Kamasi Washington - Heaven & Earth

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  29. Juni 2018, 12:44  -  #Jazz, #Populäre Musik, #Kommunikation, #Orchestrale Musik

Kamasi Washington - Heaven & Earth

Es wird ja häufig behauptet, dass Jazz im 21. Jahrhundert keine Überlebenschance hat. Leider wird diese Pauschalaussage häufig unüberlegt getroffen. Denn natürlich gibt es unzählige Künstler, die Perfektion, Zeitlosigkeit und auch Innovation zusammenbringen können um diese Gattung aufrecht erhalten zu können. 

Ich denke, dass insbesondere Kritiker und Menschen, die sich intensiv mit dem Thema beschäftigen, die Unsterblichkeit von Göttinnen und Göttern meinen, den Zeiten hinterhertrauern als Jazz in verrauchten Clubs einen elitären intellektuellen Status hatte oder beleidigt sind, dass es in der Gegenwart Musiker gibt, die sich auf die Innovatoren des Modernen Jazz, Free Jazz und der Avantgarde beziehen.

Ich weiß wovon ich schreibe, da ich selbst jahrelang auf dieser dunkeln Seite der Macht war. Sie können das auf diesem Blog unter der Kategorie JAZZ nachlesen. Man kann sich dann darüber lustig machen, mich für eine arrogante Sau halten oder pikiert mit dem Kopf schütteln, aber letztendlich möchte ich auch darauf aufmerksam machen, einmal zu überlegen, wie so ein arrogantes Verhalten zustande kommt und eine Läuterung dann später doch möglich ist.

Zunächst einmal gibt es keinen Grund dafür, nicht seine Meinung zu ändern. Es gibt keinen logischen Zusammenhang dafür, seine Meinung nicht ändern zu dürfen. Aber es gibt einen emotionalen Grund für eine Haltung. Und meine arrogante Haltung in Bezug darauf Jazzmusik zu hören hatte folgenden Hintergrund:

Ich höre Jazzmusik bereits seit meinem 12. Lebensjahr und wurde sehr behutsam an dieses schwierige Thema herangeführt. Sozialisiert mit einfacher Fussionmusik, zum Jazzpop, hin zu den Ikonen und Innovatoren. Man kann sagen, dass ich diese Musik studiert habe.

Ich bin übrigens auch weiterhin der Meinung, dass das so notwendig ist, da es wohl nur wenig Menschen auf dieser Erde gibt, die sich mit einem ungeschulten Ohr, daran erfreuen können, wie sich z. B. das Spiel eines Saxophones von Charlie Parker oder eines John Coltranes unterscheidet.

Sicherlich gibt es Menschen denen das egal ist und die sich an der Musik als solche erfreuen. Aber! Das sind Menschen, die nicht richtig zuhören. Müssen sie auch nicht! Jeder ist sich wie immer, seines eigenen Glückes Schmied. Aber meist ist es ja so, dass ausgerechnet diese Menschen, einem dem Vorwurf machen, dass man arrogant sei, weil man eben über mehr Wissen oder ein geschulteres Ohr verfügt. Wobei ich aus dieser Sicht unbedingt nochmal ermahnen möchte, dass einen diese Position nicht zu einem besseren Menschen macht, sondern eben nur zu einem Mann oder einer Frau des Fachs. Eben genauso wie es im Lehr- oder Akademischen Bereich ist, wenn man etwas lange gelernt hat.

In jungen Jahren also, meint man als „Kenner“ eines speziellen Genres auch eine gewisse nur für sich selbst identifizierte Selbsthaltung aufgebaut zu haben. Die kann einem keiner nehmen, macht aber auch einsam. Denn Fachwissen ist meist Nerdtum und man versteht erst nach vielen Jahren, dass es unmöglich ist, andere Menschen von seiner persönlichen Meinung zu überzeugen oder zu missionieren, wenn diese keine Zeit, kein Glauben und keinen Zugang zu dem Interesse des Anderen haben.

Man muss also für sich selbst ausloten, wie man weiter vorgeht und dann gibt es nur zwei Konsequenzen: Man wird einsam, weil man den Mut verloren hat, sich mitzuteilen oder man wird verloren, weil man sich in nicht passenden sozialen Kreisen, mit einem Wissen aufspielt, welches dort einfach nicht angebracht ist.

Ich habe zum Glück einen Zwischenweg gefunden und darf meine Eindrücke auf meinem Blog mitteilen, habe einen Interessentenkreis von sehr guten Menschen die sich mit ähnlichen Themen herumschlagen und ich habe eine Radiosendung, in der ich spielen darf was ich mag.

Dass es unnötig ist, über Musik zu schimpfen oder gar einen Künstler dafür zu verurteilen, dass er etwas macht, dass es vielleicht bereits gegeben hat, ist dumm. Dies der Welt mitzuteilen, ist völlig idiotisch. Eine ganze Lebens- und Haltungsform wie den Jazz zu verdammen, wie es ja z. B. auch häufig mit dem HipHop gemacht wäre angebracht, wenn es stimmen würde, da es aber unmöglich von einem einzelnen zu beurteilen zu werden, ist  eben auch dieser Ansatz völlig unnötig.

