Odezenne – Doualaa (Des couloirs des portières)

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  5. Juni 2025, 15:31  -  #Plattenkritik

Odezenne – Doualaa (Des couloirs des portières)

Eine Rezension von Alan Lomax

Ich wollte eigentlich keine Plattenkritiken mehr schreiben.

Weil sie eh keiner liest. Weil selbst passionierte Musikhörer mittlerweile lieber Playlists durchzappen, statt sich auf eine Stunde Musik am Stück einzulassen. Weil jeder dem Algorithmus mehr glaubt als uns – den Menschen, die seit vierzig Jahren Platten hören, sammeln, sezieren, mit Gänsehaut durch die Nächte gehen und deren Herz bei jedem Bassdrum-Einsatz kurz stockt.

Und außerdem: Ich kann kein Französisch.
Und jede zweite Platte, die mir in letzter Zeit den Boden unter den Füßen wegreißt, kommt aus Frankreich.

Ich hatte angefangen, diesen Text zu schreiben. Dann wieder gelöscht.
Weil’s keinen Sinn macht.

Der Sinn der Sache sind Odezenne – das sind Alix, Mattia und Jacques. Kein klassisches Kollektiv, keine klassische Band. Eher ein Paradoxon. Chanson trifft auf Hip-Hop. Poesie trifft auf Punchlines. Bordeaux trifft Berlin. Ihre Texte immer ein wenig zu klug, um massentauglich zu sein. Ihre Beats immer ein wenig zu schräg für den Mainstream. Und genau das macht sie seit Jahren zur geheimen Speerspitze des modernen französischen Musikschaffens.

Mit „Doualaa (Des couloirs des portières)” haben sie sich neu erfunden. Wieder mal. Die Platte ist elektronischer, aber nicht kälter.
Intimer, aber nicht weinerlich. Lauter, aber nie lärmend.

Ein Track wie „Maudi” stampft dich in den Boden, nur um dich mit einem flirrenden Synth-Flächenmantra wieder zurück ins Licht zu führen.
„Tartare” ist ein düsterer Mitternachtstrip mit 90er Jahre Referenzen an Portishead und Massive Attack, während „Blouson noir” die besten Momente von Fischerspooner durch einen französischen Filter jagt.

Sie erzählen in Fragmenten. Von Trennung. Von Straße. Von Exzess. Von Innerlichkeit.
Ein bisschen Houellebecq, ein bisschen Sartre, aber als Sound.
Die Couloirs, die Gänge, in denen diese Platte spielt, sind voller Nebel, Schatten und Lichtblitze.

„On ne veut pas faire de la musique à consommer, mais à habiter.“

„Wir wollen keine Musik machen, die man konsumiert – sondern in der man wohnt.“
(Interview, FIP Radio, März 2025)

Und genau das ist Doualaa: Kein Konsumgut. Keine Easy-Listening-Platte. Sondern ein Ort.
Ein fragiles Haus aus Beats, Samples, Stimmen, in dem man für eine knappe Stunde wohnen kann, um die Welt da draußen zu vergessen.

Sieben! 7! Soviel Durchläufe braucht diese Platte, bis sie dich nicht mehr loslässt.
Soviel Nächte, bis du ihre Sprache fühlst, auch ohne sie zu verstehen.
Soviel Zeit, wie heute kaum jemand aufbringt – aber es lohnt sich. Mehr als jede Story, mehr als jeder Stream.

Doualaa ist keine neue Richtung. Es ist ein neuer Kontinent. Odezenne bauen ihre Welt weiter aus – poetisch, politisch, postmodern. Für alle, die lieber fühlen als analysieren. Für alle, die in Musik wohnen wollen.

Wer zuhört, wird belohnt. Alle anderen werden's nie erfahren.

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