NOS PRIMAVERA SOUND FESTIVAL PORTO 08.06.-10.06.2017 - APHEX TWIN und JUSTICE

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  12. Juni 2017, 13:55  -  #Konzerte, #Populäre Musik

NOS PRIMAVERA SOUND FESTIVAL PORTO 08.06.-10.06.2017 - APHEX TWIN und JUSTICE

Am vergangenen Wochenende habe ich das NOS PRIMAVERA SOUND FESTIVAL in PORTO besucht! In den nächsten Tagen, werde ich vereinzelt von meinen persönlichen Highlights berichten...

 

SAMSTAG APHEX TWIN/FREITAG JUSTICE

 

Der Vollmond steht über dem kleinen Parque da Cidade. In etwa 100 Meter Entfernung von mir steht die große NOS PRIMAVERA STAGE. Ich selbst stehe auf einem recht wacklig zusammengezimmerten Holzpavillon des portugiesischen Bierherstellers SUPER BOCK, trinke selbiges und beobachte die um mich herlaufenden Menschen, die sich auf das kommende Konzert des britischen Musikers Richard David James vorbereiten. Viele drängeln sich nach vorne, was Unsinn ist, wenn man nicht die spektakuläre Videoinstallation verpassen will, viele bleiben hinten stehen, was Unsinn ist, wenn sie einen der wichtigsten lebenden elektronischen Musiker der Gegenwart sehen wollen.

 

Ich denke darüber nach, wie wohl die Erwartungshaltung der Menschen vor diesem Konzert ist? Denn kommerziell erfolgreich war der auch als APHEX TWIN bekannte Musiker in den 1990ziger Jahren mit der Musik zu den grandiosen Videos (man muss es aus heutiger Sicht so darstellen) von Chris Cunnigham. Aber kaum zu glauben, dass die Menschen deswegen gekommen sind, denn auch COME TO DADDY oder WINDOWLICKER waren nicht mehr als Undergroundhits. Ich glaube das die Menschen tanzen und Spaß haben wollen. Sie vertrauen ihrem Festival und wissen, dass dieser HEADLINER-SLOT auf der großen Bühne etwas spezielles für sie bereit hält. 

 

Der Freitag hatte dies bereits mit den französischen Electronica Duo JUSTICE bewiesen, die natürlich mit inzwischen auch in Dorfdiskos gelandeten Superhits wie WE ARE YOUR FRIENDS bekannt sind, den Königssessel als French-House Könige eingekommen haben und Daft Punk vorerst den Dancefloor Thron  abgenommen haben. Was sollte nun also anders werden?

 

Man kann wohl sagen alles! Denn der englische Künstler ist nicht als darstellender, auftretender Musiker nach Porto gereist, sondern als Lichtinstallateur, Neuerfinder der elektronischen Musik und als Klangforscher.

 

Die Bühne verdunkelt sich wir erkennen über die komplette Breite der Bühne verschiedene Größen von illuminierten Rechtecken und Quadraten die sich später als vereinzelte Videoleinwände entpuppen werden und sich noch viel später als wunderbarer optischer Gegenpol zu einem sensationellen und aussagestarken Lasergewitter entwickeln sollte. 

 

Aphex Twin selbst sieht man sich. Aber in der Welt der Elektronik ist das auch nicht wichtig. APHEX TWIN ist in dieser wunderbaren Nacht mit zwei Aufgaben angereist: Das derzeitige Diktat von den stumpfen Elektro-DJ dieser Welt zu befreien und das Universum mit neuen Klangexperimenten zu erreichen.

 

Die erste Aufgabe gelingt ihm von Beginn an! Das schon fast ordinäre und größenwahnsinnige Bühnendesign macht klar, dass das kaum ernst gemeint sein kann. Auch das spätere Lasergewitter, als Hommage zu Techno- und Raveevents, kann kaum ernst gemeint gewesen sein. Und dass dazwischen dennoch ein kleiner Mann steht und irgendwas macht? Das war eh schon immer Verarsche…. Und klar es sind dann auch die Guetta“s“ und Calvin Harris“e“ dieser Welt, die die elektronische Musik dahin geführt haben, wo sie derzeit steht. Kurz vor dem Abgrund!

 

 

Thank You: Jerome Faria

Aber es gibt natürlich auch die musikalische Seite und die ist selbst zwischen diesem Wahnsinn sensationell. Wir hören verschachtelte Tracks ohne tanzbare Beats, teilweise nur minutenlange Frequenzen und komplexe Töne, ohne sofort erkennbare Arrangements. Die Reise geht eindeutig in Richtung Avantgarde und Experiment in die Welt der Stockhausens und Reichs dieser Welt und noch weiter weg von sogenannten Postrockbands oder ähnlichem. 

 

Was ich in dieser Samstagnacht gehört habe, war die (Neu-)erfindung der elektronischen Musik auf der großen Bühne. Es gibt sicherlich viele vergleichbare und vielleicht sogar in der Klanggebung bedeutendere Künstler als APHEX TWIN, aber er hat nun einmal derzeit die Macht, dies auf der großen Bühne zu zeigen, um so einem Genre den wichtigen Impuls zu geben, damit es nicht als Rauminstallation oder Discohit droht zu enden.

 

Im besten Sinne war das ein PUNK ROCK KONZERT, weil es dazu aufgerufen hat, dass zu zerstören was es kaputt macht, um ein Klanguniversum und eine Kunst so neu zu erfinden bzw. zu retten.

 

JUSTICE hingegen standen mit einer ähnlich spektakulären Lichtinstallation, aber mehr Spaß und Tanzbarkeit im Zenit des Mainstreams. Was aber durchaus erträglich und als Gegenpol wichtig war zu zeigen. Denn natürlich besteht diese Welt nicht nur aus kopflastiger Kunst, aber eben auch nicht nur aus hedonistischer Tanzwut. Es ist irgendwas dazwischen. Und es ist toll zu sehen, dass ein Popmusikfestival in der Lage ist dies zu aufzuzeigen und sich diesem Kuratorium annimmt. 

 

PRIMAVERA steht eben genau für diese schwierige Herausforderung. Popmusik in allen Facetten ernst zunehmen und den Menschen zu zeigen, an welchem Punkt diese Gattung derzeit steht. Dabei gehen die Festivalmacher mit ihrer feiner Buchung keinem einzigen Zuschauer mit einem Trendgehabe, aber eben auch nicht mit einem all’ zu sehr traditionellem Ansatz auf die Nerven  Es ist ein mehr als akzeptabler Ansatz, Menschen denen Musik etwas bedeutet, ernst zu nehmen. 

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