Gelegentlich und in der Vergangenheit wurden ja auch immer wieder Versuche unternommen, Rockmusik in jeglicher Spielform und Gattungsart als etwas für junge Menschen oder Vergangenes zu kategorisieren oder persönlich zuzuspielen. Was sich aber ebenso als haltlos- und unbegründet herausgestellt hat, wie mein ehemaliger Abgesang an den Jazz oder anderen emotional geführten Hypothesen.   

Hört man nun also das Stück FIST OF FURY aus KAMASI WASHINGTONS neuem Album HEAVEN & EARTH muss man erstarren, wenn man sich jemals für irgendeine Spielform der Jazzmusik interessiert hat. Abgesehen von der unbändigen Kraft des Grooves, steht diese Nummer wohl auch für eine Art Reflexion der Jazzmusik. Und damit meine ich gar nicht mal die musikalische Glaubwürdigkeit des Tracks, sondern ehr die künstlerische Fähigkeit aus einer Tonfolge mit Improvisationen und einem furiosen Thema eine längst vergessene Welt entstehen zu lassen, die uns an den Anfang der 1970ziger Jahre zurückführt und wir eine RETRUN TO FOREVER Scheibe in der Hand halten, einen LSD-Trip geworfen haben und mit unseren Freunden und schwarzen Brüdern eine spirituelle Gruppe gegründet haben.

Keine Frage, die komplette KAMASI WASHINGTON Welt bewegt sich an der Schnittstelle von Jazz und Pop. Und das ist gut so. Denn Pop wird hier natürlich als aus Hip-Hop, Soul, P-Funk und Filmmusikscores gespeist und der Jazz aus den Urschriften von Chick Corea, Ornette Coleman, Herbie Hancock oder Bill Evans. Grenzenloser Grenzgang, wie die Herren das immer gefordert hatten.

Der wie ein wuchtiger Jazzgott wirkendende KAMASI WASHINGTON ist dabei nicht nur Diadochos der Gattung, sondern auch der Anführer des Ensembles THE WEST COAST GET DOWN, dass mit Chor ca. 50 Musiker aus dem Raum Los Angeles einschließt. BRANDON COLEMAN und THUNDERCAT sind dabei die erste Diversifikation des Universums. Die Genialität der Gruppe und die Möglichkeiten die sich nach und nach für alle erschließen, lassen vermuten, dass dort in Silver Lake etwas großes, nachhaltiges und dadurch auch revolutionäres entsteht.

Bereits im April hatte ich zu dem SEUN KUTI Album geschrieben, dass ich dort ein gewisses Aufbegehren und einen Kampfgeist spüre, der mich mit geballter Faust aufspringen lies, HEAVEN & EARTH vermittelt mir sogar das Gefühl, dass ich eine eigene Bürgerrechtsbewegung gründen sollte.

Höre ich z. B. SPACE TRAVELERS LULLABY spielen sich bei mir nicht nur romantisierte Bilder aus einem Blaxploitation Film zu Musik von ISAAC HAYES oder BOBBY WOMACK ab, sondern es geht viel weiter! Ich möchte Mitglied des Ganzen sein und diesen ganzen angestaubten, aber wichtigen Begriff von LOVE & PEACE auf der richtigen Seite der Macht zu Ende bringen.

Das Publikum und der Erfolg von KAMASI WASHINGTON wächst und wächst. Und das ist gut so! Sein positiver Vibe, die unfassbaren Liveauftritte und seine Referenzen kommen genau zur richtigen Zeit und vereinen Menschen mit ganz unterschiedlichen Interessen und Meinungen, die alle eine Bewusstseinserweiterung benötigen.

Ich gehöre zu den glücklichen Menschen meiner Generation die MILES DAVIS, SUN RA, RAY CHARLES, PHAROAH SANDERS, CHICK COREA, ORNETTE COLEMAN und HERBIE HANCKOCK live gesehen habe. All‘ diese Musiker waren und sind mehr als Musiker die Platten aufgenommen haben. Sie sind Freigeister, die eine besondere Energie haben und hatten.

Zweifelsohne kann man KAMASI WASHINGTON wahrscheinlich bald in diese Riege der Ikonen einreihen. Und das unabhängig davon, ob man nun meint, dass der Jazz bereits vor Jahren gestorben ist, dass das alles musikalisch nicht neu ist oder man es einfach nur als lästige Pflicht erachtet, sich schon wieder mit einer Schallplatte beschäftigen zu müssen, die man erklären will und nicht kann oder aus egomanischen Gründen nicht wollte.

Dieser KAMASI WAHSINGTON hat Kraft, ist energetisch und wahrscheinlich auch gar nicht von diesem Planeten.

George Clinton hatte mit der P-Funk-Mythologie einst das erlösende Element  für die Menschheit ausgerufen. Aber es nicht geschafft, scheiterte an Albernheit. KAMASI WASHINGTON aber könnte uns nun endlich belohnen und die stumpfe Abhängigkeit der Dummen und Ahnungslosen vernichten. Gelingt es auch diesmal nicht, kommt bestimmt doch irgendwann das MOTHERSHIP und bringt uns ins Weltall um die Party fortzusetzen, bis die Welt endgültig wieder FUNKY enough geworden ist. Und das ist natürlich überhaupt nicht albern.

At the Microwaved Cultural Chonicle of the 70s

Alan Lomax

Um über die neuesten Artikel informiert zu werden, abonnieren: