Eric Legnini Trio - Ballads
Schon wieder ein Trio! Schon wieder Balladen!
Natürlich wird der Jazz durch ein Balladen-Album, voll mit bekannten Klassikern und Titeln aus dem Great American Songbook, nicht revolutioniert, aber es geht doch bei der Konstellation eines Trios, welches Standards einspielt, darum, wie es das bewältigt. Das ist doch ein Element des Jazz: Wie wird interpretiert, improvisiert und phrasiert? Wie wird bekannten Songs und Melodien neues abgewonnen?
Betrachtet man eine Neuerscheinung unter diesen Gesichtspunkten, dann wird alles etwas gemäßigter und der Fokus liegt auf dem, was letztendlich bedeutsam ist: die Musik.
"Standards are the building blocks of the jazz language. Finding your approach to this age-old grammar is how you learn jazz."
E. Legnini
Ballads vom Eric Legnini Trio ist ein Album, das mich zu allererst überrascht hat.
Ob bewusst oder unbewusst spielt Legnini mit den Erwartungshaltungen des Hörers, ist man doch "geübt" Balladen zu hören. Die hier gebotenen Interpretationen sind mitsamt den Eigenkompositionen hörenswert, weil sie frisch und ohne schwülstigen Ballast daherkommen. Die Platte ist unterhaltsam und abwechslungsreich, weil Klassiker und Eigenkompositionen ein schlüssiges Gesamtbild ergeben, welches für ein durchgehend hochwertiges Hörerlebnis sorgt.
Die Titel gewinnen durch den eigenwilligen Stil von Eric Legnini deutlich an Farben und Ornamentierungen hinzu, weswegen es lohnt sich mit der Platte zu beschäftigen.
Ballads
Konzentriert und mit Emphase leitet In A Sentimental Mood das Album ein, Legnini wohl wissend, dass es sich hier um einen Titel mit grosser Tradition handelt. Er deutet den Song bewusst als etwas sehr leicht verständliches. Eine zu grosse emotionale Nähe zur schönen Melodie soll anscheinend eindringlich vermieden werden. Auffällig: ein sehr expressives Spiel für eine Ballade. In der Summe ein interessanter Einstieg, der Lust auf mehr macht.
Don't Let Me Be Lonely Tonight (James Taylor!) kommt sehr 'cantabile' daher, um einen Begriff aus der Klassik zu verwenden. Das Klavier "singt" hier die Melodie. Erstaunlich, wie Legnini die Töne spielt, die Tasten anschlägt: hart und präzise. Ganz im Gegenteil zu dem, was man von Balladen erwarten würde.
Nightfall ist ein Klaviermonolog und hat überdeutlich einen narrativen Charakter. Die Melodie ist verzwickt und verwrungen und erinnert gerade zu Beginn an J.S.B. Sehr schönes Stück, das zeigt, über welche Macht das Klavier als Soloinstrument verfügt!
I Fall In Love bestätigt das, was zu Beginn des Albums eine Vermutung war. Hier interpretiert einer Balladen kapriziös und mit einer besonderen Note.
Immer dann, wenn Legnini wie in Prelude To A Kiss ohne Begleitung spielt, dann offenbart sich die Technik und die Absicht dieses Musikers ganz deutlich. Klingt offensichtlich, ist es aber nicht. Über die Kinetik der die Tasten anschlagenden Finger hinaus wird deutlich, wie sehr er sich in die Emotionen und den Inhalt der jeweiligen Stücke gedanklich vertieft haben mag. Dieses Verständnis drückt er stilistisch auf eine ganz individuelle Art und Weise aus.
"Ballads really are the hardest to play. Something more uptempo can hide minor flaws and imperfections, but a ballad will never conceal a lack of ideas. Ballads don't lie, you're fully exposed. The very flow means you have to be precise and to the point."
Es geht weiter mit Willow Weep For Me. Erinnerungen an den Anfang, die Anfangsjahre des Jazz kommen hier hoch. Man riecht bei diesem Stück förmlich den Ursprung dieser uramerikanischen Musik. Legnini beeindruckt mich hier mit seiner versierten Spieltechnik. Kein Stück bisher klang in irgendeiner Form "gleich". Meint man "ihn zu haben", schlägt er Haken, wie bei diesem Stück, und schleicht sich davon. Ein Schelm!
