The Artist - Ludovic Bource
Liebe Leserinnen und Leser!
Versetzen Sie sich einmal um fast ein Jahrhundert zurück.
Es ist Freitag- oder Samstagabend, sie wollen Ihre Freundin oder Freund ins Kino ausführen. Sie kleiden sich entsprechend, fahren mit dem Taxi vor das Kino, Ihnen wird die Tür aufgehalten. An der Garderobe geben Sie ihre Mäntel ab und betreten das Foyer und dann den Saal.
Das Licht wird dunkler, hinter Ihnen hören Sie das surren des Projektors. Die Leinwand erstrahlt und wird mit bewegenden Bildern zum Leben erweckt. Sie nehmen Anteil an der Geschichte und fühlen mit den Hauptdarstellern mit.
Doch halt! Da stimmt doch etwas nicht! Wo ist der Ton? Es gibt keinen! Sie sind in der Ära des Stummfilms. Es gab (noch) keine Möglichkeit Bild und Ton parallel aufzunehmen um diese synchron zu präsentieren. Die technischen Mittel waren noch nicht so weit. Also mussten die Darsteller versuchen über Gestik und Mimik Emotionen und Inhalte zu vermitteln. Zwischendurch wurden Texte eingeblendet um die Handlung verständlicher zu machen.
Der französische Regisseur Michel Hazanavicius drehte mit seinem Film 'The Artist' eine Hommage eben an diese Ära mit Jean Dujardin und Bérénice Bejo in den Hauptrollen. In weiteren Rollen spielen John Goodman, James Cromwell und Penelope Ann Miller. Es geht um einen amerikanischen Stummfilmstar, der sich dem Wechsel in die Ära des Tonfilms nicht anpassen will.
Der Musik kam damals eine grosse Rolle zu. Denn stellen Sie sich vor: sie sehen einen Film ohne Ton für eine Stunde ohne jegliche Akustik? Das wäre langweilig. Also musste ein Klavierspieler oder ein ganzes Orchester her um die Aktionen auf der Leinwand zu untermalen und die Schauspieler zu unterstützen. So kam es, dass die Filme damals fast durchgehend mit Musik untermalt wurden.
Der Franzose Ludovic Bource komponierte die Musik für den Film und ihm ist ein ganz grosser Wurf gelungen. Er schrieb eine symphonische Filmmusik mit einem 80 Mann starken Orchester (Royal Flanders Philharmonic Orchestra) mit weiten, ausschweifenden Themen und Melodien.
Die Musik zu 'The Artist' ist ein absoluter Genuss. Qualitativ sehr hochwertig ohne in Plagiarismus zu verfallen, sondern eigenständig und stets der Aura und Musik dieser Zeit Respekt zollend. Musik-Liebhaber, die das (folgende) Golden Age bewundern, oder auch die Kompositionen eines Max Steiner, Franz Waxman, Erich Wolfgang Korngold oder auch Bernard Herrmann werden den Score zu 'The Artist' lieben! Auch Charlie Chaplin oder Carl Stalling wird die Ehre erwiesen. Filmmusik-Afficionados werden diese Verweise sofort heraushören.
Musik mit Anleihen bei der Romantik, sehnsuchtsvoll, ergreifend, opulent und sehr vielschichtig. Man muss vor Bource wirklich seinen Hut ziehen. Ich hätte es kaum für möglich gehalten, dass ein Komponist im Jahr 2011 dermaßen in der Lage wäre sich so tief, gekonnt und effizient in eine andere Welt hinein zu versetzen. Sicherlich war der Film in schwarz-weiss eine grosse Inspiration für den Franzosen.
Die Musik auf der CD ergänzt um einige Original-Kompositionen aus dieser Zeit ist über eine Stunde lang und ist trotzdem zu keinem Zeitpunkt langweilig. Natürlich darf man von ihr keine ruhigen Töne erwarten, sie ist eher expressiv und sehr aufregend, immerhin soll sie ja die Darsteller und die Handlung auf der Leinwand unterstützen und den fehlenden Ton ersetzen (!).
Am 26.01.2012 wird der Film in Deutschland anlaufen. Gönnen Sie sich mal den Spass und sehen sich Sie im Jahr 2012 einen Stummfilm an!
Ich schätze 'The Artist' wird ein Erfolg. Warum? Ganz einfach: er braucht keine Sprache! Er wird in Deutschland ebenso zu verstehen sein, wie in Amerika oder Afrika.
Wenn Sie Feuer fangen sollten, dann schauen sich auch mal Filme mit Charlie Chaplin, oder Buster Keaton an. Viele Meisterwerke der Filmgeschichte entstanden in dieser Zeit, so z.B auch Panzerkreuzer Potemkin von S. M. Eisenstein.
Es lohnt immer wieder auch ein Blick zurück in die Geschichte, als es noch keine Farbe, keinen Ton und keine Spezialeffekte gab.
Ganz stumm,
Rick Deckard