Steely Dan

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  20. Dezember 2012, 10:35  -  #Klassiker

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Bei diesem aktuellen Eintrag handelt es sich um eine Wiederveröffentlichung von bereits veröffentlichten Steely Dan Einträgen der Vergangenheit.  

 

Seit meiner ersten Veröffentlichung eines Eintrages auf dem Alan Lomax blog, denke ich darüber nach, wie ich am besten meine Liebe zu Steely Dan schildern, beschreiben und fühlbar machen kann.

 

Da der erste und wichtigste Zweck immer die eigene Archivierung sein soll, ist die Form oder Lesbarkeit eigentlich zweitrangig. Übergeordnet muss mein Gefühl sein und die Möglichkeit, die Gedanken von 2009, auch noch 2019, 2029… zu verstehen. Der Ureigene Sinn eines Tagesbucheintrages, der Denkschrift also.

 

Ein Debakel der Erfahrung, Langfristigkeit und Kenntnisse gegenüber der eigenen geliebten Musik, ist die ständige Vervielfachung der schönen Dinge. Tag, täglich kommen neue Bands und Künstler hinzu, parallel werden vergessene und kaum gehörte Künstler verarbeitet und geschätzt.

 

Es gibt eine alte indische Legende die dieses Problem gut beschreibt und im Kern positiv darstellt:

 

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Die Geschichte handelt von dem Erfinder des Schachspiels und dem König Sher Khan. Sher Khan war so begeistert über das Brettspiel, dass er dem Erfinder einen Wunsch als Belohnung schenkte. Der Erfinder wünschte sich ein einziges Reiskorn. Der König war irritiert und sagte, er könne sich doch mehr wünschen. Der Erfinder sagte, er hätte gerne auf dem zweiten Feld zwei Reiskörner, auf dem dritten vier, auf dem vierten acht, auf dem fünften Feld sechzehn Reiskörner.

 

Der König war wieder verärgert, weil er dachte, der Erfinder halte ihn für arm oder geizig. Er sagte, er wolle ihm für alle Felder Reiskörner geben –auf jedem Feld doppelt so viele Körner wie auf dem Feld davor.

 

Nachdem Sher Khan klar wurde, dass es im gesamten Reich nicht genug Reis gäbe und verstanden hat, dass der Erfinder schlauer war als all seine Mathematiker, stellte er ihn als Berater ein.

 

Die Zahl 18.446.744.073.709.551.615 ist übrigens die wissenschaftlich richtige Antwort auf die Frage des Königs, wie viele Körner es denn seien, die der König hätte ausbezahlen müssen.

 

Wenn ich diese Geschichte nun also auf, meine Eingangs geschilderte Problematik des musikalischen Overkills übertrage, würde ich wohl auf die gleiche Summe kommen. Zumindest besteht eine Beziehung der Ähnlichkeit auf die Frage, welches mein erstes Reiskorn war und warum es letztendlich das Urdatum für die (hoffentlich) 18.446.744.073.709.551.615 Songs ist, die am Ende meines Lebens durch mein Ohr gegangen sind.

 

Die Chance auf Reiskorn Nummer Eins haben viele Bands, