Black Country, New Road - Ants From Up There

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  15. Februar 2022, 17:05  -  #BCNR, #IsaacWood, #Haldern, #BlackCountryNewRoad, #The Windmill, #SpeedyWunderground, #Popmusik, #Indiependentmusik, #674Fm, #Album Review, #Alan Lomax Blog

Black Country, New Road - Ants From Up There

Vor gut zwei Jahren, als die Corona-Pandemie das erste Mal im Sommer wütete und zahlreiche Musikfestivals und Open-Air-Konzerte abgesagt werden mussten, hatte das Haldern-Pop-Festival mit dem Zusammenschluss des irischen Festival Other-Voices, erneut, gallische, tapfere Qualitäten bewiesen und gab nicht auf. Insbesondere eine Band leuchtete damals ganz besonders im leeren Dorfkern: Black Country, New Road!

„Es war wie eine Klassenfahrt für die Band“, weiß dann auch Festival Stefan Reichmann zu berichten. Die jungen Musiker hatten in dem Pandemiejahr des Festivals ein Konzert in der Kirche gespielt und ein anderes im Tonstudio Keusgen (jetzt Haldern Studio). Insgesamt waren die sieben Engländer eine Woche am Niederrhein und haben die Sommerfrische genossen; …sind Fahrrad gefahren, haben getrunken, waren Schwimmen und haben zwei unvergessliche Konzerte gespielt. Unbeschwert, vielleicht ahnend, dass ihnen jede Menge Hürden in den Weg gelegt werden, aber auch fest überzeugt von ihrer Kunst und ihrer Jugend.

Damals stand die VÖ ihres ersten Albums „For The First Time“ bei Ninja Tune Records bevor. Die Ochsentour bzw. notwendige Anerkennung hatten sie sich vor allem in dem Club The Windmill im Londoner Stadtteil Brixton erarbeitet. Dan Carey, einer der derzeit wichtigsten Producer, brachte direkt die ersten Singles „Athen’s, France“ und „Sunglasses“ auf seinem Label Speedy Wunderground raus.

Im Vergleich zu den anderen Bands dieser Zeit, wie z. B. die befreundeten Squid oder Black Midi, war bei BCNR sehr schnell klar, dass der experimentelle Sound und der Verzicht auf bekannte Schemata wie Strophe-Refrain-Abfolgen oder die ungeschriebene Regel, dass ein Song nicht länger als fünf Minuten sein darf, direkt abgelegt. Damals war eigentlich schon ziemlich klar, dass die musikalischen Einflüsse von Jazz und Klassik, aber auch Klezmer und Folk, die kauzigen Storytelling Texte von Ex-Sänger Isaac Wood, zu weltweiter Aufmerksamkeit und einer vorbestimmten Nachhaltigkeit aufrufen werden, obwohl das ehr schwer zu verkaufenden Attribute einer Band sind.

Ähnlich wie die Band Spinal Tap, deren Schlagzeuger alle unter mysteriösen Umständen die Band verlassen haben, scheint es dem Londoner Kollektiv mit den Sängern zu ergehen. Denn nach dem bereits Connor Browne die Band wegen Vorwürfen sexuellen Mussbrauchs verlassen musste, ist es nun Isaac Wood, der die Band inmitten des Marketinggewitters ihres zweiten Albums „Ants From Up There“ verlassen hat. Verantwortlich sind psychische Probleme.

Black Country, New Road sind nicht nur künstlerisch und musikalisch weltweit die Band der Stunde, wenn es um das Thema, welche ehemalige Indie-Post-Rock-Band der zwanziger Jahre, es in 30 Jahren in die Rock’n’Roll Hall Of Fame schaffen wird.  Chris Frantz, Schlagzeuger der legendären Talking Heads bestätigte diese muntere Idee, während eines Interviews mit uns bei 674FM, als wir ihm einen Track von Black Country, New Road vorgespielt haben, mit den Worten „I don't know the band, but Oliver, I know what you mean....“

You are the only one I've known
Who broke the world so quietly
And turned your perfect hands to me
And you ruptured every bone

Diese Textzeile stammt aus dem Song „Haldern“ von Black Country, New Road“. Es ist eine Hymne. Eine Hymne auf die Schönheit dieser Region und Liebenswürdigkeit der Menschen eines Dorfes. Aber der Song ist gleichzeitig ein künstlerisch, wichtiges Dokument, dafür wie sich eine sehr sehr junge Band, in dieser schwierigen Zeit künstlerisch Entwickelt und ein eigenes Selbstvertrauen aufbaut.

Die Musik von Black Country, New Road steht grundsätzlich für eine absichtsvolle Verklärung, aber auch für die Ausgestaltung einer realistischen Darstellung einer jugendlichen Haltung und Sicht der Dinge. Allerdings werden die Aspekte auf diese Sicht der temporären Dinge unserer Zeit, ohne hohe Symbolgehalte vorgetragen und auf den beiden Alben, findet noch nicht mal eine 

drastische Verzerrung statt. Auch liegt das Geheimnis dieser Band nicht in Luft, Licht und Lust. Es ist auch keine neue Sachlichkeit oder eine expressionistische Abstraktion der Dinge. Die Musik von BCNR ist der nicht gedrehte Film „Der Fänger im Roggen“, mit einem Holden Caulfield als Hauptfigur im Jahr 2020, der für eine verlorene Jugend steht, die sich eben gar nicht so sieht und auch eigentlich viel besser erzogen ist als diese jugendliche romantische Pre-Punk-Figur eines J.D. Sallinger.

Auch Ponyboy Curtis und sein Freund Johnny fallen mir nun ein. Weiterhin die Tatsache, dass Teenager von heute über Teenager von heute nachdenken (Susan E. Hinton) und der Idee von Popkultur in einer charakteristischen Gestalt folgen wollen, ohne im Kontext eines Popkulturellen Zwangs zu stehen. Auf Fotos sieht die Band wie ein Cast aus einer aktuellen US-Sitcom aus. Auf der Bühne wirkt das dann wie coole Ironie. Und auch eine zwischenzeitlich veröffentliche Platte mit Lieblingscover Songs, zeigt, dass es dort in Brixton, keine arrogantes Naserümpfen gibt, wenn es um den musikalischen Mainstream der Vergangenheit geht, sondern ehr eine charmante Zuneigung ohne weiterer Berechnung bzw. Kalkül.

Die 30-minütige musikalische Gliederung „The Place Where He Inserted The Blade“ – „Snow Globes“ – „Basketball Shoes“ ist eine gnadenlose, uferlose und wunderschöne musikalische Sensation! Nach dem ersten Mal hören, musste ich an die frische Luft, um durchzuatmen und um mich wieder zu beruhigen. „…I Must Leave It All Behind“ singt Isaac Wood am Ende. Genau, dass musst Du und dann kommst Du zurück.

Black Country, New Road sind die vielleicht erste richtig wichtige Band des 21. Jahrhunderts!

"Certain things they should stay the way they are. You ought to be able to stick them in one of those big glass cases and just leave them alone. I know that's impossible, but it's too bad anyway." (J.D.Sallinger)

Alan Lomax

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