Beste Musik 2022: Ewings Musikmomente des Jahres 2022

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  9. Januar 2023, 09:22  -  #rideuktour, #kristofschreuf, #primaverasound, #haldernpop, #francoattiato, #weekendfest, #leguesswho, #FovosAlif, #Alabaster De Plume, #Alan Lomax Blog, #Cologne live, #Festival, #Festivalbericht, #Feuilleton, #Indiependentmusik, #Konzertkritik, #Popkultur, #Popmusik

Beste Musik 2022: Ewings Musikmomente des Jahres 2022

Unser rasender Reporter Ewing hat seine wichtigsten Musikmomente des Jahres 2022 zusammengestellt. Ein gültiger und interessanter Rückblich, sowie Zusammenfassung, weil er viel Unterwegs war und so nicht nur seine subjektiven Eindrücke zusammenfasst, sondern eine umfassende Zusammenstellung für den Bereich alternative und unabhängige Musik verfasst hat. Danke dafür...

Überblick

Alben / Songs / Lebenswerk: #kristofschreuf / Reisen und Konzerte: #rideuktour #primaverasoundbarcelona #haldernpopfestival #francobattiato #weekendfest #leguesswhouetrecht #fovosaalif

Post pandemic vibes. Gewiss ein Jahresbeginn mit Befreiungsansätzen, für diesen kurzen Moment, bis der Krieg ausbrach. Ein Jahr des Innehaltens und der Vorsicht. Vielleicht gab es in der Entstehung vieler Alben mehr Zeit für Angst, Details, Unsicherheit, Ausarbeitung, Qualität, in jedem Fall hat es zu zahllosen beeindruckenden Kunststücken geführt. Insbesondere die Liste der wichtigen Alben ist lang wie nie und es fehlen noch einige Heldenstücke. Viel Spaß beim Lesen der Einordnung und der begleitenden Konzerterlebnisreisenberichterstattung feat. Italia-Spezial-Report und einem Kristof Schreuf Nachruf.

Hier also meine Liebsten:

ALBEN

NU GENEA – BAR MEDITERRANEO | NG Records

Napoli. Vesuvio. più caldo dell'inferno. Der Soundtrack des Sommers.

ALABASTER DE PLUME – GOLD | International Anthem

Straight from Total Refreshment Centre. Go forward in the courage of your love. Was für ein Glück diese Platte ist… voller Liebe und Zuversicht.  Don’t forget your precious.

FONTAINES DC – SKINTY FIA | Partisan Records

Sie spielen sich auf den Olymp. Bandentwicklung, Musik, Lyrics, Attitude. – Chapeau!

SESSA – ESTRELA ACESA | Mexican Summer

Das leichte Leben. Das schwere Leben. Sein Stern brennt.

ANTELOPER – PINK DOLPHINS | International Anthem

Der Unterwasserjazz wird gespielt von rosafarbenen Delfinen mit drei Augen. Willkommen in der spacigen Utopie von Jaimie Branch und Jason Nazary. Jaimie hat auch das unfassbar tolle Cover Artwork gemacht. Wenn man den Delfinen ein Echo gibt, wird man wohl uneingeschränkte Liebe zurück bekommen. Jaimie Breezy, wie Alabaster de Plume sie im Interview liebevoll nannte, ist jetzt hoffentlich im best place to be. Peace out.

SAULT – AiR | Forever Living Originals

Das Ouevre wird erweitert, keine Grenzen im eigenen Kunstkosmos. Es fehlen, glaube ich, allen die Worte, um zu  fassen, was die da gerade machen. Elf Alben seit 2019. Wenn es noch Genres gäbe, wäre es angezeigt, SAULT als Genre zu bezeichnen.

SAULT – 11 | Forever Living Originals

Inflo ist das Gewissen der Vintage Popkultur, der Therapeut der sensibelsten Künstler, der Mastermind hinter Kiwanuka und Simzi und das Herz von Sault.

Producer of the year in UK, erstmalig! a people of colour, der Preis wird seit 1977 vergeben. 

