Corea, Clarke & White - Forever = Das musikalische Paradis
2 CD’s der alten Recken: Chick Corea, Lenny White und Stanley Clarke. Auf CD 1 sind „nur“ die drei zu hören, spielen das „Return to Forever“ Repertoire, sowie einige Standards. Diese meist zum „aufwärmen“. Auf CD 2 kommen einige Gaststars, wie Chaka Khan und Bill Connors und ein für alle (un-)bekannter Geiger hinzu.
Live spielen die drei Legenden bereits seit einigen Jahren wieder zusammen. Dies auch absolut erfolgreich.
Vor dem sehr tiefen Eintauchen in die Scheibe, kann ich schon jetzt sagen, dass die neue Platte ein absolutes Obermuss für jeden Jazz- und Return to Forever Fan ist. Die Arrangements sind zeitgemäß groß und doch klassisch, das musikalische Handwerk grenzt an das menschenmögliche und die Jazzpolizei wird verschiedene Orgasmen wegen den komplizierten, detaillierten und unfassbaren Strukturen bekommen.
Neueinsteiger aufgepasst. Hierbei handelt es sich um die legendäre 70er Jahre Band „Return to Forever“, die seiner Zeit für Furore mit einer einzigartigen Vermischung von Jazz, Funk und Rock sorgte.
Jeder der sich je in den einzigartigen Klang hineingehört hat, wird sich nicht mehr umstimmen lassen und am Ball bleiben. Süchtig nach neuen Arrangements und den furiosen Live Erlebnissen der Band sein.
Im Zusammenhang mit „Return to Forever“ spricht man auch gerne vom Jazzolymp. Gegner werden und haben diese Musik schon immer als Gedudel abgetan, dabei aber nie verstanden, dass es sich hier um eine sehr lyrische Spielform des Jazz handelt, der mehr für die Freiheit und Weiterentwicklung des Genres getan hat, als irgendwer anders.
Streckenweise progressiv, immer aufregend und unterhaltsam, nachdenklich, beschreibend, konzeptionell, ewig dramaturgisch und nie angepasst. Eine freie Form, ein Gedankengut, ein Geschenk an die Menschheit.
Ich verbinde mit der Musik extrem viel in meinem Leben, u. a. hat sie mich gelehrt Musik zu erfassen und zu verstehen. Die "zurückhaltende" Euphorie über das neue Album sollte daher erlaubt sein.
Das Intro bestreiten die drei mit dem Standard On Green Dolphin Street. Bekannt geworden durch eine spät 60er Jahre Interpretation von Miles Davis, basierend auf dem gleichnamigen Sebastian Faulks Roman. Geschrieben, hat die Nummer übrigens, dass dürfte Herrn Deckard interessieren, Bronislau Kaper. Ein bekannter Filmkomponist.
Corea, Clarke & White spielen die Nummer häufig am Anfang ihrer Sets als Einspielsong. Sicherlich um sich für einige „sportliche“ kaum „nachvollziehbare“ musikalische Ritte zu rüsten, allerdings ganz bestimmt auch um den Sound zu testen. Denn auch wenn es Phasen gab, wo die Musiker die klassische Jazzstruktur missachtet haben, vielleicht auch verachtet haben, haben sie den Kern, den Habitus des Jazz immer verfolgt. Den Dialog! Hervorragend zu hören bei dieser live eingespielten Version. Corea und Clarke diskutieren mit Instrumenten. Call and Response! White mischt sich kläglich ein, das Thema aber dominiert, die Melodie gewinnt.
Walz for Debby ist eine Komposition des Jazzpianisten Bill Evans aus dem Jahr 1961. Strukturell ein Walzer, darf die Nummer bei keinem Bar-Pianisten fehlen. Corea nimmt die einfache Melodie im Intro erst einmal komplett auseinander. Zerlegt die Melodie in ihre Einzelteile um zu verstehen, was sich Evans beim komponieren gedacht hat. Mathematik, kaum nachvollziehbar, aber erstrebenswert, sich das mindestens 100 mal hintereinander anzuhören. Der steigende Wechsel, bis zum Break und dem Einsatz der hellen Becken, des Whiteschen Schlagzeugs bringen die Nummer kurz auf die klassische Partitur zurück. Irgendwann mischt sich Clarke ein, legt eine düstere Bassmelodie unter die an sich fröhliche Melodie und löst die Struktur erneut auf, bevor alle drei behutsam anfangen zu grooven. Clarks späteres Solo, ist fast gesprochen, zwischendurch hört man ein Lachen. Schwer einzuschätzen, über welche Note sich dort zustimmend geäußert wurde, vielleicht aber auch eine respektvolle Würdigung über den kurz angedeuteten Hauch der klassischen Interpretation. Fantastisch, wenn man die Nummer kennt, langweilig, wenn der Film nicht vorm inneren Auge abläuft.
Was in Corea vorgeht, wenn er diese Nummer spielt, lässt sich nur erahnen. Bud Powell zählt neben Mozart zu seinen größten Einflüssen. Powell war bekannt für seine virtuosen Spieltechniken. Was erstmal nichts anderes bedeutet, als das er in der Lage war dem scheinbar toten Klaviertasten verschieden geformte Muster abzuverlangen. Corea wirkt virtuos aber wahrscheinlich ist das ehr als "überbieten" zu verstehen. Stilistiken in diesem sieben Minuten zu zählen, sollen die Theoretiker machen. Ich verspüre eine gewisse Leidenschaft. Ist die Platte 1 von Forever tatsächlich in einem einzig Set aufgenommen, scheint es mir so, dass zumindest Corea mitten im Konzert angekommen ist. Der erste Höhepunkt!
La Canción de Sophia ist dann auch der erste Schritt, weg von den Standards. Es handelt sich dabei offensichtlich um eine neue Komposition von Stanley Clarke, die mich anfänglich etwas an Ennio Morricones Thema zu dem wundervollen Film Cinema Paradiso erinnert. Clarkes kompositorisches Talent ist leider oft verkannt worden. Sein Hang und seine Liebe zum klassichen Kontrabass war immer vorhanden. Empfehlenswert und hörbar auf Moon Germs mit dem Joe Farrell Quartett von 1971, aber auch auf späteren Platten, wie „At the Movies“ und oder „If this Bass could only Talk“. Auf dieser Scheibe setzt Clarke neue Maßstäbe was den Einsatz, des oftmals als Nebeninstrument verschrienen Basses angeht. Bemerkenswert sind die verschiedenen Spieltechniken, die sich oftmals gedoppelt anhören, obwohl das Gerät doch nur 4 Seiten hat. Super schönes Outro, sehr sensibel, vielfältig und überraschend. Ähnlich wie Corea, hat auch Clarke eine starke Affinität zu Spanien. Wem die Nummer hier gefällt und an weite, ausgetrocknete Landschaften denkt, sollte unbedingt „Spanish phases...“ als Referenz hören. Auf dem Album „Stanley Clarke“ (wie immer sind die Titel der Alben der Ober-Jazz-Männer wenig einfallsreich) präsentiert Clarke eine wunderbare lange spanische Suite für Streicher und Kontrabass.
Das die offensive musikalische Setliste keine dramaturgische Bedeutung für die drei hat, zeigt dann auch die Stelle auf, an dem La Cancion de Sophia platziert ist. Nach dem warm spielen, eine fast experimentell, aber schwierig ruhige Nummer zu setzen, ist fast eine A.Loch-Haltung! Aber wir haben es hier mit Musikern zu tun, die sich nur sich selbst verstehen, das Publikum trotzdem unterhalten. Gelächter bei einer unfassbar gespielten Phase. Toll. Danach gewohnt weiter spacig, der Song Windows vom Album Inner Space. Einer ehr unbedeutsamen Platte von Chick Corea, da sie wirklich fürchterlich klingt. Ich habe mir die original Version gerade auf Vinyl angehört und bin wirklich überrascht, über die Höhen und kaum vorhandenen Bässe und Mitteltöne. Vielleicht auch auf „Forever“ eine der ehr unbedeutsamen Nummern. Keine Highlights, auch wenig Zugang und wenig Gefühl.
Ehr was zum runterkommen, vielleicht kurz vor der Pause? Ich verstehe es nicht, ist aber auch kein Problem, bei der Vielzahl von Meilensteinen!
Hackensack ist ein Ort in New Jersey aus dem Rudy van Gelder stammt. Monk war von dem Studio, dass van Gelder im Wohnzimmer seiner Eltern betrieb so begeistert, dass er einen Song darüber schrieb. Corea ist nun kein klassischer Blue Note Künstler, trotzdem scheint er von dem damaligen Spirit begeistert zu sein. Anders ist seine fast fröhliche, ausgelassene Spielweise bei der Nummer kaum zu erklären. Wenn mal jemand wissen will, wie man einen Walking-Bass spielt, der sollte zu hören. Clarke ist phänomenal, White bekommt sein erstes Solo. Ausgelassene Stimmung, inspiriert von den ganz großen des klassischen Jazz.
No Mystery dann in der Folge ist eine klassische Corea Komposition, mit dem unverkennbaren Melodiestaccato, welches sich kaum beschreiben lässt. Ich kann hier getrost von einem Hit sprechen. Da die beiden Alben „No Mystery“ und folgend „Romantic Warrior“ zu meinen liebsten gehören. Diesen Song mit Worten zu beschreiben, ist völlig überflüssig. Vielleicht eins;-) Diese Nummer kann vielleicht als Referenzanker für das gesamt Werk von Chick Corea stehen. Wenn das in der Vielfalt der Erscheinungen überhaupt möglich ist. Die Melodie ist ziemlich energisch und kraftvoll. Es gibt offensichtlich einen inhaltlichen Sinn. Damit anzufangen ist bei Corea immer schwierig, da er inhaltlich eine fragwürdige Nähe zu Scientology hat. Allerdings macht es keinen Sinn darüber zu diskutieren. Irgendwann hat Corea mal gesagt, dass er seine Musik als Freiheit bezeichnen würde. Womit er auch eine religiöse Freiheit meint. Alles andere wäre ein absurder Widerspruch. Das Zusammenspiel des Trios bei dieser Nummer ist furios. Mehr geht kaum, denkt man, wird dann aber von eben diesen drei Herren immer wieder überrascht. Bemerkenswert finde ich das Timing, welches Clarke und Corea da haben. Das ist auf die hundertstel Sekunde perfekt. Soweit ich das mit meinem Gehör beurteilen kann.
Die folgenden drei Stücke stehen in der Folge der Aufnahme als interessante Studie. Senor Mouse (Trio), gefolgt von Captain Marvel und erneut Senor Mouse auf der zweiten CD mit umfangreicheren Equipment und Musikern gespielt. Beide Nummern sind Corea bzw. Return to Forever Klassiker. Die etwas dynamisch klingende zweite Version von Senor Mouse stiehlt der ersten Version die lyrischen Aspekte, zeigt aber gleichzeitig auf in welchen modularen Rausch sich Corea spielen kann. Hinzu kommen natürlich die Gitarrensounds und der groovendere Bass von Clarke. White kann abrocken, alle haben hörbaren Spaß an der Session. Daher steht die zweite Version auch etwas über der ehr verhaltenen Version im Trio. Captain Marvel läutet dann die „elektronische Phase“ ein. Ursprünglich als Analogie gedacht. Da der Superheld Captain Marvel der einzige gemeinsame Held der beiden Verlage Marvel und DC Comics war. Leicht ist die Interpretation zur Fusion zu finden. Man kann sich die Herren zu Zeiten des zweiten Return to Forever Albums vorstellen. Wie sie einigermaßen bekifft im Studio rum hingen und in den Aufnahmepause Comics gelesen haben. Hoffentlich hat das, mit den Comics, nicht nachgelassen. Das Thema Drogen wird in dem letzten Stück 500 Miles High noch einmal inhaltlich aufgegriffen. Corea hat immer dementiert, dass die Nummer ein Drogensong ist. Weil das natürlich nicht zu seiner hubbartschen Weltanschauung gehört. Kleingeistig räumt er in Interviews immer wieder ein, dass es um den Geist geht, der hoch fliegt. Na ja! Egal, wie gesagt inhaltlich immer fragwürdig, aber mich interessiert es auch nicht, da ich gerade an diesen klischeehaften artifiziellen Punkt des Zuhörens angekommen bin. „Some time ago I had a dream it was happy it was lasting it was free“. Hätte ich zu der Zeit gelebt, wäre ich wahrscheinlich ehr ein durch Musikverehrer gewesen, als dem Hippietum nachzugehen. Wahrscheinlich!
Cresent bezeichnet einen Halbmond in der Architektur. Was will uns Corea sagen? Zurück zum Musikalischen. Die Nummer wird direkt beendet und von einem kurzen Dialog in Armando’s Rhumba übergeleitet. Startet so dann wieder klassisch. Die zu hörende Geige wird von Jean-Luc Ponty gespielt. Interessant dabei ist, dass Ponty die elektronische Verstärkung immer ablehnte. In dem Konstrukt folgen auch Corea, Clarke & White. Dies aber nicht untertänig, sondern ehr um zu beweisen, dass sie das auch können, Ponty aber nicht in der Lage ist, sich zu öffnen. Das ist eine böse Unterstellung, aber nahe liegend. Irgendwas muss uns das sagen. Aber abgesehen davon ist das eine zu herzen gehende Nummer, die vieles vereint, was nicht vereinbar scheint und zurück zu Coreas wunderschöner „My Spanish Heart“ Platte führt. Der Zeitpunkt für den Track auf dieser Platte ist glorreich gewählt und scheint nur logisch im gesamten Kontext der ganzen Scheibe zu sehen. Den Beweis dafür tritt dann auch gleich die Folgenummer Renaisssance an. Ponty darf weiter machen und scheint nun doch verkabelt zu sein. Womit er nicht nur sein Schaffen öffnet, sondern auch Freiheit beweist. Genau das ist es was die Musik und Return to Forever ausmacht und ausgemacht hat! Dafür danken die Herren C, C & W und agieren bei Renaissance als Begleitband des menschlich schwierigen Geigers. Ganz wunderbar, sehr fein und außergewöhnlich. Eines der ersten musikalischen vollendeten Leistungen des Jahres 2011.
