Frau Weißenfeld’s Wohnung in Hamm bei der Biennale für Internationale Lichtkunst Ruhr 2010 – Open Light in Private Spaces
Ich befinde mich im Martin-Luther-Viertel der Stadt Hamm. Während andere Väter mit Ihren Kumpels und 40 Liter Bier durch die Wälder streifen, entdecke ich eine Stadt, die jeder andere noch nie berücksichtigt hat.
Das Viertel wirkt bürgerlich, alte Häuser, Ruhrgebietcharme, leichter Regen. Was zu erst auffällt sind drei alte Kinos. Die nicht mehr betrieben werden. Die alten Fassaden geben aber immer noch den Glanz der alten Kinozeit wieder.
Ich streife hier rum, weil ich die Biennale für Internationale Lichtkunst, die vom 28.03. bis zum 27.05. im Rahmen der Kulturhauptstadt Eropas RUHR. 2010 stattfindet besuche. 60 Einwohner der Städte und Gemeinden Bergkamen, Bönen, Fröndenberg, Hamm, Lünen und Unna offnen ihre privaten Räumlichkeiten für die Werke international renommierter KünstlerInnen.
Die Idee, Kunst in der echten Wohnkultur zu veröffentlichen gefällt mir. Allerdings bin ich noch immer skeptisch, wie so etwas umgesetzt wurde. Soll ich tatsächlich in fremde Wohnzimmer gehen, um mir dort Lichtobjekte anzusehen? Die private Sphäre von Menschen brechen, in ihren Wohnzimmern rumlungern und niveauvolle Gespräche führen?
Matthias Wagner kuratierte diese Biennale. Sie bietet Begegnungen mit herausragenden Werken von Künstlern, die Licht als Werkstoff verwenden. Gleichzeitig erlaubt diese „Ausstellung“ einen Blick auf die heutige Lebens-, Arbeits- und Wohnkultur im östlichen Ruhrgebiet.
Ich betrete die Wohnung von Frau Weißenfeld in der zweiten Etagen. Der erste Eindruckt überrascht kaum. Eine Schrankwand im Wohnzimmer, die typische Couch aus dem Möbelhaus. Allerhand Nippes und wertloses als Dekoration. Zwischen 4 weiteren Besuchern sehe ich Frau Weißenfeld. Eine unauffällige Dame. Sie trägt die typischen Hausschuhschlappen. Mitten im bürgerlichen Wohnzimmer sind zwei Objekte des Künstlers Björn Dahlem aufgebaut.
Beide Objekte sind aus alltäglichen Materialien hergestellt. So hat er z. b. mit einer Mineralwasserflasche und einigen Rohmaterialien den Lebensbaum des Menschen dargestellt. Ein weiteres Objekt steht in der Küche. Eine ganz normale Einbauküche. Auf dem Boden steht noch das echte Katzfutter für Kater Peter. Aus dem Fenster sieht man die gegenüberliegende Lutherkirche. Vor dem Fenster ein kleiner Tisch. Darauf steht die Kaffeemaschine und ein kleiner Aschenbecher. Hier sitzt Frau Weißenfeld immer und sieht auf Kirchplatz hinaus.
Hinter mir entwickelt sich ein Gespräch. Andere Wohnungsbesucher sind mehr an Frau Weißenfeld interessiert. Sie steht Rede und Antwort auf die Fragen, warum sie ihre Wohnung öffnet, ob das nicht anstrengend sei und ob sie den Künstler den auch schon persönlich getroffen habe.
Frau Weißenfeld, nun gar nicht mehr, unfällig, strahlt. Sie erzählt von der Begegnung mit Björn Dahlem und das er das Objekt in der Küche, extra für den Raum von Frau Weißenfeld entwickelt hat, sie berichtet davon, wie sie sich oft mit ihren Freunden bei Schnittchen und Wein im Wohnzimmer treffen und einfach die Kunst auf sich wirken lassen. „Dabei sitzen wir auf dem Boden, im Schneidersitz, wie zu Studentenzeiten“, lächelt sie uns dann noch entgegen. Außerdem erzählt sie, wie glücklich sie das Zusammenleben mit den Objekten für die Zeit der Biennale macht. Wie sehr ihr die Kunst hilft und das sie die Begegnung mit den Menschen in ihrer Wohnung so liebt.
Beeindruckt verlasse ich die zweite Etage. Die nächste Adresse ist die Lutherkirche. Hier hat Dahlem eine raumgreifende Rauminstallation erstellt. Die riesigen Neunröhren wirken in der alten Kirche, wie ein Raumschiff. Wahrscheinlich soll es aber die Unendlichkeit darstellen. Die Installation steht klar im Kontext zu den Objekten in Frau Weißenfelds Wohnung. Kunst macht auf einmal Sinn, Spaß und wird Authentisch.
Ich bekomme Lust auf mehr, besuche noch „das Motorrad“ bei Herrn Milk. Sitze in einer Augenarztpraxis, gehe durch ein altes Kino und lande bei einem Architekten in seinem Ököhaus.
Zwischenzeitlich schreibe ich bei Ehepaar Reumke meine Eindrücke in ein weißes Buch. Herr Reumke erzählt mir dabei, wie er alte Dinge sammelt und sie diesem tollen Stadtteil zur Verfügung stellt. So stellt er in den Straßen eigene Objektkunst auf alten Rolltreppenteilen aus. „…die habe ich von Horten am Bahnhof als die Pleite gegangen sind“, sagt der Einzelhändler.
Mir fehlen die Worte. Ich werde süchtig nach mehr! Will mehr Kunst in Wohnung sehen, möchte mich noch mehr mit den Menschen unterhalten, ihnen begegnen, sie kennenlernen und verstehen, was Kunst mit Menschen anstellen kann und wie sie alltägliche Dinge verändert.
Was für ein bereicherndes Erlebnis
Alan Lomax
http://www.biennale-lichtkunst.de/pages/de/projekt/index.projekt.htm