THE BOYS - Staffel 1: Willkommen im neuen Zeitalter
Confessions Of An Opium Eater mit Vincent Price in der Hauptrolle gilt unter Kennern als Ultra-Trash. In vergangenen Zeitaltern war der Begriff des Trash in der Unterhaltungskultur klar definiert.
Reiner Zufall, da wieder ein Drogen-Thema, aber (der meisterhafte) Fear And Loathing In Las Vegas mit Johnny Depp ist Kult. Der Begriff Kult war (mehr oder minder) klar umrissen und bot auch genügend Möglichkeiten für Interpretationen im semantischen Sinne.
Tabus und die mit Ihnen einhergehenden Brüche gab es in der Filmgeschichte zuhauf. Denken wir nur an Luis Bunuel und den Andalusischen Hund, an Hitchcock und die Toilette in Psycho oder an den Beinüberschlag von Sharon Stone in Basic Instinct.
Gewalt führte seit Angedenken der Menschheit zu (bigotten) Diskussionen, die im Zuge der entrüstend-gewalttätigen bewegten Bilder Einzug in das Feuilleton fanden. Die Liste ist lang, sei es Hitchcock mit Psycho, Peckinpah mit The Wild Bunch oder Robocop von Paul Verhoeven.
Trash, Kult, Tabus, Gewalt.
Alle diese Umschreibungen, Erfahrungen, Begriffe im Zusammenhang mit dem Film und Serien folgten, das war ihnen gemeinsam, einem fortwährenden, sich langsam entwickelnden Prozess. Man konnte sich unter jedem einzelnen Begriff etwas vorstellen, hatte eine ungefähre Ahnung, ein Gefühl.
Trash war zuordenbar. Kult hatte einen persönlichen Bezug. Tabus wurden über Jahrzehnte hinweg gebrochen. Gewalt ließ einen erschaudern, wegsehen, erschrecken.
Das war alles einmal.
Filme, Serien sind immer ein Abbild der Zeit, in der sie entstehen, sie können nicht losgelöst vom Zeitgeist beurteilt werden. Der Kontext ist wichtig. Ich habe als leidenschaftlicher Kinogänger und Fernsehen- als auch Serienfan das Privileg geniessen können, diese Entwicklung über die letzten Jahrzehnte hinweg verfolgen zu dürfen. Die Zeit liess mir die Möglichkeit, die Entwicklung nachzuvollziehen.
Die Zeit hat sich geändert.
Was sich offensichtlich anhören mag, hat Bedeutung, was die Produktion als auch Rezeption von Filmen und Serien betrifft. Eine andere Generation ist in den letzten 20 bis 30 Jahren herangewachsen. Das Internet und die Rasanz der mit diesem Netz einhergehenden Veränderung hat alles in andere, neue Bahnen gelenkt. Ich bin bereit dieses neue Zeitalter im Kino und Fernsehen mitzugehen, weil ich neugierig bin zu erfahren, wie und wohin es sich entwickeln wird.
Die 1. Staffel der Serie THE BOYS ist der "motion picture" Ausdruck dieses neuen Zeitalters und keiner, keiner der vorgenannten Begriffe lässt sich auf diese Serie und das was noch kommen wird, anwenden. THE BOYS, Staffel 1, war ein persönlicher Meilenstein in der Beschäftigung mit Serien und Filmen. Der Grund liegt darin, als dass die Prämisse eine andere ist und die Regeln andere: Es gibt nämlich keine, weder eine Prämisse, noch Regeln.
8 Stunden lang habe ich gebannt auf den Bildschirm geblickt und war fasziniert. "Fett" ist ein Wort, dessen Bedeutung verstanden wird mit dem gleichbedeutenden Gewebe, jedoch wird es in bestimmten Kreisen (und auch in der Musikszene) verwendet für etwas hochwertiges, etwas qualitativ besonderes. Professionell bedeutet übersetzt auf fachmännische Art.
THE BOYS, Staffel 1 ist "fett und hochprofessionell". Hier wurde eine Serie produziert, die einem langen Spielfilm gleichkommt, die man sich ansieht und das Gefühl hat, einen langen Film zu sehen. Die Qualität des Storytelling, der Dramaturgie, der äusserst klaren und schnell vorangetriebenen und präzisen Handlung, die Special Effects, das Setdesign, alles ist "vom feinsten". Es gibt nicht einen einzigen Makel. Karl Urban, den ich seit DREDD bewundere, hat sich in den Olymp katapultiert. Diese Vorstellung ist bereits jetzt legendär.
Am Ende war ich sprachlos, denn hier bekam ich etwas zu Gesicht, das ich mit Worten wie Kult, Trash, Tabus und Gewalt nicht in der Lage war zu beschreiben, zu umschreiben. So sehr ich mich mühte, es gelang mir nicht. THE BOYS, Staffel 1 hat meinen Blickwinkel auf die Welt der Filme und Serien verändert, weil ich das erste Mal begriffen habe, manche Menschen sind eben Spätzünder, dass die Film- und Serienkultur von Menschen eines besonderen Schlages übernommen wurde. Das gilt für die, die diese Filme und Serien produzieren als auch für die, die sie sehen, sie konsumieren (also auch ich?).
Willkommen im Zeitalter der Plebejer.
Bitte verstehen sie das nicht falsch. Der Begriff ist nicht negativ konnotiert im Sinne der historischen Definition Plebejer - Patrizier. Es ist ein Begriff, der dabei ist mit Bedeutung gefüllt zu werden und in der Unterhaltungskultur könnte es kein besseres Beispiel geben als THE BOYS, Staffel 1, um zu erklären, wie dieser Begriff zu verstehen ist.
THE BOYS, Staffel 1 ist ein plebejisches Meisterwerk serieller Erzählkunst.
Bitte, nicht vergessen: Der Begriff "Meisterwerk" ist hier nicht in der gleichen Weise anzuwenden wie beispielsweise bei "VERTIGO" von Hitchcock.
Diese Unterscheidung ist sehr wichtig!
Eine persönliche, historische Zäsur.
Rick Deckard