High Wire – The Aerialist verstehe ich ehrlich gesagt überhaupt nicht. Im Gegensatz zu vielen anderen, habe ich Chaka Khan nie für eine außergewöhnliche Sängerin gehalten. Insbesondere bei den Höhen hört man das bei dieser Nummer doch sehr genau, ...dass ich richtig liege. Ich kann auch mit dem Song nichts anfangen. Push forward....
Auch Porgy and Bess habe ich nie verstanden. Gershwin bewundere ich, allerdings nicht für die Interpretation auf diesem Album. Benötige kein Mensch. Die Gradwanderung die C, C & W nun gehen ist famos mutig, unbedeutend und unbrauchbar, aus meiner Sicht.
Bei der Gelegenheit muss übrigens Brian Wilsons Version aus dem 2010er Album Reimagines Gershwin erwähnt werden. Solche Kompositionen benötigen Würde. Nicht, dass C, C & W die nicht haben, aber halt nicht auf der Crooner Ebene. Auf Wiedersehen Frau Khan.
After the Cosmic Rain aus dem Album „Hymn of the Seventh Galaxy“ steht dann auch für das Return for forever. Hoffentlich. Die Nummer ist eine weitere Stanley Clarke Komposition. Die Themenvielfalt ist typisch, musikalisch niederschmetternd, anbetungswürdig. Inhaltlich, damals, wieder fragwürdig, wegen der inhaltlichen Nähe zu L. Ron Hubbard. Es ist mühsam darauf rum zureiten, aber es ist die gefährliche Synergie die diese Musik zu der Welt der fragwürdigen Anschauungen bildet. Tja, aber auch nachvollziehbar. Eine klassische RtF Nummer wundervoll, auf jeden Fall.
Grandios, dann Space Circus. Ein ABSOLUTES OBERHIGHLIGHT! Ein Endstück, ein Titan, etwas DEFINITIVES, etwas EINZIGARTIGES. Der Groove mit nichts vergleichbar, die Hook nicht fassbar, die Bridge kompositorisch GÖTTLICH, zusammengenommen und subsumiert eine der 10 besten musikalischen Nummern ALLER ZEITEN! Nur laut hören zählt, nur nicht mehr denken, sondern fallen lassen. Besser gespielt als jemals zuvor. Hier treffen sich viele Freunde nach einem Motorpsychokonzert und tanzen die ganze Nacht nackt im Garten. All night long. Die Bassstatue von Stanley Clarke als bestes gespieltet Bassstück überhaupt wird mit Kerzen und weißen Federn ausgekleidet. Angebetet.
Was dann folgt, liegt nicht mehr in meinem Verständnis. Ich werde aber versprechen, auch zu mir selbst, dass ich in den nächsten 10 Jahren überprüfen werde, was ich jetzt gerade denke, was in mir vorgeht. Es ist mehr als das, wofür ich jemals Worte gefunden habe.
Aber an dieser Stelle könnte ich auch ebenso gut über mein neustes Hackbratenrezept schreiben. Niemand wird diesem epischen Abhöreintrag gefolgt sein. Nachvollziehbar. Notiz für mich selbst und Fazit: Alan, wenn Dich jemand fragen sollte, welches ein denkwürdiges aktuelles Jazzalbum ist, um einen Einstieg in dieses Genre zu bekommen, aber auch gleichzeitig, die Weiterführung erleben will, dem sag bitte FOREVER. Bitte! Was für ein magisches, simples, wertvolles Wort! Wie treffend für mein Universum, für meine Liebe zur Musik und meinem Anspruch an dieses wichtige Segment in meinem Leben! Danke Chick Corea, danke Stanley Clarke und danke Mr. White (der viel zu kurz gekommen ist). Paradise! Musikalisches...
Alan Lomax