Christian Sands Trio - King Georg - Köln - 05.02.2022

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  2. April 2022, 15:57  -  #Konzerte, #Jazz

Bildquelle: Wikipedia

Bildquelle: Wikipedia

"Was, wenn ein Symphonieorchester bestrebt wäre, nur zur letzten Coda zu kommen? Was würde dann aus der Musik? Ein einziges Getöse, das so schnell wie möglich endet. Die Musik liegt aber im Prozess, in der Entwicklung - wenn man sie beschleunigt, vernichtet man sie. Dann ist die Musik vorbei."

Philip K. Dick (1928 - 1982), US-amerikanischer Schriftsteller.

 

Jazz. Live. In Köln. Dann noch in einem Club, der den gleichen Namen trägt, wie meine ehemalige Highschool.

 

Ich war sehr aufgeregt an diesem Abend. Das letzte Jazz Live Konzert lag lange hinter mir (Wayne Shorter in der Kölner Philharmonie). Nach einem entspannten Spaziergang im Eigelstein und ein paar Drinks Anstellen bei kaltem Februar-Wetter in Zeiten der Corona-Pandemie.

 

Ich interessiere mich für das Publikum bei einem Konzert genauso, wie für den Künstler und die Musik. Aus der Menschenansammlung in der Warteschlange vor dem King George konnte ich mir keinen Reim machen. Entspannte Großstädter, die am Abend relaxen wollten? Liebhaber des Jazz? Neugierige? Hipster? Reiner Zeitvertreib? Jazz-Polizei? Eines muss man bereits vorwegnehmen: Das Publikum war ausserordentlich diszipliniert und huldigte respektvoll dem Pianisten.

 

Christian Sands war Neuland für mich. Alan Lomax hatte die Karten - in seiner berühmt mystisch-kryptischen Art - angekündigt und organisiert. Ich ging unbedarft an das Konzert. Ich halte nichts davon, vor einem Konzert im Internet zu recherchieren, die Musik alleine muss für sich sprechen.

 

Das tat sie an diesem Abend, und wie!

 

Das King Georg gefiel mir auf Anhieb. Ein perfekter Club, um Jazz nicht nur zu spielen, sondern auch zu zelebrieren. Nach dem Betreten steht man vor einer großen Bar, an der man rechts und links entlang zur Bühne gelangen kann. Wir blieben hinten und genehmigten uns ein paar weitere Drinks auf Gin Basis mit irgendeiner Pflanze in der - wie ich später erfuhr - sehr viel Koffein enthalten sein soll. Das erklärte den Zustand später an diesem Abend.

 

Nach einer kurzen Ankündigung erschien Mr. Christian Sands mit seinen Sidemen auf der Bühne: Bassist Yasushi Nakamura, der nach dem Konzert eiligst verschwand und Drummer Clarence Penn, mit dem ich kleine Konversation nach dem Konzert führen durfte. Beobachter vor Ort waren anderer Auffassung: Sie meinten ich hätte den Schlagzeuger mit einem leicht erhöhten Alkoholpegel "vollgequatscht". 

 

Ich muss die Pointe vorweg nehmen: Jazz ist die Musik des Augenblicks. Es ist Musik der Gegenwart. Musik in einer Stimmung zu einem bestimmten Zeitpunkt. Das mag sich für Puristen offensichtlich anhören, trägt aber einen großen Kern Wahrheit in sich. Noch nie wurde mir das an diesem Abend in solcher Virtuosität vor Augen, Ohren geführt.

 

Das Set war mir nicht geläufig, ich kannte auch keine Alben von Mr. Sands, aber seine Art zu spielen und die Harmonie des Trios nahm mich sofort in Beschlag. Überhaupt: Die Magie des Trios! In der Hinsicht war der Abend überwältigend und das im wahrsten Sinne des Wortes. Ich liebe das Trio und bin ein großer Verehrer von Bill Evans und Oscar Peterson. Wenn drei Menschen miteinander über Musik kommunizieren, ist das pure Magie und zeugt von den guten Fähigkeiten des Menschen.

 

Sands' Fähigkeit, den Hörer gefangen zu nehmen, basierte auf einer anderen, recht profanen Wahrheit: Swing. Bereits bei den ersten Takten fing mein Fuß an zu wippen und ich fühlte, es würde ein grosser Abend werden.

 

Live Musik ist auch Introspektion und ich beobachtete mich selbst. Als das Trio anfing zu spielen, kamen zuerst all die akademischen, die historischen Gedanken über den Jazz hoch. Ein Vulkanausbruch. Die Verschleppung. Marching Bands. Volkstümlichkeit. Der Blues. Es war, als würde das Trio auf eine historische Reise gehen. Zu keinem Zeitpunkt war ich gelangweilt und auch nicht das Publikum, das gebannt dem Virtuosen lauschte.

 

Im vorletzten Satz, siehe Zitat ganz oben, spricht Dick die Wahrheit:

 

"Die Musik liegt aber im Prozess, in der Entwicklung - wenn man sie beschleunigt, vernichtet man sie."

 

Was Improvisation im Jazz bedeutet, konnte man live miterleben. Sands und sein Trio steuerten auf einen Höhepunkt zu, so, wie ich ihn nur selten Live erlebt habe. Die Musik entwickelte einen transzendentalen Charakter. Waren die ersten Stücke betont expressionistisch, so war das Gegenteil jetzt der Fall. Zu gerne wäre ich in diesem Augenblick im Kopf von Mr. Sands gewesen. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Die Atmosphäre war unbeschreiblich, wie die Musik. Wenn Sie jemals in den Genuss kommen sollten ein Trio live zu hören, zögern sie keinesfalls! Es war ein magischer Moment. Ich schloss die Augen und vergaß die Welt um mich. Ein Moment unbeschreiblicher Schönheit. Die Emotionen hatten das akademische Moment verdrängt. Die Zeit schien still zu stehen in diesem Kosmos. Erst als das Trio wieder auf der Erde landete, merkte ich, dass mir eine Träne die Wange herunter kullerte.

 

Später - als die Gefühle wieder greifbar waren - resümierte Alan Lomax das Konzert mit wenigen, dafür aber höchst treffenden Sätzen und ja! Natürlich. Das war ein "Keith Jarrett Moment"! Ich war beeindruckt von Lomax' theoretischem Wissen in diesem Moment, tat aber so - aus Neid - als wüsste ich es auch. Natürlich wusste ich es nicht, erst, nachdem er darauf hingewiesen hatte.

 

Es war Musik, Live Musik, die mich an die Schönheit dieser Musikgattung erinnerte. Jazz ist grossartig! Gillespie flackerte vor den Augen kurz auf, Thelonius Monk. Später im Gespräch mit Clarence Penn lange Wortwechsel über John Coltrane.

 

Früher ging ich nach solchen Konzerten nach Hause und einen Tag später begann die Recherche über den Künstler, das Bestellen von Tonträgern mit Musik von dem gehörten Künstler. Diesmal nicht. Zu intensiv die Eindrücke, zu gefestigt die Einsicht, dass es nur einen "einzigen" Weg geben kann Jazz zu hören:

 

Live. On Stage.

 

So sehr ich mich an diesem Abend konzentrierte, gelang es mir nicht herauszuhören, dass alle drei im gleichen Beat spielten. Dafür jedoch wurde ich belohnt zu hören, wie in sich geschlossen drei Instrumente klingen können und doch nicht.

 

Wenn solche Augenblicke enden, als das Konzert nach einer Zugabe endete, war es, als würde man nach einem Rausch erwachen, einen Kater haben. Es war fürchterlich, was nicht negativ konnotiert ist. Vielmehr kam der Wunsch auf, es möge nie enden. Sie ist verführerisch und gefährlich: Die Sucht nach Schönheit.

 

Dem King Georg werde ich beim nächsten Aufenthalt in Köln einen Besuch abstatten. Dann aber auf Spaziergang und Drinks im Eigelstein verzichten, um ganz nah dran zu sein an den Künstlern. Das Auge hört mit. Grossartiger Klub. Würde zu gerne wissen, warum man ihn nach einem englischen Monarchen benannt hat?

 

Unvergesslicher Abend.

 

I LOVE JAZZ.

 

Thanks Alan Lomax.

 

Vom Tresen des King Georg,

 

Rick Deckard

Um über die neuesten Artikel informiert zu werden, abonnieren: