Chano Domínguez - Flamenco Sketches

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  14. März 2012, 20:44  -  #Jazz

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Was für ein cooler Typ. Aber nein! Das Wort trifft es nicht im Sinne eines Miles Davis. Was für ein heisser Typ dieser Chano Domínguez!

Fusion zwischen Flamenco & Jazz

Der Jazz bringt immer wieder leuchtende, wilde, farbenprächtige Stilblüten hervor. Flamenco Sketches ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass Jazz frei ist: unbestimmbar und keinen Regeln unterworfen. So war es immer in der Geschichte dieser Musikgattung und so wird es immer sein. Jeder der meint, Jazz sei tot, der möge sich dieses Live Album anhören. Es sprudelt über vor Leben, Innovationen und Selbstbewusstsein.

Wir haben es hier mit Fusion zu tun. Zwei musikalische Stile, besser Musikgattungen werden miteinander verwoben. Flamenco und Jazz? Geht denn das überhaupt? Es funktioniert und wie! Ich selbst gebe zu: für den Bruchteil einer Sekunde war ich erschrocken, als diese typischen Gesänge plötzlich aus dem Nichts auftauchten. Je weiter die Musik jedoch voranschritt, desto selbstverständlicher wurde alles. Die Gegenfrage lautet: Warum nicht?

Der Flamenco-Jazz hat seine Ursprünge in den 60'er Jahren und wurde seit den 80'er Jahren stetig vorangetrieben. Flamenco Nuevo: Musikalische Ideen, Rhythmusfiguren und bestimmte Tonfolgen des Flamenco werden verbunden mit spielerischen Eigenheiten des Jazz. Das schafft sehr eigenwillige und auch eigenständige Stücke, die einer verführerischen Attraktivität keineswegs entbehren.

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Der Flamenco ist eine aus Andalusien stammende traditionelle spanische Musik mit einer grossen Anzahl an kulturellen Einflüssen. Seine wesentlichen Elemente sind der Gesang, das Instrumentalspiel, das Spiel auf der Gitarre und der Tanz, nebst dem bekannten Händeklatschen. Dieser Gesang, besser die Melodie, die auf einer Silbe gesungen wird ist schwer zu verstehen. Aber das hindert keineswegs daran diese Musik gerade in Verbindung mit dem Jazz zu hören. Im Gegenteil: es eröffnen sich neue Horizonte!

Wenn man sich nun überlegt, dass Domínguez diese Traditionen auf 'Flamenco Sketches' mit dem Klassiker des Jazz schlechthin verbindet, nämlich 'A Kind Of Blue', dann will man meinen, das sei ein Ding der Unmöglichkeit. Aber wie sagte einst Napoleon: "Impossible is a word in the dictionary of fools!"

Das Album

 

Jeder, der sich die ersten 5 Titel ansieht wird erstmal denken: Oh Nein! Nicht schon wieder! Bitte nicht 'A Kind Of Blue'! Ruhig Blut. Ruhig Blut? Ihr Blut wird kochen, wenn Sie diese Interpretationen hören! Auch ich war skeptisch, aber diese Skepsis verflog binnen Sekunden nach den ersten Takten. Was Domínguez und seine Sidemen hier zaubern ist schlicht unfassbar. Wie gerne wäre ich bei dieser Session live dabei gewesen!

Jazz ist eine Musik des Moments, des Augenblicks. Dieser eine Moment wird hier wirklich zelebriert. Ein Feuerwerk. Explosionen in allen Farben:

1: Flamenco Sketches

 

Wunderbarer introvertiert-romantischer Beginn mit weichem Anschlag in Moll Tönen voller Sehnsucht. Dann wechselt die Klangfarbe, das Spiel wird schneller. Ab 4:20 min. der typische Gesang. Veränderung des Tempos und zum Gesang passende Rhythmusfiguren dominieren das Bild. Hüpfend-perlendes Klavierspiel. Hoch interessante Kontraste von Gesang und Jazz. Ab 7:00 min. Handclapping. Es entsteht eine ungeheure Dynamik, interessanterweise auch Swing, ein essentieller Bestandteil des Jazz. Fantastisch wie das Idiom des Flamenco in das Klavierspiel eingebracht wird. Die Rhythmusgruppe peitscht den Solisten voran. Die Hitze wird spürbar. Das sind keine Sketches, sondern ein vor Farben sprühendes Gemälde. Das ist ein Opener!

 

2: Freddie Freeloader

 

Ein bluesiges Intro. Bass Akkorde am Klavier - stampfende Füsse - tanzbarer Jazz. Was für eine furiose Eröffnung bis die bekannten Töne zu Freddie Freeloader erklingen. Ich musste lachen: Spielwitz und Leidenschaft. Liebe zur Musik. Unglaubliches Drumming. Solist und Rhythmusgruppe feuern sich gegenseitig an. Ständig wechselnde Rhythmen. Die Beine wippen mit. Grossartige Synkopierungen! Immer wieder dieser Flamenco im Hintergrund. Die Band erweist 'A Kind Of Blue' Respekt, aber nicht voller Demut, sondern im Geiste von Vollblut-Jazzmusikern. Miles Davis hätte es gefallen!

 

3: Blue In Green

 

Es wird ruhiger. Wieder trifft der Gesang auf das Klavierspiel. Es ist kein Kontrast sondern eine gefühlvolle Ergänzung zum Erstaunen. Sehr emotionales Spiel, virtuos und reich an Ornamentierung. Ein wahrer Virtuose, dieser Domínguez.

 

4: So What

 

Und wieder diese eigenwillige Interpretation. Clapping. Treibender Rhythmus. Jazz-Historie und Flamenco Tradition stetig in einander fließend. Das ist Jazz: Hitze. Tanz. Eruption. Mitreissend! Unfassbare Temposteigerungen mit unbändig-entfesseltem Spiel. Sagenhafte Rhythmen. Geradezu eine Provokation. Selbstbewusst springt er mit unantastbarem um und schreit hinaus: Seht her, so geht es!

 

5: All Blues



Yeah! Fingerschnippen. Loslassen. Immer wieder bringt mich Domínguez zum schmunzeln. Solist und Rhythmusgruppe in Symbiose. Spielfreude pur. Der Bass! Grandios. Der beste Track des Albums, definitiv.

Mit frech-spielerischer Leichtigkeit und Naivität wird 'All Blues' interpretiert.



6: Nardis

Fast rockige Akkorde nach temporeichen Intro. Bis gespannte Saiten eine ganz andere Farbe und Rhythmus intonieren. Wir hören hier selbst nordafrikanische Klangmuster. Sensationelles Spiel, was für eine Geschwindigkeit! Ein unglaubliches Stück Musik.


7: Serpent's Tooth



Nach einem par force Ritt lassen es Domínguez und seine Band locker ausklingen.



 

 

 

"Oberflächlich betrachtet sind Flamenco und Jazz sehr unterschiedlich, im Kern sind sie einander jedoch recht ähnlich. Beide entstammen Kulturen von Menschen, die es schwer haben im Leben. Jazz fängt bei den Afroamerikanern an, beim Blues und der Absicht, sein Glück und seine Traurigkeit auszudrücken - und im Flamenco ist es genauso."


Chano Domínguez, Magazin Downbeat, 2009.


 

Rick Deckard

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