Niels Frevert - Zettel auf dem Boden

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  20. November 2011, 13:16

255753_1.jpg

Eigentlich ist es doch lustig! Wir plattenbewussten Musiknerds um die vierzig machen uns lustig über die mp3 bewusstlosen Radiohörer um die zwanzig und ermahnen mit erhobenen Zeigefinger, dass diese ganzen pickligen Sänger mit Gitarre (Tim Bendzko, Bosse und wie sie alle heißen) keine gute Musik machen.

Selbst aufgewachsen mit deutschen Bands und ihren Songs, wie der Nationalgalerie, Kante, Begemann, Flowerpornoes, Tomte, Erdmöbel usw. (FSK, Zitronen, Sterne und so meine ich nicht) meinen wir zu wissen, dass wir im richtigen Lager sind.

Erklären Sie aber bitte einmal einer sechzehnjährigen die vor dem Club auf das Tim Bendzko wartet, warum meinetwegen Frevert ein besserer Künstler mit inhaltsstärkeren Liedern ist!? 

Ich möchte Sie gerne dabei beobachten, zu hören und würde jetzt schon wetten, dass das nicht möglich ist und frage gleichzeitig nach dem Sinn dahinter.

In Zeiten wo all' diese Musiker und Helden mehr und mehr dem Mainstream als dem Untergrund zu zuordnen sind, sie alle bei der unerträglichen Ina aus Hamburg in ihrer noch unerträglicheren Sendung auftreten und spät, aber zu recht in den Genuss der Ausstrahlung im öffentlichen Fernsehen kommen, muss man aber wieder anfangen nach Standpunkten zu fragen, nach Musiksozialisierung, nach Ernsthaftigkeit, nach Kunst (?), nach Punk.

Frevert singt so schöne Sachen wie "es hat durchaus was, hassenswertes..." und mahnt den Unsinn der Geldverteilung an. Bendzko singt von Weltrettung und schafft es nicht, weil er sich profaneren Dingen wie Emails checken hingeben muss.

Solche Überlegungen, solche Vergleiche und Diskurse treiben einen in den Wahnsinn. Machen einen zu einem einsamen Menschen, zu einem Versteher und einem Missverstandenen.

Ich rufe mal leise aus, dass ich kein Fan der Globalisierung und der Vermainstreamisierung bin. Aber deutsche Musik, deren Entwicklung in der Gesellschaft und die ganz einfache Tatsache (ich hatte es bereits angesprochenen), dass Menschen die Uhlmann Platte direkt hinter Grönemeyer in der Wiedergabeliste "Deutsch-Rock" (AUA!) einordnen, kann ich nicht hin nehmen. Es tut mir weh.

Andererseits freue ich mich, dass es diese ARD Sendung "Inas Nacht" gibt und Sendungen wie "Die Show des Scheiterns" wo man einen Frevert oder Diestelmeyer, direkt sehen kann.

Merkwürdige Zeiten, früher war das einfach. Da gehörte uns diese Musik in miesen kleinen Clubs. Gedankenverloren, Bierseelig, standen wir wissend am Tresen, dass dieser Typ da oben auf der Bühne, ein eben so großer Looser ist, wie man selbst und es nicht schaffen wird. Nun aber sind sie frei nach Bernd Begemann in Talkshows. (So ein Satz ist der Vorteil von bloggern, weil man es einfach so stehen lassen kann, man selbst damit zufrieden ist, es aber kein anderer verstehen wird, Bildungsbürgertum vom übelsten, aber für sich selbst sehr schön)

Nebenbei gesagt ist die Platte von Niels Frevert übrigens ein Zeichen für erhabene Schönheit in Verbindung von Musik und den Möglichkeiten der deutschen Sprache, diese bei Popmusik zu verwenden, ohne albern, oberflächlich oder unnötig zu klingen.

Und nebenbei hat man zu dem die Möglichkeit, in sein Archiv zurückzugreifen und das ganze Wochenende großartige deutschsprachige Musik zu hören, die sonst keiner hören kann, weil sie oftmals nicht als Downloads vorliegen. Ein klarer Vorteil, wenn man mal keine Lust mehr auf zeitlichen Pop á la Bendzko hat und wissen will, welche weiteren Möglichkeiten einem dieses Genre bietet. "Ich kann jede Zeile mitsingen" (aus Blinken am Horizont)

Ich sehne mich nicht mehr nach einem positiven Geräusch, weil ich die neue Frevertplatte habe, die mich sehr glücklich macht und mich mal wieder anstößt, all' die anderen Platten der letzten 20 Jahre zu hören die mir soviel bedeuten...

Alan Lomax 

 


Um über die neuesten Artikel informiert zu werden, abonnieren: