Superman - John Williams' Meisterwerk
Die Doppel LP besitze ich noch. Ich glaube Ende der 80'er Jahre, Anfang der 90'er waren ich, Marc H., Thomas H. und Alan L. im Untergrund von Hannover unterwegs, besser gesagt in der Passerelle. Hinter dem Bahnhof eine Etage tiefer gab es am Raschplatz einen grossen Plattenladen, dessen Namen ich leider vergessen habe, Phonac? Auf jeden Fall hatten die auch eine Ecke mit Scores und dort erstand ich dieses Doppel-Album ganz in dunkelblau-schwarz mit silbernen Lettern zum aufklappen. Innen konnte man Christopher Reeve in ganzer Länge als Superman bewundern.
Viele Jahre waren nach dem Kinoerlebnis vergangen und an die Musik konnte ich mich nur noch vage erinnern, aber nachdem ich erkannt hatte, dass es neben mir noch andere Menschen gab die sich mit dieser Musik beschäftigten, ganze zwei weitere ausser mir von über 100 anderen Schülern, entfachte die Leidenschaft für diese Musik, weil man sich austauschen konnte. Zu dem damaligen Zeitpunkt war ich beschäftigt mit den Scores des Golden Age, mit Komponisten wie Korngold, Steiner, Waxman, Rozsa und vielen anderen. Parallel dazu war ich in der Welt der Klassik vertieft. Genau in diese Phase der Entdeckungslust und sensiblen Phase der Prägung kam ich Kontakt mit der Musik von Williams.
Nun fast 20 Jahre später konnte ich vor einigen Tagen mein Sammlerherz erfreuen und packte mit zittrigen Händen die Box von FSM aus der Folie: eine wunderschöne blaue Box mit 8 CD's und Musiken zu allen 4 Superman Filmen, sowie einem Booklet in der Stärke eines Buches (!) mit Seiten aus Hochglanzpapier und unendlich vielen Informationen und auch Anekdoten zu der Entstehungsgeschichte der einzelnen Scores. Eureka! Der Kreis, welcher vor 32 Jahren begann schloss sich mit dieser Box und viele Erinnerungen kamen damit hoch.
Einer der schönsten Momente des Jahres 2010. Dem Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen!
In dem Beitrag zum Superhelden warf ich die Frage auf, wie ein Mensch in der Lage sein kann so schöne Musik zu schreiben? Williams selbst sagt, dass es neben der Inspiration durch den Film auch sehr viel harter Arbeit bedürfe und es bei Leibe nicht so einfach sei solche Musik zu schreiben, wie man im allgemeinen annehmen würde. Sehr bescheiden er ist! Wie kaum ein anderer Musiker verfügt John Williams über die Gabe, dieses unglaubliche Talent Melodien zu schreiben, die infektiös sind und einen über das Hören hinaus beschäftigen. Superman verfügt in diesem Zusammenhang über sagenhaft schöne Melodien und Themen, die mitreissend und in ihrer Komplexität schier überwältigend sind.
Warum hört man Musik? Diese Frage habe ich mir so oft gestellt und sie nicht für mich schlüssig beantworten können. Ich glaube, dass man in einer rationalen Welt irgendwann an seine Grenzen gerät, sich zwar vieles erklären kann aber dann an einen Punkt gelangt, an dem man nicht mehr weiter kommt. Als Mensch stellt man sich viele Fragen, sucht und versucht Erklärungen zu finden, dass liegt in unserer Natur. Dort wo der Verstand an seine Grenzen stösst, so glaube ich, findet die Musik Anschluss und führt einen weiter. Einige verlieren sich in der Wissenschaft, andere frönen der Lebenslust ohne viel zu fragen, wieder andere flüchten sich in Religionen. Bei mir, dass schreibe ich bewusst, gibt mir die Musik alle Antworten die ich auf rationalem Wege nicht finden kann. Das ist nichts ungewöhnliches, kennt doch ein jeder dieses Gefühl, egal ob man nun PoP, Jazz, Rock, Soul, Schlager oder was auch immer hört.
John Williams, deswegen verehre ich diesen Menschen so sehr, trifft mit seiner Musik genau ins Schwarze um es mal salopp zu formulieren. Ich denke jeder hat in seinem Hobby Musik einen solchen Musiker, den er bewundert und der solche Emotionen auslöst. Die Musik von Williams hat einen fast transzendentalen Charakter. Unabhängig von ihrer Schönheit führt sie einen weit fort, löst eine Gänsehaut nach der anderen aus und macht eines: glücklich. Egal, ob nun 'Superman', die Musik zu 'Star Wars', 'Unheimliche Begegnung der Dritten Art', 'Der weisse Hai' oder 'E.T'. Die Liste liess sich unendlich fortsetzen.
