Haldern Pop Festival 2023 - Rückblick: Dort ist meine Heimat, wo ich meine Bibliothek habe.

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  7. August 2023, 16:41  -  #674FM, #AlanLomaxBlog, #Haldern Pop, #Haldern

Haldern Pop Festival 2023 - Rückblick: Dort ist meine Heimat, wo ich meine Bibliothek habe.
Haldern Pop Festival 2023 - Rückblick: Dort ist meine Heimat, wo ich meine Bibliothek habe.

Um das Haldern Pop Festival zu verstehen, muss der Satz „Zuhause ich mag Dich“ vollends verstanden werden. Insbesondere in dieser Schlamm- und Regenschlacht 2023 wurde mir als Beobachter wieder klar, was die Menschen in diesem Dorf bereit sind, von sich zu geben und welches „Gottvertrauen“, welche „Zuversicht“, aber auch welchen „Glauben etwas auf die Beine“ stellen zu können und es „aufrecht zu erhalten“ sie haben.

Ich war wirklich in allen Ecken und Winkeln des Festivals und habe mich mit unendlich vielen Menschen aus dem Dorf, Helfern vor und hinter den Tresen, der Sicherheit, den Organisatoren, Müttern und Vätern, sogar Kindern unterhalten. Sie alle leben in einer Selbstverständlichkeit für dieses Festival. Genau als wenn Ostern, Weihnachten, das Schützen- oder ein Schlachtefest kommt. Das Haldern Pop ist in der sozialen Struktur des Dorfes und in den Genen der Menschen die daherkommen verankert. Bereits bei allen Services und Dienstleistern, die „von außen“ hinzukommen: Security, Beauftrage für Aufgabe XY, wird klar, dass das innere Feuer ein anderes ist. Ein Job! Für die Menschen in Haldern ist es Bedürfnis, eine Dringlichkeit. Etwas was „wir“ ausstehende alle niemals verstehen können. Dasein. Heimat!

Aber funktioniert das Haldern Pop Festival deshalb nach 40. Jahren immer noch so gut?

Nein! Es funktioniert gut, aber nicht nur wegen der Gemeinsamkeit des Dorfes. Sondern auch wegen der weltoffen und neugierigen Haltung seiner Bewohner, was denn wohl da draußen noch so los ist. Also, JA! Es funktioniert sogar aus der Betrachtung verschiedener Perspektiven.

Und wieso in die Ferne schweifen, wenn es doch eine Möglichkeit gibt, sich die Welt in den eigenen Vorgarten zu holen und zudem das Glück hat, nicht nur abertausende Freiwillige aus dem Dorf zu haben, die für Künstler kochen, Bodenplatten im Matsch verlegen oder Millionen von Brötchen für andere Helfer schmieren, sondern zudem das Gottvertrauen haben, sich selbst nicht erklären zu müssen, während Menschen von überall in der Welt an diesen vier Tagen nach Haldern kommen, die Geschichten erzählen, sich aber auch die Bibliothek ansehen die hier geschaffen wurde.

Auf einem Jubiläumsplakat sind alle Bands namentlich erwähnt, die von 1984 – 2023 auf dem Festival aufgetreten sind. Schnell wird einem wieder klar, dass das hier zwei Teile sind, die immer besprochen werden müssen: Die Volkswirtschaft und dass Da sein. Aber auch die Wahrhaftigkeit und Wichtigkeit (Foto oben) des musikalischen kommen und Bleibens.

„Heimat ist da, wo ich meine Bibliothek habe“. Und diese füllt sich Jahr für Jahr mit neuen Namen von Musikern und Namen. Ob diese nun von den Kritikern, Dorfbewohnern, Besuchern oder Fremden gemocht wird, ist grundsätzlich egal.

Denn es geht ja, erstmal darum der dörflichen Gemeinsamkeit zu zeigen, welche Möglichkeiten es in der Welt gibt. Und der Faszination, dass es immer möglich ist, für diese riesen Menge eine Überschaubare Lösung zu kreieren, um diese unfassbaren Möglichkeiten an Schönheit und Neuem in der Musik einst den Besuchern des Haldern Open Air zu zeigen, dann den Aufmerksam gewordenen nationalen Medien- und Vertretern der Neunziger Jahre von VIVA, bis zum WDR, über INTRO und SPEX und ME und Rolling Stone, die nicht geblieben sind, nun aber bei einer Schar von angenehmen internationalen Multiplikatoren hängen geblieben ist, im Bewusstsein der Relevanz der Beheimateten längst angekommen ist und in naher Zukunft eine neue Generation von jungen Menschen erreicht, die beides zuversichtlich in einer kleinen Zukunft weiterführen wird.

Regen macht wehmütig. Matsch macht wütend. Beides zusammen macht nachdenklich. Zumindest mir erging es so. Aber die Erkenntnis, dass das hier alles weiterlaufen wird. Über alles gesprochen werden muss, aber große Hebel der Veränderung anzusetzen, unvermutete Medien- und Marketingbrüche verursachen, haben mich demütig gemacht. Dosiertes Tempo ist gut und unter all‘ den verrückten Umständen in diesem Jahr, ist das Festival wieder mal ein Erlebnis geworden. Vielleicht eines der Feste an die sich alle in ein paar Jahren weniger erinnern als an andere Jahre, aber auch nicht schlimm.

Die Bibliothek hingegen füllt sich mit neuen Bands und Musikern erstmal rasend schnell und vielleicht muss eine Ordnung im Archiv erstellt werden. Denn auch die Musikwelt steht vor einem Paradigmenwechsel. Betriebswirtschaftlich gesehen, was kaum jemanden interessiert. Volkswirtschaftlich gesehen, was jeden interessieren sollte. Und künstlerisch gesehen noch viel mehr, aber genau in dieser Disziplin habe ich mehr und mehr Angst, das relevante Festivalbands, durch Krawall und Remidemi auffallen müssen, wenn es ihnen nicht gelingt, aufgrund eines guten Handwerks und einer künstlerischen Idee eine gewisse Reife und Tiefe zu erlangen.

Der Vielfalt und dem Ausprobieren an unterschiedlichen Künstlern, mit eben genau, wie im vorherigen Absatz beschriebenen unterschiedlichen Präsentationsformen und inhaltlichen Tiefen, gab es in diesem Jahr in allen Bandbreiten. Einzig und allein dieser Ansatz könnte kritisiert werden: Beliebigkeit!

Wer die Unüberschaubarkeit der Mainstage und die kleinen auf der großen, sowie die großen vor den wenigen ignorieren möchte, kann ja ins Spiegelzelt gehen, nachdem er den Vormittag, bei den sensationellen Konzerten im Dorf und in den verschiedenen Venues verbracht hat.

Was die drei Tage im Spiegelzelt passierte war dann auch ein Wucht und gleichzeitige zeitgemäße Darstellung großer popkultureller Vielfalt und Nachhaltigkeit, denn mindestens 3 von den gleich genannten, werden in den nächsten Jahren nicht nur in der musikalischen Bibliothek am Niederrhein stehen, sondern auch in den Playlists der Welt: Willie J. Healey, Sylvie Kreusch, Special Interest, Sorry, Panic Shack, Nnamdi, Nation of Language, Low Cut Connie, Famous, Dylan Cartlidge, Courting und Famous. Oh hatte ich die schon erwähnt?

Die englische Band um Sänger Jack Merrett hatte bereits im letzten Jahr in der Pop Bar gezeigt, welches Potenzial und welche Energie vorhanden ist. Der Auftritt im Spiegelzelt am späten Samstagabend bewies einiges und wird fortgesetzt werden. Denn so läuft es in Haldern. Fortsetzungen werden dort gut gefunden. Auch Wiederholungen.

Denn es ist wie mit dem Wasser, es tritt zu Tage, zu anderen Zeiten, an anderen Orten und es wird wunderbar (Stefan Reichmann, 19. Juli 2023) …aber das Matsch und Schlamm auch auch wegen Wasser zu Tage tritt, hat er nicht bedacht. Aber an alles denken ist auch unfassbar unmöglich, obwohl es Jack Merrett nach dem Konzert offensichtlich gelungen ist. 

Aus der Badewanne...

Alan Lomax

 

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