TIM BERNARDES – MIL COISAS INVISIVEIS | Psychic Hotline

Beste Stimme. Beste Zwischentöne. Tausend unsichtbare Dinge. Camp as hell. Und schlicht elegant.
 

SOYUZ – FORCE OF THE WIND | Mr. Bongo

Unglaublich, was Alex Chumak, Anton Nemahai und Mikita Arlou aus Minsk da aufgenommen haben. Man kommt nicht auf den Gedanken, dass es in Belarus entstanden ist. Einzig der brasilianische Gastmusiker Sessa läßt ahnen, welch subtile Leichtheit die Melancholie so kongenial ergänzt. Viva Bellabrazilarus.

PERSONAL TRAINER – BIG LOVE BLANKET | The Industry

Willem Smit ist der exzentrische Performer, Tänzer, Shouter und selbsternannte Cheerleader, der dieses siebenköpfige Amsterdamer Ensemble in die Welt führen wird. Das wird richtig toll. Die erste UK Tour ist gebucht. Wir sehen uns hoffentlich in Heerlen.

EZRA COLLECTIVE – WHERE I’M MEANT TO BE | Partisan Records/Knitting Factory

Wahrscheinlich das kompletteste Jazz-Album des Jahres, wenn es so etwas gibt. Aufgenommen in 2020 und 2021, veröffentlicht dann erst Ende 2022, dafür wird es lange und immer wieder auf dem Teller sein. It was meant to be.

KAE TEMPEST – THE LINE IS A CURVE | Fiction

Jedes Mal einen Schritt weiter im eigenen Universum. Kae gehört dazu, wenn es um die wichtigsten Performances der Gegenwart geht. Das Coverbild hat Wolfgang Tillmanns ganz großartig eingefangen.

MAKAYA MCCRAVEN – IN THESE TIMES | XL Recordings/International Anthem/Nonesuch

Der Chicago-London connector. Der Taktgeber einer neuen Jazz Generation. Golden Drumstick Award.

RAISON – SO VIELE LEUTE WIE MÖGLICH | Buback/Indigo

Für ein: Schwärmen und Sichwehren / Solidarisieren und Ausprobieren / Aufpassen und Loslassen / Druckmachen, Abfahren und Handhalten / Besiegen von Kriegen / Teilhaben und Zusagen / Reisen und Kreisen / Auf unseren Giften miteinander Driften. Gegen: Das Vergessen. Und alle Machtinteressen. Diktatoren, Zahlen und Uhren. Musik kann Alles! Strategie = Phantasie!

PANDA BEAR & SONIC BOOM – RESET | Domino Records

Psych-Soul-Space-Beach-Put-A-Smile-In-Your-Face-Gospel. Macht bitte weiter so in dieser Kunstform des SpaceAnimalCollectives.

TESS PARKS – AND THOSE WHO WERE SEEN DANCING | Fuzz Club

BE HERE WOW! war der adaptierte Claim. Waren wir. Sind wir. Und dunkle Wolken zogen auf.

LITTLE SIMZ – NO THANK YOU | Forever Living Originals

Kurz vor Jahresende haut Simbi noch einen raus. Straight, puristisch und beeindruckend.

ARCTIC MONKEYS – THE CAR | Domino Records

Crooning round the world and back. Last sie doch bitte endlich in Jazz Clubs spielen statt in Mehrzweckarenen. Sind sie auf dem Zenit?

BLACK MIDI – HELLFIRE | Rough Trade

Score. Poetry. Avantgarde. Theatre. Fire. Water. Heaven. Hell. Ich mag es verdammt nochmal, dass sich Geordie Greep so an Bowie heranschleicht.

THE ORIELLES - TABLEAU | Heavenly Recordings

Sperrig, tricky, innovativ, anregend. Manchmal heavenly.

BLACK COUNTRY, NEW ROAD – ANTS FROM UP THERE | Ninja Tune

Ein wundervolles, komplexes und bewegendes Album. Macht weiter, erspielt Euch die nächste Stufe.

COBY SEY – CONDUIT | AD93

Einer der spannensten zeitgenössischen Künstler. Ich würde ihm zu jedem Projekt Geleit geben.

THE SMILE – A LIGHT FOR ATTRACTING ATTENTION | XL Recordings

Unerwartet gespickt mit wundervollen Pop Hymnen.

JACK WHITE – ENTERING HEAVEN ALIVE | Third Man Records

Für mich das schönere der beiden tollen Alben in 2022. Frei von den manchmal überfrachteten (natürlich immer schlau reingepitchten) Rockismen. Einfach wunderbar.

ANDY BELL - FLICKER | Sonic Cathedral

Wall of sound, electronics, persönliche Noten. Sein bisher bestes Solowerk.

BENJAMIN CLEMENTINE – AND I HAVE BEEN | download/Preserve Artists

Still und heimlich online gelauncht. Familiäre Zwischenphase, die Spannung auf den prätensiösen Ausbruch steigt.

THE PLASTIK BEATNIKS – ALL THOSE STREETS I MUST FIND CITIES FOR | Alien Transistor

Ein kunstvolles Heranpirschen an den Beatnik Poeten Bob Kaufman. So etwas gibt es leider viel zu selten.

SONGS

FONTAINES DC – JACKIE DOWN THE LINE | Partisan Records

Selten so eine Abhängigkeit von einem Song verspürt. Love it.

FONTAINES DC – ROMAN HOLIDAY | Partisan Records

Diese Gitarre. Ich muss sofort weinen, wenn’s losgeht. Addicted, pt. II

NU GENEA - VESUVIO | NG Records´

Der Sommertanz zu den Füßen des Vesuv.

MICHAEL ROTHER & VITTORIA MACCABRUNI – EXP1 | Grönland

Ein flammender Smasher.

ALABASTER DE PLUME – DON’T FORGET YOU’RE PRECIOUS | International Anthem

“Do you think, it’s an iconic anthem? This is a beautiful thing to say, thank you,” sagte Alabaster zu meinem Kompliment. Halten wir das mal so fest.

JOCKSTRAP - GLASGOW | Rough Trade

Hach.

LOYLE CARNER – NOBODY KNOWS | AMF Records/EMI/Universal

Das große Kino.

SVEN WUNDER – SUN-KISSED | Piano Piano

Smooth enough.

CAPINERA – IL VOLO | Periodica Records

Ein knackiger 80er Flashback Radio Monte Carlo Smash Hit.

BEACH HOUSE – ONCE TWICE MELODY | Bella Union

Der wundervollste Dream Pop aktuell.

IBEYI – SISTER TO SISTER | XL Recordings

For the sisters.

RAISON feat. SOPHIA KENNEDY – DRIFTEN | Buback/Indigo

„Die nächsten Farben geben wir“

LEWSBERG – SIX HILLS | Speedy Wunderground

Rotterdams finest.

PHOENIX – THE ONLY ONE | Periodica Records

Liebe und Leidenschaft im Louvre. Phoenix finden, auch wenn zwischendurch leichte Zweifel kommen, immer einen Schlüssel zu meinem Herz.

G.RAG Y LOS HERMENOS PATCHEKOS – LA CAMISOLA | Rheinschallplatten

Ein wilder, unnachgiebig treibender Straßenfeger im besten Sinne, nach sieben Cocktails sollte man dazu schwitzend tanzen. Auf unserem Lieblingslabel Kölns.

LEBENSWERK

Kristof Schreuf.

Das erste Mal auf der Agenda war die Kolossale Jugend bei mir durch den von Micha Appel herangeschleppten Sampler DIES IST HAMBURG (NICHT BOSTON). Wir haben ja diese Bostoner Bands geliebt, Pxies, Lemonheads, Juliana Hatfield usw., da kam dann der beeindruckende Gegenentwurf. Huahs Knarf Rellöm und Kristof Schreuf sind ewige Wegbegleiter geblieben. Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs eher ein One Hit Wonder.

Ich war damals extrem beeindruckt davon, wie sich jemand komplett aus allen Regeln herauskatapultiert, eine eigene Sprache erfindet, die schon auf dem basiert, was man versteht, aber sowohl in der Musik als auch in der Lyrik völlig neue Maßstäbe setzt. Das Album „Heile Heile Boches“, das erste der Band Kolossale Jugend, ist damit ein Meilenstein deutscher Popkultur geworden. Als Kristof Schreuf dann mit seiner Band im Luxor auftrat, hat mich seine Bühnenpräsenz umgehauen. Ich habe das immer wieder erzählt, so entrückt wie sympathisch und dringlich war er. Das war 1989. Aus dem ZAKK gibt es ein Video dieser Tour Kolossale Jugend live im Zakk / Düsseldorf 1989 - YouTube

Mit Brüllen, seiner zweiten Band, veröffentlichte er das Album „Schatzitude“ und eine EP auf der „Laufe blau“ enthalten war. Auf dem Cover sieht man bereits das spätere Cover seiner Soloplatte. „Laufe blau“ hat auf jeden Fall vor ein paar Jahren zu einem emotionalen Moment in unserer ersten Radiosendung mit GEWALT geführt. Patrick Wagner nimmt es gern zum Einsingen bei Konzerten und ist ebenfalls Bewunderer seiner Kunst.

Sein einziges Soloalbum kam 2011. Wahrscheinlich eines der schlauesten Alben ever. Was der da alles gegeneinander laufen lässt… „Ich bin ein Bourgeois with a guitar. Ich sehe aus wie ein Mensch, damit man mich erkennt. Aber vom Kopf bis zu den Zehen bin ich ein Riss, ich will durch Wände gehen.“

Maybe he’s the world’s forgotten boy, the one who searches and destroys.

REISEN UND KONZERTE

Das Konzertjahr 2022 war zunächst geprägt von stetigen Ausfällen aufgrund der Pandemie und ab April ging's dann los und wurde ein Rausch. Khruangbin machten dann in Köln im Carlswerk Victoria den Auftakt, an Lässigkeit sind sie nicht zu überbieten, vermutlich eine der einflußreichsten und am meisten geschätzten Bands der Neuzeit.

RIDE UK Tour

Dann die England-Tour im April: Meine Lieblingsband RIDE hat das 30-jährige Jubiläum ihrer Sensationsplatte „Nowhere“ nachgeholt und wir sind so groupieesque hinterhergereist und durften in Manchester im Ritz und in London im Roundhouse dabei sein. Vorband waren jeweils die exzellenten bdrmm. Und im November dann auch noch mal im Düsseldorfer ZAKK, so dass wir eines der besten Alben aller Zeiten in voller Wucht und Schönheit dreimal genießen durften. Leider hat es für die Manchester Church keine Tickets mehr für LOW gegeben, das hätte den Aufenthalt gekrönt, aber der Abschluss mit den wundervollen Australiern The Beths bei einem Rough Trade Instore Gig war einfach herrlich. Dazu gab es Red Stripe.

Die Tindersticks im Bochumer Schauspielhaus waren ein wunderbares Geschenk, immer noch eine famose Band, die eine sehr eigene Kunst und Stimmung mitbringt und die zum nachhaltigen Abtauchen einlädt. Danke Mama.

Im Mai wurde es intensiv. Black Midi entwickeln sich weiter so spektakulär, dass man kaum Schritt halten kann. Das Gebäude 9 wurde zur Intensivstation. Am Tag drauf gaben Motorpsycho im Gloria dann drei Stündchen Psycho für Fortgeschrittene.

Und Robin Proper-Shepherd liefert mit Sophia, endlich mal wieder mit großer Band einen spektakulären und hitreichen Auftritt, bei dem einem die Tränen kommen.

Insgesamt war's auch durch die tollen Festivalreisen geprägt.

Primavera Sound Festival, Barcelona

Die Absagen von Massive Attack und den Strokes schmerzen. Aunty Razor, eine junge HipHop Shouterin mit DJ, hat uns früh am Tag im offenen Boiler Room den Verstand geraubt. Dinosaur Jr. und Yo La Tengo gaben uns alles. Cigarettes After Sex sorgen für einen temporären film noir in melancholischer S/W Ästhetik. Pavement haben zu später Stunde auf der großen Bühne die Glückseligkeit ausgerufen. Eine gelungene Comeback-Operation am offenen Indie-Herz. Taumelndes Tanzen.

Helado Negro lässt uns am zweiten Tag wieder reintaumeln. Nachdem wir die irische Band Fontaines D.C. schon mehrfach live sehen durften und der künstlerische Output so umwerfend ist, dass man kaum glauben kann, wie jung sie sind, geht es jetzt um alles. Können Sie große Bühne? Der Auftritt in Barcelona vor rund 60.000 Leuten ist eine beeindruckende Antwort. Sie haben ein Band-Größen-Format wie Oasis erreicht. Gitarrist Conor Curley erinnert mich auf der Bühne an Mani von den Stone Roses, die ganze Band hat sich enorm entwickelt. Skinty Fia live zu erleben ist großartig, Wiederholung folgte dann im Juli In Köln in Club-Atmo. Tief bewegend.

Nach den Fontaines hat Little Simz gefühlt die komplette Hood aus Islington mitgeschleppt und entsprechend vor größtenteils britischem Publikum aber mal so richtig abgeliefert. Mit fetter Band und Rastamütze hat Simbi die Leute zum Ausrasten gebracht. Warpaint sind immer noch super und mogwai, die aus Schottland als Strokes-Ersatz kamen, lassen uns pulsieren und entlassen uns mit ihrem Überhit „Ritchie Sacramento“ in die Nacht. Disappear in the sun. All gone. All gone.

Beim Auftritt von Einstürzende Neubauten wurde sehr klar, dass diese Band zu den ganz wenigen deutschen Ausnahmekünstlern gehört, die auf der ganzen Welt bekannt sind. Sie sind international so renommiert, weil sie unique sind und einen künstlerischen Abdruck hinterlassen. ALLES IN ALLEM. Mein persönliches Highlight. Blixa Bargeld hat ganz sicher eine silberne Träne dort gelassen, leider ist er dann nicht mehr im Anschluss mit Nick Cave aufgetreten.

Und ich mag Black Country, New Road auch in ihrer schwierigen Erneuerungsphase sehr. Zuerst folgen Nick Cave & The Bad Seeds, dann die Gorillaz, heldenhafte und große Auftritte, die keine Wünsche offen lassen, ebenso wie ein melancholisches Closing von Beach House. Ab in die Rikscha, wir freuen uns auf Porto 2023.

Hans-Joachim Roedelius, der inzwischen 88 Jahre alt ist, hat im Stadtgarten vor viel zu wenig Menschen einen Ausblick auf seine Projekte gegeben und selbstreferentiell auf sein Werk im Bereich Expermental/Ambient/Electronics zurückgeblickt. Of Kluster/Cluster/Qluster&Harmonia Fame…

Minami Deutsch haben im Bumann&Sohn gezeigt, was sie von Harmonia oder Can gelernt/gehört haben und schaffen es, eine eigen Ästethik. Ihre japanischen Kollegen von Kikagaku Moyo hingegen geben am 14.6. im Gebäude 9 das letzte Konzert vor der Bandauflösung, ein Rausch. Bin gespannt, wie die Herrschaften aus Amsterdam weitermachen.

Und die Pixies geben Ende Juli ein umjubeltes Konzert auf dem Roncalliplatz, mit der Macht des Doms im Rücken und mit 38 Songs ihrer langen Karriere im Gepäck. Gigantic!Haldern Pop Festival

Das Line Up ist sicher eins der Besten in Haldern ever. Fast alle wichtigen UK Bands der letzten drei Jahre tummeln sich, das sorgt für gute Laune, gegenseitiges Interesse und ein Füllhorn an wechselseitiger Wertschätzung. Das merkt man Backstage deutlich. Wir sind für unseren musikabend auf 674FM da und haben wunderbare Gespräche mit den KünsterInnen. Die Auftritte von Black  Midi (alle KollegInnen halten sie für die aktuell Besten und Wichtigsten), Black Country, New Road, Gilla Band (erlangen Heldenstatus), Shame (sind viel geiler als im CBE) und Squid geraten ausnahmslos großartig und bestätigen unsere Leidenschaft dafür. Famous und Lounge Society übertragen wir im Rahmen unserer Live-Sendung vom Festival am Samstag. Gerade der Auftritt der Londoner Art-Pop Band Famous ist umwerfend und wird gekrönt, als sich Sänger Jack Merrett ans Piano in der Haldern Pop Bar setzt und „Modern Times“ alleine spielt. Ein Biest von einem Song. BC, NR und Ninja Tune sei Dank, sie haben Famous seinerzeit auf eine Samplerbeilage mit dem Song „Forever“ zu ihrem ersten Album gepackt, dann konnte ich sie im Radio spielen. Der lange Weg lohnt sich. Most promising of 2022!

“And I swear
That waitress just smiled at me
Oh darling, was I not your main heartbreak this year?
It's not like I like to watch you suffer
It's just good to know I can still make you feel“

Wir werden das Konzert nochmals in einem Haldern Special auf 674FM featuren.

Erwartet toll waren die Auftritte der Helden der letzten Jahre:

Parquet Courts, das wird deutlich, haben zwischenzeitlich ein echtes Hit-Portfolio und strahlen uns und der Sonne entgegen. Curtis Harding steht leider nicht zum Interview bereit, dafür aber sein Soulman. shake your hips, hot on the heels of love! Er hat das Momentum auf seiner Seite. Shabaka Hutchings, Ausnahme-Saxophonist und Mastermind dreier Bands ist mit Sons of Kemet auf dem alten Reitplatz und bringt uns gemeinsam mit Super-Tubist Theon Cross die Flötentöne bei, untermauert von der unruhigen Kraft der Schlagwerker. Leider ist ja Seb Rochford nicht mehr dabei. Der war nämlich meine Eintrittskarte zu diesen ganzen neuen und sensationellen Jazzbands, 2008 mit seiner furiosen Kombo Polar Bear.

Mit Shabaka und seiner anderen Band The Comet is Coming (für Haldern 2023 bestätigt!) hat Kae Tempest bereits 2019 kollaboriert, Outstanding, politisch platziert und lyrisch geschätzt ist Kae Tempest so etwas wie das zeitgeistige Mahnmal für unsere Gesellschaft. Lest das Essay Verbundensein. Badbadnotgood nochmals im flow auf der großen Bühne zu sehen, war auch ganz wunderbar.

Wet Leg waren so gehyped und wichtig und mit allen Rockstar Specials versorgt, dass man versucht war, es auszulassen. Haben wir aber nicht. Der Auftritt war schon saulässig und die Hits sind ja derart prägnant gewesen in 2022, dass sich wirklich alle darauf verständigen konnten. Die Parquet Court Jungs vor uns waren auf jeden Fall auch „drauf“.

Das Konzert von 1000 Robota ist ebenso hängen geblieben wie das Interview, das wir mit dem wunderbaren Anton Spielmann führen durften. Eine spannende Entwicklung der Menschen und der Band, auch schön die Idee zu unserem gemeinsamen „Beinahe“-Projekt zur Kunstverpackung der Robota-LP.

Das Highlight in Haldern 2022 war dann Meskerem Mees. Ihr Auftritt in der Kirche war sehr toll, aber wenn es voll ist, sind die Menschen zu laut und das war manchmal störend, ebenso wie der Sound vom Marktplatz. Zum Interview im Pop Bar Garten kam Meskerem dann entspannt und gut gelaunt und hat uns eine private Darbietung zweier Hits auf der Akustikgitarre gegeben, die so intim und schön war, dass sie für immer in meinem Herzen ist. Dank je wel, Meskerem! Im Kölner Club King Georg hat sie dann im September nochmals dafür gesorgt, dass ihre glasklare Stimme und die Arrangements mit gezupfter Gitarre und Cello sich einbrennen. Gekrönt von einer a capella Performance auf der Theke.

BELLA ITALIA

Eric Pfeil kam nach Haldern zur Performance Lesung seines Bestsellers „Azzuro - Mit 100 Songs durch Italien“, was so amüsant wie fundiert vorgetragen wurde. Ein großer Spaß und kurz vor unserer vierwöchigen Italienreise wahnsinnig wertvoll. Eric hat mir dann noch den genialen Tipp gegeben, in Neapel unbedingt das Quartieri Spagnoli zu erkunden. Gesagt, getan. Danke Eric, das war so bereichernd. Viele Geschichten bleiben, und am Rand dem Centro Storico zugehörig, auch ein neuer Plattenladen in meinem Herzen: Gommalacca Records ist hiermit wärmstens empfohlen. Wir sind mit diesen 100 Songs durch Italien gekurvt und ich habe nicht damit gerechnet, aber viele Sachen habe ich weiterverfolgt und es gibt mir eine Menge. Nu Genea mutierten ja unabhängig von den ganzen Klassikern zum Soundtrack des Sommers und es war so perfekt. Ich habe einige Scheiben erstanden auf den vielen Stationen und bin weiter sehr begeistert auf Erkundungstour. Unter anderem ganz toll und auch auf Vinyl wiederveröffentlicht:

FRANCO BATTIATO – POLLUTION | Sony Music

FRANCO BATTIATO – FOETUS | Vinyl Magic

LUCIO BATTISTI – EMOZIONI | Sony Music

LUCIO DALLA – 1983 | RCA

PINO DANIELE – TERRA MIA | EMI

FABRIZIO DE ANDRE – STORIA DI UN IMPIEGATO | RCA

Und natürlich die Aufnahme von Eric Pfeil himself – mit dem Label “Original Top Hit aus Italien”

ERIC PFEIL VERSO MONDO SANGUE – RADIO GELATO | Rheinschallplatten

Eine passende Überleitung zum Kölner Klassiker, dem

Weekend Fest

Passenderweise waren Nu Genea als Helden des Jahres Headliner dieses Festivals. Im Interview vorab zeigen sich Lucio Aquilina and Massimo Di Lena als abgeklärte Kenner aller Styles und intelligente Einflußverarbeiter. Mit großer Band sind sie in der Lage, intelligente Tunes für die Massen zu einem Live-Spektakel zu machen. Das hat so viel Spaß gemacht!

Das Wau Wau Collectif präpariert uns für den Rhythmus des Wochenendes und die schwedisch-senegalesische Kombo pusht richtig gut. HAWA steht in der Menge und rapped die Weisheiten der Jugend. Sie hat einen Vertrag bei 4AD, keep your ears open.

Die klassisch ausgebildete Dänin Astrid Sonne bedient electronics: es pluckert, plockert, dampft und schnarzt, die Beats geben aber genug Zunder für eine clubby atmo.

Coby Sey ist so mysteriös wie wenig greifbar. Eine Vernebelung des klugen, wenig tanzbaren und verschwörerisch anmutenden HipHop. Saucool und beeindruckend, zum Glück in Utrecht mit zwei weiteren völlig unterschiedlichen Auftritten.

Ibeyi, die beiden kubanischen Diáz-Schwestern mit Buena Vista Social Club-Percussion-DNA waren überragend aufeinander abgestimmt und die Performance war pure Freude. Wenn Körper zu Drums werden und sich Roots, Intellekt und Schönheit im Tanz vereinen.

Das Mingus Project bietet im großen Finale angeleitet von Jorik Bergmann das legendäre Album „The Black Saint And The Sinner Lady“ dar. Zum 100. Geburtstag von Mingus eine Sahnetorte auf Hard Bop Boden.

Am 16.10. dann hoher Besuch aus Rio de Janeiro, Marcos Valle kommt als Botschafter der Música Popular do Brasil, auch des Bossa Nova und des Brazilectro ins CBE. Es darf getanzt werden und man muss diese Konzerte einfach sehen, wenn die Herrschaften aus Südamerika im Alter von 79 Jahren nochmals rüberkommen.

Tess Parks hat die dunkle Seite der Macht bei sich, ihre düsteren Psychedelic Dramen setzen sich wie eine Salbe in die Haut und pulsieren danach tagelang unterschwellig weiter. Für ständige Erhellung sorgt das Leffe Blond vom Faß im Lieblingsclub Bumann&Sohn.

