Vergessene Helden - Henryk M. Broder
Ach, gebe es doch nur mehr Menschen wie diesen Henryk M. Broder in Deutschland. Kein bürgerlicher Mensch müsste sich mehr Sorgen machen, dass wir hintergangen, verarscht und manipuliert werden. Würde es aber mehr Broder’s in Deutschland geben, hätten wir ein Problem! Satire, Intelligenz und Polemik würde zum Mainstream werden und wären nicht mehr unterscheidbar von der Wirklichkeit.
Die taz bezeichnete Broder ungenügend als den Dieter Bohlen des Feuilleton. Was natürlich viel zu wenig ist! Aber was könnte mehr sein? Mal sehen wer dieser listige kleine, alte Mann eigentlich ist?
Ich habe ein paar Biographien gelesen und zusammengefasst finde ich folgende erfundene Vorstellung, nach tatsächlichen Fakten sehr treffend für eine vergleichende Beschreibung:
Stellen Sie sich vor: Wir stehen in einer Seitenstraße der Reeperbahn. Es ist ein trister Septembernachmittag Anfang der siebziger Jahre. Es regnet. In der Straße ist ein kleines Geschäft zu sehen. Man kann dort nichts kaufen. Es ist das Redaktionsbüro der St.-Pauli-Nachrichten. Hinter der Fensterscheibe sieht man zwei junge Männer, die sich an zwei Schreibtischen gegenüber sitzen. Der Raum ist voll gestapelt mit Papier, Magazinen und behangen mit fragwürdigen Plakaten von hübschen, sehr nackten Frauen, sowie einigen, handgeschrieben linken Parolen. Es stehen zwei vergammelte Büropflanzen rum, wovon die eine es geschafft hat, ihr altes, einziges ehemals grünes Blatt neugierig über den Grauschleier der ewigen Nikotinrauchwolke zu recken. Die beiden Männer sind Stefan Aust, der später der Chefredakteur des Spiegels wird, der andere ist Hendryk M. Broder, der begnadeter Selbstdarsteller wird, damals vielleicht schon ist. Ein dritter Mann steht im Hintergrund, es ist Günter Wallraff. Die inhaltliche Mischung des Magazins ist ebenso krude, wie die verschiedenen vorgezeichneten Lebenswege der drei Männer: Pornographische Bilder von Hausfrauen, Kontaktanzeigen deren Wortwahl für lebenslange Beleidigungen reichen und längere, politisch motivierte Texte.
Pornographie scheint neben all‘ den politischen Themen, die Broder so trefflich hinterfragt und kommentiert, ein persönliches Steckenpferd zu sein. Wer mehr darüber wissen möchte, sollte sich auf Flohmärkten, alte (Musik)-zeitschriften wie die „Song“ kaufen. Broder’s linke Haltung und geifernde Erotik waren dort Tagesordnung.
Einmal leicht pornographisch, unschuldig, gestaltete sich auch eine Folge der deutschen Roadmovie-Satiresendung „Entweder Broder – Die Deutschland Safari“, einer mehrfach ausgezeichneten TV-Sendung, die häufig auf den ARD Spartenkanälen zu sehen ist. Man sieht dort Herrn Broder, der die wichtigen Weltthemen für eine schöne Frau (Indira Superstar) gerne mal beiseite rückt und sich auf ihre beiden „Hauptargumente“ konzentriert. Normaler Weise sitzt Hamed Abdel-Samad neben Broder. Abdel-Samad als Sideman zu besetzen ist eine grandiose redaktionelle Leistung. Der deutsch-ägyptische Politologe, Historiker und Autor hat genügend Humor, um die ewig anspruchsvollen Äußerungen von Broder zu verstehen oder sie klein zu halten, bevor es peinlich wird. In einem alten, mit vielen Parolen und Selbstbildnissen (im wahrsten Sinne des Wortes) lackierten alten Volvo reisen die beiden quer durch Deutschland. Dabei besuchen sie politisch motivierte Hinterzimmer-Veranstaltungen, Kongresse und führen Interviews mit Menschen, die in irgendeiner Weise einen Bezug zu den Themen Amerika, Religion, Integration, Verschwörungstheorien, Politik oder Rassismus haben.
Diese Serie sei jedem politisch orientierten Menschen mit einem Hang zu schwarzem Humor, investigativem Journalismus und intelligenter Polemik empfohlen. Eine echte Ausnahmeerscheinung im deutschen Fernsehen. Broder’s Mut, rhetorische Stärke und Cleverness kann man dabei nur bewundern. Auch die größten Feinde und Unmenschen, lässt er ausreden, um sie final auf verbales Glatteis zu führen.
Die Themen Antisemitismus und Antizionismus sind dabei die getriebenen Motive und Leidenschaften, des sympathischen älteren Herren, dessen funkelnden, intelligenten Augen und verschmitztes Lächeln schnell süchtig machen.
Ob man nun immer der broderschen Meinung folgen will, muss jeder für sich selbst beantworten. Dass er bei Meinungsäußerungen (siehe auch aktuelles Buch „Vergesst Auschwitz! Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage) zu schwierigen Themen grenzüberschreitend agiert ist ehr bewundernswert, als fraglich. Offensichtlich ist die ARD auch dieser Meinung. Betrachtet man aufmerksam den Abspann der fünfteiligen TV-Serie, wundert man sich schnell über das kleine Produktionsteam, welches immerhin mit 3 Juristen besetzt ist!
Broder ist ein Meinungsmacher und kontroverser Mensch. Ich wäre froh, wenn es von diesen Typen eine ganze Armee geben würde. Wird es aber nicht, da solche Unikate, am Aussterben sind. Und das liegt auch an uns! Uns!? …Menschen die gerne Ja! sagen, Meinungslos sind und lieber den einfachen Weg gehen: Nämlich für alles zu sein!
Henryk M. Broder ist einer der letzten großen deutschen Zyniker. Der absolut leidenschaftliche alte Mann ist dabei ehr Philanthrop als Misanthrop, was ihn unter den legendären Zynikern der Weltgeschichte zu einem Faktotum macht. Broder scheint das Leben und den Rock’n’Roll zu lieben und verdient es somit auf diesen Seiten Erwähnung zu finden.
Alan Lomax