaltet sich ihre volle Schönheit. Das Album beginnt mit einem durchgehenden Ton des Orchesters und sofort setzt Brecker mit seinem Tenorsaxophon auf dem Titeltrack 'Cityscape' ein. Was mich an dem Album berührt ist die hoch ästhetische Spielweise von Brecker und vor allem sein Ton, der klar, sauber und einladend klingt, hochemotional alles in allem. Wenn dann die Blechbläser ganz zart im Hintergrund Brecker unterstützen, dann ist das ein unfassbar schönes Hörerlebnis. Sehr häufig kommen Erinnerungen hoch an 'First Light' von Freddie Hubbard.
Aber auch die Rhythm Section einer klassischen Jazz Band kommt nicht zu kurz. Auch hier funktioniert die Symbiose zwischen allen Musikern ganz hervorragend. Brecker lässt sich nicht bändigen und spielt in einem Fluss mit wundervollen Soli und gerade in diesen Momenten sind nur Klavier, Bass und Schlagzeug hörbar. Am Ende der Exkursionen steigt das Orchester wieder langsam ein. Insofern ergeben die expressive Spielweise von Brecker und das eher zurückgenommene Orchester, introvertiert wäre hier nicht passend, einen wunderbar harmonischen Kontrast.
Absoluter Höhepunkt des Albums ist nach dem fast nur vom Orchester gespielten ruhigen aber auch zeitgleich imposanten 'Habanera' mit seinen dezent lateinamerikanischen Rhythmen das Stück 'Nightwings'. Die Stimmung ist im Gegensatz zu den dunkleren, gemässigten Tönen eher etwas farbenfroher und auch melodischer. Klavier und Bass leiten ein und die Streicher übernehmen sogleich die Melodie und man wird unweigerlich in die Zeit versetzt in der diese Musik ihre Höhepunkte erlebte, den 60'er Jahren. Sehr stimmungsvolle und einschmeichelnde Musik, die Sehnsüchte kreiert und beruhigt. Auch Brecker nimmt sich dieser Stimmung an und spielt warme Töne ganz im Kontext der Musik. Überhaupt sind seine solistischen Ausflüge nie abgehoben oder überheblich, man kann ihm immer gut folgen. Warren Bernhardt übernimmt und spielt ein kleines Solo. Sehr interessant, gerade bei diesem Stück, wie das Orchester und das Saxophon harmonieren.
Die Platte endet dem absolut hörenswerten 3-teiligen Stück genannt "In the Presence and Absence of each other, Part 1-3", welches gerade im ersten Teil deutlich an Fahrt aufnimmt und Brecker an Tempo zulegt, unterstützt von Bass und Percussions.
Ich liebe solche Musik, gerade jetzt in der kalten und dunklen Jahreszeit, das sie die einem umgebende Stimmung perfekt wieder spiegelt. Es ist Musik die sehr entspannend wirkt, einen zur Ruhe kommen und viel Raum für Assoziationen jedweder Art lässt. Das gerade ist für mich an der Musik immer wieder faszinierend. Die Abstraktionen die die Musik hervorrufen kann ist mitunter eine sehr spannende Erfahrung.
Wenn Zeit und Muße es zulassen werde ich mir in den nächsten Wochen 'Symbiosis' anhören, ein Klavierkonzert welches Ogerman für den überragenden Bill Evans schrieb.
Leider habe ich bei youtube keinen Verweis auf 'Cityscape' gefunden, aber auf das folgende Stück grossartiger Musik. Dave Grusin, die New York Big Band & Michael Brecker. Vielleicht erkennt jemand auch die Melodie?
Rick Deckard
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