Wes Anderson – Der phönizische Meisterstreich
Der witzigste Wes-Anderson-Film seit Darjeeling Limited. Und der wohl deutscheste, ohne es zu wissen.
Benicio Del Toro steht derzeit an einem merkwürdigen Punkt seiner Karriere. Er ist nicht nur die wandelnde Skulptur namens Zsa Zsa Korda in Wes Andersons neuem Film Der phönizische Meisterstreich, sondern taucht auch in Paul Thomas Andersons One Battle After Another auf – und zwar so, als hätte sich die Figur in eine andere Anderson-Dimension hinübergeschlichen. Dass Del Toro sich gleichzeitig als größter Fan der einzigen wirklich bedeutenden Kölner Band aller Zeiten, Can, bekennt, ist mehr als ein popkulturelles Detail. Es ist der Schlüssel, um diesen Film zu verstehen.
Denn Can, das war immer schon: Improvisation im Exzess, Struktur durch Kontrollverlust, die Übersetzung von Klang in Bewegung – und genau das passiert bei Wes Anderson, wenn man ihm den Vintage-Charme mal wegreißt und stattdessen die Loopmaschine drunterlegt. Der phönizische Meisterstreich ist, in seiner besten Lesart, eine orchestrierte, perfekt getaktete Fehlfunktion – so wie ein Can-Track von 1972, der in der Endlosschleife seine eigene Ordnung verliert.
Wes Anderson ist ein Architekt des Humors. Sein Witz entsteht nie aus Pointe oder Dialog, sondern aus Kadrierung, Zeit und Farbe. Und in diesem Film gelingt ihm etwas, das er seit Darjeeling Limited nicht mehr so pur erreicht hat: er bringt das Lachen zurück in die Perfektion. Das ist keine Wertung – Darjeeling war chaotisch schön, Der phönizische Meisterstreich ist kontrolliert absurd. Das Timing: messerscharf. Der Witz: fast britisch. Die Gags: so trocken, dass sie schon wieder feucht sind.
Die Geschichte? Eigentlich unerheblich. Ein exzentrischer Ingenieur, ein verschollenes Manuskript, eine Verschwörung um Energie, Macht und den Versuch, die Welt zu retten, indem man sie zerstört. So weit, so Wes. Nur dass diesmal ein neuer Unterton mitschwingt: Der phönizische Meisterstreich ist auch eine Satire auf die Hybris unserer Gegenwart. Die Parallelen zu Trump, Musk & Co. sind so offensichtlich, dass sie schon wieder subtil wirken. Anderson zieht daraus kein politisches Manifest, sondern ein Theaterstück über Narzissmus und Größenwahn – die Bühne als Spiegel der Macht, die Macht als lächerliche Farce.
Und genau hier, zwischen den Gesten der Titanen, leuchtet plötzlich ein Gedanke auf, der mich beim ersten Sehen regelrecht elektrisiert hat: Wes Anderson hat – unbewusst – den deutschen Ingenieur und Visionär Herman Sörgel als geheime Blaupause seines Films benutzt. Niemand redet darüber. Nirgendwo wird es erwähnt. Aber Sörgel war der Mann, der in den 1920er-Jahren Atlantropa plante: das gigantomanische Vorhaben, das Mittelmeer durch Dämme abzusenken, um Land, Energie und Frieden zu schaffen. Europa und Afrika, verbunden durch eine künstliche Landbrücke – eine Idee so größenwahnsinnig, dass sie nur ein deutscher Idealist entwickeln konnte, der glaubte, Technik könne Moral ersetzen.
Wenn Zsa Zsa Korda in Andersons Film von Dämmen, Brücken, Energie, Macht, Expansion und Erlösung spricht, dann höre ich Sörgel. Das ist nicht interpretiert, das ist gelesen zwischen den Symmetrien. Der phönizische Meisterstreich ist, ohne es zu wollen, der erste Anderson-Film, der die politische Geometrie der Moderne kommentiert. Kein anderer Regisseur hätte diese Obsession für Ordnung so elegant mit der Katastrophe verschnitten. Ich sage es hier (Stand: 15.10.2025) zuerst: Wes Anderson hat Herman Sörgel verfilmt, ohne ihn zu kennen. Kopiert es ruhig, ihr Filmkritikerinnen und Filmkritiker – ihr schreibt ja eh alle voneinander ab.
Roman Coppola, wieder als Co-Autor an Bord, wirkt inzwischen wie die organische Verlängerung von Andersons ästhetischem Nervensystem. Beide verschmelzen zunehmend, visuell, rhythmisch, konzeptuell. Coppola sieht mittlerweile fast aus wie sein Vater, was beinahe beunruhigend ist – aber das passt in dieses Universum, das so stark von genealogischer Wiederholung lebt: Filmemacher, die Filmemacher spiegeln, die wiederum Familien abbilden, die wiederum Systeme parodieren.
Und die Musik? Alexandre Desplat bleibt der präziseste Komplize, den Anderson je hatte. Seine Kompositionen bewegen sich zwischen militärischem Takt und poetischer Ausweichbewegung, zwischen Marsch und Jazz, zwischen Bach und Can. Ja, Can! Denn wer die Rhythmusstrukturen in Phönizischer Meisterstreich genau hört, entdeckt dieselbe motorische Wiederholung, die Irmin Schmidt und Jaki Liebezeit einst in den Keller von Köln gespielt haben. Es ist diese kontrollierte Ekstase, die den Film trägt – Desplat dirigiert, Anderson moduliert, Del Toro tanzt.
Der phönizische Meisterstreich ist also weniger Film als Versuchsanordnung: eine Satire auf den Größenwahn, ein Theaterstück über Macht, ein Comic über Architektur, eine Sinfonie der Unwahrscheinlichkeit. Man könnte sagen, es ist ein Film, den nur jemand drehen kann, der seine eigene Perfektion parodiert.
Und genau das macht ihn so großartig.
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