YO LA TENGO Live Köln Gloria 23.04.2023 – Konzertreview

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  24. April 2023, 14:25  -  #674FM, #Alan Lomax Blog, #Cologne live, #Gloria Köln, #Konzertkritik

Alan Lomax Blog

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Auf ihrem neuen Album „This Stupid World“ erforschen Ira Kaplan, Georgia Hubley und James McNew die Zeit! Und Yo La Tengo erforschen in diesem Zusammenhang sich selbst und wie sich persönliche Perspektiven, ändern können, wenn wir älter werden.

Die amerikanische Band aus Hoboken, New Jersey gibt es bereits seit 1984. In der jetzigen Besetzung spielen sie seit 1992 zusammen. Yo La Tengo sind keine Rockstars im herkömmlichen Sinne. Auch nicht im eigentlichen Sinne einer Indie-Rock-Band. Die Band ist ein lebendes Kunstwerk. Konzerte dauern meist drei Stunden und fühlen sich immer nach einem sehr spannenden Museumsbesuch mit klirrenden Gitarren und einem dazugehörigen dekonstruierenden Soundtrack an. Und natürlich dem Besuch im guten Museumsshop und –cafe mit Kuchen, einem kühlen Softdrink und einem sehr guten Kaffee der einen besonderen Tag zu einer regelrechten Pop-Explosion in Kopf und Herz hinterlässt.

Im völlig überfüllten Kölner Gloria, spielt die Band ein fast dreieinhalb Stündiges zweiteiliges Set. Die ersten ca. 11 Songs stammen überwiegend vom neuen Album „This Stupid World“. Gleichnamiger Track ist auch der Opener. Akkustisch, vehement und wunderschön low gespielt und ganz anders als auf dem Album. Highlight ist dann die aktuelle Single „Sinatra Drive Breakdown“. In dem Fall wird der der Uferboulevard in Hoboken, der nach einem der besten Sänger und Crooner aller Zeiten benannt ist, beschrieben. Es ist die Sicht optimistisch zu bleiben, dem Leben zuzustimmen und nicht immer alles zu ernst zu nehmen. Alle Mitglieder befinden sich im letzten Lebensdrittel und haben längst verstanden, dass es das alles nicht wert ist, wenn wir uns mit Beiwerk befassen.

Kurz vor Ende des zweiten Sets und somit vor dem unfassbaren Beginn der legendären Zugaben mit einer Coverversion von Richard Hell, sagt Ira Kaplan sinngemäß, dass hier alle so nett sind. Und in der Tat das Publikum ist unglaublich konzentriert, ruhig, fast von einer meditativen Ergriffenheit vereinnahmt. Kaplan dann weiter: „…aber es ist ja auch kein Wunder. Wir befinden uns in einem Rock-Club und da gibt es eben nur gute Leute. Uns so sollten wir auch weitermachen“. Was für eine tolle Sicht, zum Thema Zeit und wie wir sie verbringen könnten! Denn wo gibt es denn heute noch solche Konzerte?

Konfrontiert werden wir mit allem was unsere Liebe zu dieser Musik ausmacht. Rohe Dynamik, sanfte wunderschöne Harmonien, die im Nebel des Wall of Sounds wabbern, geräuschvoller Experimentalismus, Lärm und ruige störrische Balladen die immer wieder an die Ureltern dieser Musik „The Velvet Underground“ erinnern. Yo La Tengo dürfen das. Schließlich waren sie bereits in dem Film „I shot Andy Warhol“ (1996 R: Mary Harron) die Band um Lou Reed! Na ja, fast: Lou Reed untersagte die Verwendung seiner Musik in dem Film und so treten Yo La Tengo als anonyme Band auf, die aber eine gewisse Ähnlichkeit vermitteln und mindestens genau so gut sind. 

Der Abend wird für Besserwisser Fans beendet, aber auch mit einem gleichzeitig wirklich würdevollen und zu tiefst wahrhaftigen Cover von Daniel Johnston. „Speeding Motorcycle“ veröffentlicht die Band als CD-Single B-Seite und als Vinyl-Single mit Cover-Art von Daniel Johnston. Glücklich schätzen kann sich die oder der, der dieses Werk besitzt. Kaplan scheint die Nummer sehr zu schätzen, er hat sie schon häufiger, u. a. mit den restlichen Mitgliedern des legendären Sun Ra Arkestra gespielt.

Übrigens „The Devil and Daniel Johnston“ könnte eine gute Vorlage sein, um in diese ganze Welt einzusteigen um sich darin zu verlieren und 30 Jahre faulem rumsitzen mit schlechter Musik aufzuholen. Gestern Abend saß ein kleines Mädchen neben mir auf dem Tresen, angetrieben von der unfassbaren Energie ihrer Mutter, hat sie die ja komplexen 180 Minuten gut durchgehalten und blickte somit automatisch in eine gute musikalische Zukunft. Am Ende sagte eine offensichtlich fremde Zuschauerin zu ihr: „Lern Englisch, lern Englisch Mädchen, dann verstehst Du das alles!“. Hoffentlich hat die Zuschauerin nicht nur Englisch gelernt, denn mal abgesehen von ihrem völlig verblödeten Hinweis an das kleine Mädchen, war der erhobene Zeigefinger auch gänzlich unnötig. Denn zu lernen gibt es an diesem Abend sehr viel mehr als Worte immer nur Worte (Palminger).

Aus Hoboken; Fall Out Of Time

Alan Lomax

 

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