In Trastevere, wieder solo dargeboten, versteckt er die Melodie ganz geschickt in einem Konglomerat aus Tönen und Klängen. Hörenswert wie gefühlvoll er mit Tempo und Rhythmus jongliert.
Folk Song No. 1 hält, was der Titel verspricht. Erstmals wird Legnini ganz zart und romantisch, spielt mit dem Pedal und sorgt mit bezaubernden Harmonien für eine entrückte Stimmung. Sehr schöner und hörenswerter Titel!
Bei Portrait In Black And White 'Zingharo' hören wir das erste Mal auf der Platte Latin-Rhythmen. Thomas Bramerie am Bass hat Zeit für ein Solo. Die Melodie bei diesem Stück wird sehr transparent vom Leader gespielt. Komponist ist kein geringerer als Antonio Carlos Jobim!
Es folgt mit Smoke Get's In Your Eyes ein Klassiker. Sehr vehement schlägt der Solist in die Tasten bis die berühmte Melodie erklingt. Grossartige Solo-Interpretation mit improvisatorischen Ausflügen und einer beeindruckenden Phrasierung. So langsam öffnet sich die Welt eines Eric Legnini. Bei diesem Stück ging mir stets ein Gedanke durch den Kopf: Wenn ich Klavier spielen könnte, dann würde ich diesen Evergreen genauso deuten: ohne Schwulst und mit einem grossen Maß an Selbstbewusstsein. Fast wünschte man sich, man stünde in einem Smoking an der Bar. Erstklassig!
Auch Amarone wird wieder ganz alleine dargeboten mit einer gebremst perlenden rechten Hand zu Beginn.
Ich meine, dass Sinatra It Could Happen To You mal interpretiert hat (wer eigentlich nicht?). Die Melodie kam mir gleich bekannt vor. Legnini geht hier völlig frei und unbekümmert vor und entstaubt auch diesen Titel.
Gershwin und Duke schrieben mit I Can't Get Started einen Song, der wahrscheinlich Jahrtausende überdauern wird. So wie es sich bei einer Jazz-Ballade "gehört", arbeitet Franck Agulhon am Schlagzeug (wie häufiger auf dem Album) mit dem Besen. Gerade bei diesem Stück sollte man Klavier und Bass ausschalten und nur dem Schlagzeug lauschen ... gerade deswegen macht Jazz so viel Spass!
"In a trio, the piano sets the general mood in terms of harmony and colour. The drums are the driving force that rules out monotony by highlightning the contours, the seams of each piece. The double bass bridges the gap; it is the binding agent, the essential link."
Darn That Dream ist gegen Ende des Albums wieder eine haftend bleibende Interpretation eines Songs von E. De Lange und dem grossartigen Jimmy van Heusen.
"There are two undisputed masters in the white school of trio: Paul Bley, who has a rather untamed approach to playing, and Bill Evans, modern at all times."
Folk Song No. 2 beendet Ballads. Wie Nightfall, Trastevere, Folk Song No. 1 und Amarone ist es eine Eigenkomposition des Jazzmusikers und zeugt von einem großen Potential und Talent. Ein sehr modernes aber auch zeitgleich nostalgisch-verklärend wirkendes Stück.
Eric Legnini ist Belgier und wurde 1970 in Huy geboren. Aktuell lebt er in Paris und spielte bereits einmal mit einem Trio im Jahr 2007 mit Mathias Allamane am Bass und Franck Agulhon am Schlagzeug. Letzter ist auch bei dem aktuellen Album mit von der Partie, am Bass spielt Thomas Bramerie.
Am Ende steht die Einsicht: Es ist das Eric Legnini Trio und Balladen sind nicht gleich Balladen!
Mir hat der Stil dieses Trios und der von Eric Legnini sehr gut gefallen: forsch, bestimmt, kraftvoll und mit Verve.
Was meinen Sie?
Rick Deckard