HALDER POP FESTIVAL 2017 REPRISE II- SAMSTAG, 12.08.2017 13:45 Uhr MESSER
Gruppe 5: Musiker
Von allen Gedanken schätze ich am meisten die Interessanten. Dabei ist es mir ziemlich egal, ob der eine einen Neuanfang macht und Achterbahn fährt, der andere sich auf DDR-Schlagertexte von 1974 bezieht und es bedauert den Farbfilm vergessen zu haben und dann auch noch barfuß Klavier spielt, ein weiterer Ricky Martin zitiert, einer dann empfiehlt sich bei Ängsten einen Pool zu kaufen und ein älterer deutsch sprechender Barde, die schöne französische Bezeichnung DESERTEUR nutzt, um seinen Wunsch der Fahnenflucht aus diesem Land zu beteuern, in dem er vierzig Jahre später noch immer wohnt.
Da nage ich doch lieber weiterhin an Zeilen wie
„Während ich noch nach der Wahrheit grabe / Passiert so viel damit / Während ich noch das Verlangen habe / Bist Du schon auf dem Trip / Während ich das alles nicht ertrage / Machst Du schon deinen Trick“
(Tollwut (mit Schaum vor dem Mund), MESSER)
Und ich nage, weil es erst 13:45 Uhr ist und MESSER die erste Band sind, die auf der Mainstage spielen werden an diesem Samstag. Mir ist kalt, ich habe getrunken und ich bin müde. Alle meine Freunde stehen vor der Bühne zwischen den paar hundert Anderen. Nachdem die Band ein kurzes, treibendes Intro gespielt hat, kommt Hendrik Otrembra auf die Bühne. Ein leichter modischer Liam Gallagher Bezug, der später mit Entkleidung des halblangen, natürlich geschlossen getragenen Mantels widerlegt wird.
Otremba ist schwer zu fassen. Er ist ein Künstler. Ein Schriftsteller. Einer, der derzeit interessantesten Selbstdarsteller, die dieses müde, wenig fordernde Land zu bieten hat. Der junge scheinbar wütende Mann, hinterlässt viel Dankbarkeit und merkt nach den ersten Songs, dass da Menschen vor der Bühne stehen, die MESSER bereits lieben oder sofort lieben gelernt haben. Er wird lockerer, teils sogar freundlich. Dabei vermittelt er eine eigenartige Mischung aus intellektuellem Ruhrpott-Proleten und Dandy, der alle Wandlungen von diesem Eindruck mit einem Handstrich entsorgen oder wiederlegen kann. Man kann sich seiner Performance kaum entziehen. Wuchtig, fordernd, energetisch, leidenschaftlich!
Ebenso wie seine fantastische Band, die von dem wohl derzeit besten Bassisten in diesem Land angeführten Truppe von zwei Schlagwerkern und einem Gitarristen, der den eigentlichen ersetzt, der wegen eines Tinitus pausieren muss. Pogo McCartneys Instrument ist federführend und prägnant. Das macht die natürlich an viele Ikonen des inländischen Post-Punks der letzten Ära erinnernde Musik erstmal nicht neu, aber trotzdem zu etwas Besonderem, da sie wütend ist und nur wütet, aber durch die ambitionierten Beats und der zum Teil glasklaren und melodiösen Gitarre durchaus Altes diagnostiziert, die Symptome aber auch schnell bekämpft.
Textlich wird schnell klar, dass die Band lieber Fragen stellt, als Antworten gibt. Schon wenig später höre ich mir die Alben von MESSER erneut und mit anderem Blickwinkel an. Ich verstehe nun mehr. Ich glaube, dass dort viel Potenzial vorangetrieben werden kann. Ich verstehe langsam Zusammenhänge von diesem Otremba, der auf der Platte "Jalousie" eine schöne Metaphorik erschafft und seine Songs DIE ECHSE, DIE HÖLLE oder SCHWARZER QUALM nennt.
Über weitere Bands und Musiker werde ich in diesem Jahr nicht schreiben. Mir wird häufig vorgeworfen, dass ich arrogant gegenüber anderen bin, dass meine Erwartungshaltung zu hoch ist und das ich einen gebrochenen psychologischen Charakter habe, weil ich es selbst nicht geschafft habe, eine Band zu gründen (was übrigens nicht stimmt, also das mit der Band;-) Und ja, es gehört zu meiner Persönlichkeit, eher verweigernd und unangepasst zu sein als oberflächlich. Aber dennoch ist vieles kein Zufall und das wird häufig von Alan Lomax Kritikern übersehen. Interessanterweise findet nämlich bei all diesen Vorwürfen meiner Person gegenüber etwas statt, das letztendlich mir vorgeworfen wird: Unterschätzung!?
Hätte ich nicht die leidenschaftliche Fähigkeit sich im Deutschrock verlierende, weinerliche Interpreten zu unterschätzen, wäre ich aber auch nicht in der Lage Bands wie MESSER, GEWALT, KARRIES, HOPE oder PISSE zu überschätzen. Eine natürlich zaghafte, für Kritiker krankhafte Reklamation des hier häufig angeprangerten Autors! Aber eben auch eine Rechtfertigung -für das ewig Gesagte von TROTZ, LEIDENSCHAFT, WUT- zum Einerlei zu finden, verbunden mit dem Traum gute Momente für sich selbst zu schaffen, Bestätigung für sein Universum zu erhalten, welches man seit frühster Jugend vertritt und zu versuchen ebengenau diese Kunst zu featuren. So wie ich es hier und im Radio (674.fm …jeden vierten Samstag im Monat) tue.
Die Kontroverse auf dem diesjährigen Haldern Pop um Bands wie AMK oder auch dem Auftritt des alten Deutschrockers WOLF MAHN und komplexen, zitatreichen und fordernden Bands wie MESSER oder auch KÄPTN PENG ist im Grunde genommen interessant, wenn sie dann geführt und nicht einfach nur konsumiert oder von eigenen Egoismen getragen wird. Denn da bin ich dann gerne wieder in dem Sozialkreis der Nachgeborenen und Neugierigen (Gruppe 2; …siehe Reprise I): Einfach mal einen Stuhlkreis bilden und darüber reden!
Hendrik Otrembra mag das alles egal sein! Man sollte es aber herausbekommen. Vielleicht hat er Lust auf ein Interview in unserer Radiosendung, ich würde ihn zu gerne dazu befragen. Auch Henning May sollte man die Chance geben, denn ich glaube, er hat auch seine Gründe und ich glaube auch, dass er klug genug ist, uns diese zu nennen. Ein ähnlicher Gesprächsversuch ist allerdings in der TV Sendung Schulz und Böhmermann kläglich gescheitert. Tim Benzko und Dirk von Lowtzow konnten oder wollten einfach nicht. Etwas enttäuschend.
Und so könnte man ewig weiter machen! Und so wird es auch ewig weitergehen!
„Korrespondenzen schaffen, ohne Waffen!“
Vom Sponti Kongress, alleine…
Alan Lomax