Superman ragt aus diesem Kosmos der William'schen Musiken heraus, was daran liegt, dass die Bandbreite der Emotionen die durch die Musik, das Orchester vermittelt werden, die Fülle an Themen und Ideen schier grenzenlos ist. Ich gebe zu, dass ich einen Hang zu 'Larger Than Life' habe, egal ob nun in der Musik oder im Kino. Genau dieses überlebensgrosse vermittelt Williams in seiner Musik virtuos. Das beginnt bereits mit dem Hauptthema oder dem Marsch zu Beginn. Fast 1:1 übersetzt er die Physis in Musik. Was ich in den Liner Notes las und mir auch nicht bewusst war: Die Töne sprechen "SU-per-man!" wortwörtlich aus (Schönheit der Erkenntnis!). Richard Donner, so liesst man im Booklet, war bei den Scoring Sessions zugegen und lief vollkommen euphorisiert auf die Bühne unterbrach die Recording Sessions und schrie "Genius! Genius!" Das Orchester hielt inne, Williams war konsterniert und alle klatschten Beifall. Wenn die Bläser anstimmen und die Fanfare erklingen lassen, dann ist man virtuell bereits dabei die Füsse in die Hand zu nehmen um los zu fliegen. Dann kommen diese wunderbaren Streicher hinzu und zu einer elegischen Melodie fliegt man dahin. Grandios!
link zu YouTube und den Main Titles
Der gesamte Score ist fast 2h lang und wenn man die nötige Geduld aufbringt alles zu hören beschert einem das ein Erlebnis der dritten Art. Alle Themen (Leitmotive) sind nicht nur einfach plakativ, sondern so ausgefeilt und komplex, dass sich alles erst nach mehrmaligem Hören erschliesst. Auch jetzt, nachdem ich diese Musik in der Vergangenheit bereits zig-male gehört habe, entdecke ich immer wieder Nuancen, die mir vorher entgangen waren. Als Superman in seinem Raumschiff zur Erde fliegt (The Trip to Earth) schreibt Williams in etwas mehr als 2 min eine kleine musikalische Odyssee mit betörend schönen Streichern und einer fast ätherischen Melodie. Die Spannung, die Weite des Alls, die Dramatik des Flugs, der majestätische Aspekt, alle diese Komponenten werden brillant vertont. Als Superman auf der Erde landet hört man Americana, Action und Pathos vom allerfeinsten. Der junge Clark Kent, frustriert von der Tatsache, dass er seine Kräfte nicht zeigen oder anwenden darf, nimmt auf dem Weg nach Hause einen Wettkampf mit einem Zug auf (Growing Up). Wie Williams diesen Wettkampf Maschine gegen "Mensch", die Geschwindigkeit musikalisch umsetzt ist furios. Das sind eben Qualitäten, die wenige Komponisten besitzen. Eines seiner schönsten Themen, vielleicht das am meisten zu Herzen gehende ist das 'Flying Theme'. Im Film besucht Superman Lois Lane und beide essen zusammen. Danach nimmt er Lois Lane mit auf einem Flug über Metropolis. Ich kann leider nicht in Worten umschreiben, wie diese Flugsequenz vertont wird. Das ist das, wovon ich weiter oben schrieb, da kommt die Ratio an Ihre Grenzen.
Aber diese emotionale Tour de Force setzt sich kontinuierlich über das gesamte Album fort, so dass ich hier nur wenige Titel nennen kann. Alles andere würde den Rahmen sprengen. Vielleicht noch ein Track, der verdeutlicht, über was für unfassbar kompositorische Qualitäten dieser Musiker verfügt:
link zu YouTube und dem 'March of the Villains'
Man höre wie dieser Marsch aufgebaut ist, wie er stetig nach vorne drängt und sich immer weiter entwickelt, auf den Rhythmus, die Dynamik, die Orchestrierung - sensationell. Hier handelt es um eine so genannte Konzertversion eines Themas aus dem Film, welches Lex Luthor zugedacht ist.
Die grosse Qualität der Filmmusiken von John Williams liegt uneingeschränkt darin, dass sie über eine einzigartige Eigenschaft verfügen: man kann sie losgelöst von den Bildern geniessen, als eigenständiges musikalisches Werk. Das gilt für Superman, aber ebenso für fast alle Scores die dieser Komponist und Musiker geschrieben hat. In Amerika werden viele seiner Musiken zu allen erdenklichen Anlässen gespielt und gehören bereits jetzt zum Kulturgut.
Superman ist ein Meisterwerk der absoluten Extraklasse, um das erste Wort nochmals mit Absicht zu überhöhen. Die Beschäftigung mit der FSM Box, der Musik, den Erinnerungen an die Vergangenheit und die Bestätigung der eigenen Leidenschaften bestimmen den momentanen Gemütszustand, der geprägt ist von unendlicher Euphorie.
John Williams ist ein Held, eine lebende Legende, einer der Menschen, die in der Lage sind durch ihre Kunst meine letzten offenen Fragen zu beantworten.
Ein 'Superman der Musik'.
Rick Deckard