"Voll fett, Alter!"

von Alan Lomax und Rick Deckard  -  3. April 2009, 08:46  -  #Kommunikation


Rick Deckard beobachtet unermüdlich seine Umwelt und v.a. die Menschen um Ihn herum.

Ein besonderes Augenmerk hat er dabei auf den prozentual grossen Anteil der bürgerlichen Mitte gerichtet, diese so wunderbar formbare und im Grunde identitätslose Masse. Er ist sich nicht sicher, hat aber das Gefühl, dass diese Schicht deswegen für Konzerne interessant ist, weil sie nicht über eigene Ideale verfügt und somit perfekt manipuliert werden kann.

Aber auf diesen Tatbestand will Deckard aber gar nicht hinaus, sondern auf die Sprache der sich in diesem Anteil der Gesellschaftsschicht aufhaltenden Menschen. Als er vor Jahrzehnten aus einer Galaxis weit weit entfernt anreiste, hielt das Raumschiff in Hannover, Capital Town of Lower Sachsony. Man erzählte Ihm später dort würde das 'beste Deutsch' des Landes gesprochen, namentlich 'Hochdeutsch'. In der Schule kam er dann mehr oder weniger in den Genuss des Landes der Dichter & Denker. Beeindruckend, v.a auch die deutschen Philosophen und Künstler. Er beobachtete aber im Laufe der letzten Jahrzehnte auch eine zunehmende Durchmischung der Sprache mit Wörtern aus dem angelsächsischen Raum und sog. Subkulturen und fragte sich immer wo diese Veränderungen im Ausdruck und in der Sprache zuerst stattfanden und wie und warum sie weitergegeben wurden. Eine Antwort auf diese Frage hat er bis heute nicht gefunden. Was ihn aber beeindruckt hat, ist wie schnell bestimmte Worte und Slogans einer bestimmten Sprache in der Mitte der Gesellschaft ankommen und umgesetzt werden.

Sprache ist ein elementarer Bestandteil der Kommunikation, die gesprochene, aber auch die Körpersprache. Es ist interessant, dass in all den Jahren keine Entwicklung in der deutschen Sprache selbst stattgefunden hat, sondern diese durch Einflüsse von aussen nachhaltig verändert wurde. Nun ist Deckard kein Soziologe oder Sprachwissenschaftler sondern ein Alien aus einer anderen Welt, der versucht zu begreifen, was warum um Ihn herum passiert und so machte er sich auf die Reise und ging dem Jargon innerhalb der Sprache auf den Grund. Sein Hintergedanke war dabei herauszufinden, warum die Bürger & Bürgerinnen dieses Landes Ihr Selbst mit dieser sprachlichen Veränderung aufwerten? Ein Klassiker der Begrüssung z.B. ist heutzutage unter Bekannten nicht der klassische Handschlag, der mal demonstrieren sollte, dass man in Frieden kommt, sondern die geballte Faust, die mit einer leicht ausholenden Bewegung der Schulter locker aufeinander gehauen wird. Deckard weiss nicht genau was das zu bedeuten hat, findet es aber irgendwie komisch, wenn Menschen in Jack Wolfskin und Barbour Jacken sich so begrüssen. Deckard ist weiss Gott kein Konservativer, der alte Strukturen bewahren und erhalten will, sondern lediglich ein Beobachter und Analytiker (vor dem Herrn).

Zurück zum eigentlichen, nämlich der Sprache und den neuen Wörten. Da R.D. die Tendenz besitzt Oberlehrerhaft mit dem erhobenen Zeigefinger durch die Gegend zu rennen und auf altklug macht forschte er ein bisschen im Netz und fand das heraus:

Gefängnisjargon

'Ansage machen' - gerne von Chefs und Produktmanagern usw. verwendet. Ursprünglich wollte man einem Insassen verständlich machen, dass er Sanktionen zu befürchten hätte, wenn er sich nicht an Spielregeln hält. Nun fallen diese Sanktionen aber im Knast deutlich härter aus, als in einem Büro aus Glas, Senso-Maschinen und Computer.

Computerspiel-Jargon

'bratzen' - Deckard bekam einmal mit, dass jemand auf einer Party sagte "Ich gehe mal einen bratzen!". Derjenige wollte auf die Toilette. Das Wort kommt aus den Egoshooter-Spielen, wo nicht gezielt und einzeln geschossen, sondern gleich die ganze Salve verballert wird. Interessant im Hinblick auf die Defäkation.

'overkill' - "Das ist ja der ultimative overkill!" Hört man ja oft, ist aber meistens fehl am Platze, denn es bedeutet bei den Ballerspielen dem Gegner mehr Schaden zuzufügen, als es bräuchte um ihn zu töten. Man sollte aufpassen was man sagt denkt sich Deckard.

'pushen'- einen anderen Spieler in seiner Entwicklung helfen. Warum sagt man das dann nicht so, sondern 'pusht' diesen? So ein Blödsinn. Ausserdem steht das ja völlig konträr zur 'Gaius Crispus Theorie'. 

Drogenjargon

'abziehen' - "Ich zieh' Dich ab!". Schon oft gehört, insbesondere bei Brettspielen. Steht aber eigentlich in Zusammenhang mit Beschaffungskriminalität.

'ballern' - Gerne von Mallorca-Urlaubern verwendet, bedeutet sich Heroin spritzen. Interessant wie in der Sprache der Effekt des Wortes von der einen auf die andere Droge verschoben wird.

'Fett' - benommen/ berauscht, unmittelbar nach Heroin- oder Cannabiskonsum. Also stimmt es dann ja nicht, wenn jemand sagt 'Ey Aldder, voll Fett die Mucke!' oder? Hier erkennt Dekard den Möchtegern-Gestus unwissend der eigentlichen Bedeutung. Peinlich!

Graffiti-Jargon 

'racken' - bedeutet eigentlich Sprühdosen stehlen. Also "racken" gehen im Sinne von arbeiten ist totaler Blödsinn.

Hip-Hop-Jargon

Sehr interessanter Aspekt, da hier versucht wird, die Coolness und das Lebensgefühl einer anderen Subkultur zu übernehmen, die Tatsache vollkommen vernachlässigend, dass diese Begriffe aus einer vollkommen anderen Lebenslage, Ethik und Wertesystem entstanden sind.
Hier einige Klassiker:

'down' - "Ich bin total down!". Klingt "ich bin schlecht drauf" zu spiessig oder altbacken? Deckard vermutet hier diese o.g. Aufwertung seiner selbst bei Aussage dieses Wortes. 

'fett' - da ist es wieder und bedeutet in etwa 'grossartig'.

'Hamma' - jeder weiss was gemeint ist. 

'old school' - man sagte das einmal zu mir, als ich in überragender Manier einen Grill zum lodern brachte. Meint aber eigentlich Rap Gruppen, die sich aus dem eigentlichen Geschäft zurückgezogen haben. Auch hier ist eine gewisse Aufwertung einer banalen Alltagstätigkeit im Schrebergarten zu verzeichnen. 'Old School' klingt eben besser als 'Mensch, ganz wie Vati!'

'Yo' - kollegiale Grussformel, wenn ein Rapper anfängt. Im öffentlichen Dienst ist das irgendwie nicht angebracht findet Deckard.

Wie dem auch sei. R.D. will nichts verteufeln oder an die Wand malen. Er findet den Gebrauch im Alltag nur Recht amüsant und freut sich die Diskrepanzen zu entdecken, die mit dem Gebrauch dieser Wörter aus verschiedenen Subkulturen mit Ihrer Philosophie und Bedeutung in der Mitte zu vollkommenen Fehldeutungen führen. Dass Englisch Weltsprache ist, "verdanken" wir einem Inselvolk und Ihren Booten, sowie dem Hang alles und jeden unterjochen zu wollen. Das ist nun mal Geschichte. Aber warum entwickelt sich die Sprache innerhalb eines Landes nicht aus Ihrer selbst weiter? Deckard fragt sich manchmal was die Vertreter dieser Subkulturen wohl denken, wenn Sie "Ihre" Sprache in einem angesagten 'Coffee Shop' von ein paar langweiligen Durchschnittstypen zu hören kriegen? Müssen Sie schmunzeln, weil Sie Einfluss nehmen konnten oder ärgern sie sich?

Soviel heute vom grössten Klugscheisser der Welt,

R.D.

Bildquelle: Copyright 2008 eFilliates
 
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