Freund Jochen „Charly“ Distelmeyer erklärt uns "Gefühlte Wahrheiten" im Gebäude 9, zeigt uns, warum wir ihm liebevoll auch die nächsten 20 Alben Gehör schenken werden, untermauert seinen vor Klugheit strotzenden „Elder Statesman“-Status in den deutschen Popgefilden und am Schluss kaufen wir ihm ab, dass er „ne kölsche Jung“ ist.

Und Makaya McCraven, der Chicago-LDN-NY Jazz Connector ist am Schlagzeug Weltklasse und spielt mit seinem Ausnahmequartett den Club Bahnhof Ehrenfeld in Extase. Zum Niederknien.

Le Guess Who Festival, Utrecht

Zum zweiten Mal haben wir dieses wundervolle Festival in Utrecht besucht. The Brother Moves On aus Johannesburg haben uns die Genres Ninja Gospel und Maskandi Rock näher gebracht und uns ganz smooth in das Festival getragen. Personal Trainer haben als siebenköpfige Sensation aus Amsterdam überrascht, so tanzbar wie freigeistig, so strukturiert im Aufbau wie extrovertiert in der Performance. Sänger Willem Smit ist absolut fancy. They Hate Change geben uns Straßenrap zum Budweiser Dry Cleaning sind auch live die Dark Special Blend Version der aktuellen Post Punk Genration. Clipping überzeugen mit ihrem Rap im Gewand von Avantgarde, Remix-Kultur, Agrro-Loops und -Vocals. Die perfekte Melange aus Hochkultur und Straße. Curl aus London mit Coby Sea, Mica Levi und Brother May zeigen uns wie dunkel ein Club sein kann. Wir können unseren Cuba Libra im tiefsten Nebel am Bühnenrand kaum sehen. Die Subwoofer machen uns fertig, good night.

Das Muriel Grossmann Quartet diktiert uns im Geiste Coltranes einen spirituellen Jazz auf, der uns für den Abend befreit. Zum Bespiel für das spannendste Projekt beim le Guess Who Maëva Berthelot & Coby Sey performing ‘A Tender Ascent’. Eine wundervolle Performance, visionär, verzweifelt, anklagend, Missstände aufzeigend und geleitend, man lässt sich wie im Traum beeinflussen von den deepen Sounds und Bildern. Das war ausgezeichnet und nachhaltig beeindruckend. Charlotte Adigery & Bolis Pupoul powern höchst sympathisch ihre queeren Beats und Texte in den Saal und ernten so viel Tanz wie Applaus. Idris Ackamor & The Pyramids ist zur 50th Anniversary Show auch eine Ausstellung im Tivoli Vredenburg gewidmet. Live sind sie dann vertraut und rührselig, sie haben immer die Brücke nach Afrika und zurück in die Staaten gebaut, waren und sind Aktivisten, We be all Africans with you. Bar italia haben wir uns kurz gegönnt, musikalisch werden sie uns alle kriegen, an der Live Stimme darf noch gearbeitet werden. KOKOKO! Aus Kinshasa sind schon perfekt, auf die Glocke und ins Gemüt, rau und radikal, schnell und rastlos, eine Explosion. Damit darf dieses ausgezeichnete Festival für uns enden, wir kommen wieder.

Jacques Palminger, Rica Blunck und Viktor Marek sind The Kings Of Dubrock und erfüllen die vorgezeichneten Erwartungen: Glut, Drastik & Erhabenheit in schwer zu übertreffender Eindringlichkeit und Wucht! Fette Beats, fulminante Selbstüberschätzung und musikalische Miniaturen! Endlosgedichte, Selbstbeschuldigungsgeschrei und weinerliche Tiraden! Psychedelische Showtreppen mit Extremchansons und Redestrudeln! Dubbies on top halt!

Den Live-Abschluss des Jahres bieten uns die Kölner Experimental Post Noise Waver von Fovos Alif, die in kein Schema passen wollen, ein denkwürdiger Auftritt im Sonic Ballroom. Anschließend wissen die französischen Pop Punker Johnny Mafia wie man das Spaß-Pedal am Verzerrer tritt und spielen zum Pogo auf. Ein herrlicher Abend, der uns mit Verve auf Morgen schauen lässt.

Bis gleich,

John Ross Ewing

Um über die neuesten Artikel informiert zu werden, abonnieren: