LEE SCRATCH PERRY CLUBBAHNHOF EHRENFELD KÖLN 09.04.2018

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  10. April 2018, 13:02  -  #Konzerte, #Populäre Musik

Foto by Alan Lomax Foundation

Foto by Alan Lomax Foundation

Reggaemusik ist eine große, komplexe und vielschichtige Musikspielart. Das Thema Genrebezeichnung und Musikhistorie, verpflichtet schon alleine wegen des Alias des Autors, ist aber auch bereits immer Thema auf diesen Seiten gewesen. Sicher! Reggae ist bestimmt nicht die vorherrschende Spielart des Blogs, keimt und keimte aber immer wieder bei der persönlichen Musiksozialisierung von mir auf.

Die Ursprünge von Reggae müssen nachgelesen werden, wenn es jemanden interessiert. Ich kann für mich persönlich nur erwähnen, dass ich bereits immer eine große Liebe zum Rocksteady (der sich aus dem Ska entwickelte) hatte und etwas später vom Dub beeindruckt war.

Menschen die damit gar nichts anfangen können, sollte an dieser Stelle doch zumindest kurz vermittelt werden, dass diese Produktionsweise, der Keim der heutigen elektronischen Tanzmusik ist. Die Geschichte dieser aufkommenden und rasanten Entwicklung lässt sich nur langsam erzählen, da sie auch immer unabdingbar, mit den produktionstechnischen Möglichkeiten und auch dem Verstehen, der DJ-Kultur im Ganzen, zu tun hat.

Lassen wir das aber aus und bleiben ca. Mitte der Achtziger Jahre hängen, als ein junger englischer Produzent die Bühne betritt: Neil Fraser aka. MAD PROFESSOR, der vom Status gesehen, der QUINCY JONES des Reggae-Dub ist.

Dieser MAD PROFESSOR schlürft gestern Abend vor dem Clubbahnhof Ehrenfeld mit kleinem Koffer an mir vorbei. Nickt freundlich und sieht dabei aus, wie irgendein Professor der zu einem Kongress unterwegs ist, aber nicht gleich auf der Bühne die seltsamsten Klänge droppen wird. Später zeigt er seine Kunst bei dem denkwürdigen Konzert mit LEE SCRATCH PERRY auf der Bühne. Dabei fallen hörbar seine Versuche auf, permanente Beats aufzubrechen, die Pattern noch mehr zu reduzieren um ein völlig neues Klangbild zu kreieren. Das gelingt nicht immer, insbesondere nicht bei manuell erwirkten Effekten formidabel, macht das Ganze aber rootiger, erlebbarer und dynamischer.

Eine Faszination des Dubs ist ja insbesondere die ständige Veränderung des Klangbildes. Der Hall, die Raumtiefe, die Breaks und insbesondere die ständigen Flangersounds, machen eine Rundung des ganzen unmöglich. Den geneigten Zuhörer katapultieren das durch aus in eine andere Dimension. Und wirklich, schnell wird klar, dass  das Konzept von MAD PROFESSOR göttlicher ist, als die trotzdem beeindruckende Erscheinung des LEE SCRATCH PERRY als weißer Gott.

Für viele Besucher sicherlich ehr das Highlight des gestrigen Abends. PERRY ist so etwas wie die letzte lebende Legende mit Rastafari-Konnotation. PERRY wurde 1936 geboren und hat seit den frühen 1950ziger Jahren den Reggae maßgeblich mit beeinflusst und weiterentwickelt. Die Liste der Hits, auch für und mit Bob Marley –Sun is shinning– ist unendlich und musikhistorisch gesehen, tatsächlich einzigartig.

Schwer zu sagen, was der Mann da gestern alles gesagt hat. Offensichtlich hatte er ein negatives Erlebnis mit der Deutschen Bahn und auch mit den deutschen Wachtmeistern. Grundsätzlich scheint es aber so, dass er frei improvisiert und einen extrem absonderlichen Humor hat. Streckenweise wirkt er auch etwas unsympathisch diebisch, schadenfroh (?) und eindeutig politisch unkorrekt. Was aber an diesem Abend weder Mann noch Frau zu stören scheint. Gut! Man muss auch nicht immer alles so ernst nehmen.

Die Kombination der Dubs des PROFESSORS und der Selbstdarstellung von PERRY sind extrem unterhaltsam, irgendwie skurril und auf jeden Fall musikalisch galaktisch facettenreich und dynamisch. Man kann wohl sagen, ein denkwürdiges Konzert…  

Alan Lomax

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