HALDERN POP FESTIVAL 2017 REPRISE I - Der erneute Versuch eines Gegenentwurfs der Festivalmacher oder Wahn der 5 Gruppen von Alan Lomax

von Alan Lomax  -  16. August 2017, 13:43  -  #Kommunikation, #Konzerte, #Populäre Musik, #Orchestrale Musik

HALDERN POP FESTIVAL 2017 REPRISE I - Der erneute Versuch eines Gegenentwurfs der Festivalmacher oder Wahn der 5 Gruppen von Alan Lomax

Es gibt natürlich jedes Jahr wieder viele Meinungen, Ansichten und Stimmungen nach diesem Festival! Ich vertrete hier meine subjektive Sicht. Damit diese aber nicht zu unsichtbar und unlesbar wird, konzentriere ich mich auf zwei wesentliche Antriebspunkte, die im Wesentlichen mit dem Interesse für die Musik des Festivals zu tun hat und nicht mit den auch oftmals diskutierten organisatorischen Dingen.

 

Um das Themenfeld einzugrenzen, stelle ich für den weiteren Verlauf zwei hypothetische Musikhörerschaften auf:

 

Gruppe 1: Die Gruppe von Festivalbesuchern, die auf der Suche nach der Band ihres Lebens sind und um diese ein Universum aufbauen möchte

Gruppe 2: Die Gruppe von Festivalbesuchern, die diese Band bereits gefunden hat, Bestätigung dafür sucht oder einen Gegenentwurf

 

Das Haldern Pop Festival hat für beide Gruppen schon immer eine gute Alternative im Vergleich zu anderen Festivals geboten. Ein wichtiger Punkt, denn die Arbeit so ein Festival als Marke zu positionieren und Versprechungen zu machen, dass hier etwas Besonderes passiert, ist langfristig schwierig und natürlich erhöht dies gleichzeitig den ewigen Erwartungsdruck bei Zuschauern und Journalisten, noch besser zu werden bzw. zumindest den Standard zu halten.

Und somit kann man zu den o. g. Gruppen noch eine weitere hinzustellen, die auch für andere Festivals steht:

 

Gruppe 3: Die Gruppe von Festivalbesuchern, die keine Musiknerds sind und auch keine Band oder musikalisches Universum ihres Lebens benötigen, sondern die den magischen Moment suchen.

 

Diese drei Gruppen sind die wesentlichen Zielgruppen des Halderns Festivals. Eine besondere Herausforderung! Headliner-Festivals wie das Hurricane oder Rock Am Ring mögen anderen Probleme haben, die aber künstlerisch und sozio-kulturell von geringerer Bedeutung sind und sich auch zielgruppentechnisch eher auf Gruppe 3 bezieht.

 

Festivalchef Stefan Reichmann muss diese drei Gruppen gleichermaßen bedienen, da alle drei Gruppen wichtig für die Bindung der Besucher zum Festival sind und diese auch die Chance für die Fortschreibung des Festivals bieten.  Er muss Bands finden, die bleiben, die da waren, die stattfinden, die bereits etwas zu sagen haben oder den Menschen eben bald viel bedeuten werden. Eine fast unlösbare Aufgabe muss das sein, wenn man auch noch zeitliche und weltliche faktische Dinge wie Wirtschaftlichkeit und Organisation berücksichtigen muss.

 

Und der Wahnsinn schleicht sich ja dann eigentlich ein, wenn die ewigen Kritiker dem Mann vorwerfen, dass sein eigener Bookingstyle schlecht ist, weil er diese oder jene Band gebucht hat und nicht mehr jene oder diese von früher. Überhaupt! Früher! …da war alles besser! Die Kunst, der Pioniergeist, der naive Unternehmergeist und auch das Marketing!

 

SO SO CIETY

 

Ein schwieriger Claim! Ebenso schwierig, wie das Pre-Marketing des Festivals in Form der kleinen Trailerfilme im Vorfeld, die bei allen drei Gruppen eigentlich Vorfreude stiften soll, aber ebenso wie der Claim eine gewisse Arroganz und Überheblichkeit vermittelt. Denn die Botschaften der Festivalmacher im Vorfeld des nächsten Festivals sind weitestgehend schwierig nachzuvollziehen und neigen im Kern auch zu einem gewissen vermittelten Elitetum. Somit wird der Slogan SO SO CIETY mit den Worten der Macher in der Festivalzeitung DAT BLATT mit den Worten: „…es beschreibt ein Gefühl, dem Über-Ich mit einem relativen Wir zu begegnen!“

 

Liest man dann aufmerksam weiter wird dem geneigten Festivalbesucher erklärt, dass Haldern nach dem Dreisatz:

 

VERTRAUEN – ZUHAUSE – ZUVERSICHT

 

funktioniert. Ein weiterer elitärer, schwieriger und (sind wir doch mal ehrlich) ziemlich humorloser Verweis auf den Versuch der Erklärung, wie dieses Festival funktioniert!

