Lit.Cologne – Gereon Klug und Jan Weiler – 11.03.2024
Das Internationale Literaturfestival Köln findet stets auf einem schmalen Grat zwischen Anspruch und Größenwahn statt. Die ureigene Idee eines Festivals, nämlich dem Publikum die Gelegenheit zu bieten, Neues und Visionäres kennenzulernen, wird hier gelebt. Doch der weiterführende Gedanke, dass bekannte Autorinnen oder Prominente weniger bekannte Autoren oder Kreative vorstellen, führt oft zu stilistischen Blüten, die zwar Einblicke in das Leben und Werk der seit Jahrzehnten in verschiedenen Subkulturen verwurzelten Künstler rechtfertigen, aber häufig an mangelnder Lust oder Wissen seitens der Kuratoren oder des Publikums scheitern.
Ein nahezu geniales Beispiel dieses Scheiterns erlebte gestern das übliche Publikum der Lit.Cologne im Kölner Tanzbrunnen bei der Veranstaltung "Hier prosteten sich Hirn und Zweck zu: Gereon Klug und Jan Weiler über die Nachteile von Menschen".
Jan Weiler ist leicht zu erfassen. Ein intellektueller, freundlicher Schriftsteller, der mit Romanen wie "Maria, ihm schmeckt’s nicht" Erfolg erlangte und als Chefredakteur bei der SZ tätig ist. Ihm gegenüber stand Gereon Klug, den ich hier nicht näher erläutern muss, da er bereits auf Pop- und Subkultur-Blogs bekannt ist. Klug hat gerade sein Buch "Die Nachteile von Menschen" im Ventil Verlag veröffentlicht, und dieser hat den Marketing-Coup mit Jan Weiler bei der Lit.Cologne gelandet. Vielleicht auch, weil Klug bald dem Mainstream entgegenschwimmt und in der ARD den King, nämlich Rocko Schamoni, in seiner Supershow begleiten wird.
Der NDR war schon immer wohlgesinnt gegenüber Hamburgs Subkultur. So konnten wir beispielsweise Heinz Strunk und Jacques Palminger einige Male im Großstadtrevier sehen und weitere in Filmen des großartigen Lars Jessen, im Tatort bis hin zum Polizeiruf 110.
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© Claudia Höhne Was war das denn?! Ein Sturm, ein Meilenstein, ein Manifest, eine bedeutende Fernsehsendung die sich mit Popmusik auf aller Höchstem Niveau versteht und verstehen lässt!? Ja, ge...
Diese Verbindung der sogenannten Hamburger Szene (auch bekannt als Schule) wurde immer wieder versucht, und ich finde, dass es erwähnt werden sollte. Es ist auch kein schlimmes Experiment, denn vielleicht gehören sie alle - von Carsten Meyer-Ralf Husmann bis zu den Belton-Brüdern und Carsten Friedrich (Superpunk, DLDGG) - mehr zum Mainstream, als bisher angenommen wurde. Denn wer behauptet schon, dass Projekte wie FRAKTUS, Die Goldenen Zitronen oder Coolhaze (Schauspielhaus) schwer verständliche Kunst sind? Genau, das sind sie nicht.
Und genau mit diesem Gedanken und völlig unvorbereitet, bestreitet Jan Weiler seine Moderation. Natürlich gehört auch er nicht zu den wenigen, die Platten sammeln und zweimal pro Woche Konzerte besuchen, und er bietet seinen Kindern eher konventionelle Tagesabläufe. Im Gegensatz dazu geht Klug mit seinen Kindern auch mal zu einem Deichkind-Konzert, für die er als Texter und Autor tätig ist.
Es sind Dialoge wie diese, die einen generativen Alptraum entwickeln. Zwei Menschen sprechen miteinander, die unterschiedlich positioniert sind in der Welt der Kunst. Der eine (Klug) spricht von Entstehungsprozessen und zugrunde liegenden Ideen, der andere (Weiler) betrachtet diese Welt als Norm oder Produktlebenszyklus.
Das ist nicht schlimm, denn das sind eben die Nachteile der Menschen. Und so wird der späte Nachmittag doch noch sehr amüsant, denn Weiler ist klug genug, um diese Divergenz zu verstehen. Er hält sich zurück und überlässt Gereon Klug das Feld. Dieser wird mutiger und zitiert aus seinen Schmähkritiken, zeigt Skizzen und Bilder von Carsten "Erobique" Meyer und erzählt aus seiner Zeit als Plattenhändler (Hanseplatte alias Hans E. Platte) und Tourmanager, dabei wunderbar unaufgeregt und seltsam überzeugend.
Zuschauer, Moderator und auch Gereon Klug wissen während dieser 90 unterhaltsamen Minuten, dass sie hier eigentlich nicht hingehören, was sie jedoch gleichzeitig zu einem Kollektiv macht. Zu einer Union von Menschen auf Zeit, die rein von ihren Interessensgebieten her nicht zusammenpassen und sich auch so nicht wieder treffen werden. Denn bei allem Respekt können sie uns Popkulturnerds alles unterstellen: Oberflächlichkeit, Beliebigkeit, mangelndes tiefgehendes Wissen zu speziellen Themen, verträumte Romantik, Taugenichtse und fröhliche Idioten. Aber eines können sie uns nicht nehmen: unser Geheimwissen, dass wir uns über 30 Jahre Popkultur angeeignet haben.
Es ist die Leidenschaft, die uns antreibt (Thees Uhlmann).
Aus Altona grüßt Alan Lomax.