 

VERTRAUEN setzt natürlich erstmal die komplett eigene und interne Perspektive der Macher des Festivals und der Menschen die in Haldern leben voraus. Somit gibt es also auch noch eine vierte Gruppe die berücksichtigt werden will:

 

Gruppe 4: Gastgeber, die uns ihre Heimat verkaufen möchten und davon ausgehen, dass die Zukunft nur Gutes bringen kann.

 

Also eine Ideologie, die ohne äußere Einflüsse auskommt und sich ihre Trends und ihren Zeitgeist selbst schafft.

 

Es ist wichtig dies zu verstehen, wenn man sich mit der inneren Struktur des Haldern Festivals auseinandersetzt, bevor man euphorische (siehe meine Einträge auf diesen Blogseiten der letzten Jahre) oder kritische (siehe meine Einträge auf diesen Blogseiten der letzten Jahre) Ansichten formuliert und freisetzt.

 

Die Leute aus Haldern vom Niederrhein, in dem Fall des Festivals angeführt von Festivalchef Stefan Reichmann, galten schon immer als klug. Und mit der neuen, vielleicht auch generisch entwickelten neuen Marketingstrategie, macht man sich so zumindest selbst frei, dieses Festival als normales Musikfestival darzustellen. Wir alle wissen, dass das Haldern Pop mehr als das ist. Nach über 20 Jahren könnte ich als Besucher sogar vielleicht von einem Lebensgefühl sprechen und die Halderner Menschen von einem Teil ihres Lebens, aber Reichmann muss auch an seine Existenz denken. Das darf man ihm niemals vorwerfen. Denn er ist das Gehirn des Ganzen und würde sein größter Albtraum wahr werden, nämlich das Konzept an einen Investor zu verkaufen, wäre er zwar in der Lage mit dem Dreisatz einem Vorstandsgremium zu erklären, wie das Festival inkl. seiner Ausweitung von eigener Bar und Shop und Label eine Erhöhung der Wirtschaftlichkeit darstellt, aber nicht, warum seine Zielgruppenplanung scheinbar nicht funktioniert (siehe Gruppe 1-4).

 

Scheinbar? Genau! Scheinbar! Denn, wie gesagt, der Niederrheiner ist klug und so wurde ein zweiter Claim entwickelt, der jegliche Ideologie und jegliches Elitedenken sofort reguliert bzw. negiert.

 

RECLAIM THE SPACE

 

Keith Harris, der langjährige Manager von Stevie Wonder, der ebenfalls auf dem Haldern Pop Festival war, Vorträge hielt und zu Gesprächen zur Verfügung stand, sagt, dass Festivals Menschen verändern. Was richtig ist. Somit kann der Claim für sich alleine stehen oder eben um den zitierten Dreisatz zu relativieren und die Außensicht, nämlich die der Zuschauer, mit aufzunehmen.

 

Ein schöner Kreis bildet sich da, der zudem ein raffiniertes Konzept ist. Allerdings bleibt eine Frage offen: Inwieweit verändert ein Publikum, also die Menschen ein Festival?

 

Unsere Reisegruppe wurde in diesem Jahr von zwei Mädchen im Alter von 17 und 19 Jahren erweitert. Im besten Sinne also Gruppe 1! Wir Älteren fahren seit über 20 Jahren auf dieses Festival. "Sie" (der Nachwuchs) kennen also die Geschichten, Bands, Erlebnisse, Fotos, Filme und Eindrücke. die wir stetig und konsequent vom Niederrhein  nach Hause mitgebracht haben. Vielleicht wurden sie auch von Bands, die auf dem Haldern Pop gespielt haben, sozialisiert: Phoenix, Editors, Maximo Park u.v.m. Auf die Frage, wie es denn nun war und wie sie es fanden, antworteten sie: „Wieso, ich kenne das doch schon alles hier und es ist genauso, wie Ihr es immer beschrieben habt!“

 

Im Marketing würde man von dem Haldern Pop Festival von einem Luxusprodukt sprechen, denn die Zielgruppenbindung und Neugewinnung kann nur bei einer besonderen Art von Menschen funktionieren. Die richtige Zielgruppe zu finden, wird bei der dauerhaft gleichgültigen Entwicklung der Gesellschaft schwierig werden, insbesondere weil das Produkt wertvoll und zudem begrenzt ist.

 

Der Gegenentwurf ist also somit ein ständiger neuer Versuch. Nicht, weil sich Haldern oder das Festival verändert, sondern alles darum herum anders, vielleicht sogar schlechter wird. Aus dem arroganten Standpunkt wird somit eine Lebensphilosophie und ein Ergebnis, welches etwas Vertrautes, etwas Wunderbares schafft, wie es eben nur hier in Haldern stattfinden kann, was aber zeitgleich nicht traditionell oder konservativ erscheinen soll!

 

Ambitioniert und Ambivalent!

 

Ich vertraue diesem Entwurf und dem Versuch auch weiterhin!

Und ich möchte mich wieder mal bedanken bei Dir/bei Euch, liebes HALDERN und liebes HALDERN POP FESTIVAL!

 

„Endlich mal normale Menschen“

 

Alan Lomax

Um über die neuesten Artikel informiert zu werden, abonnieren: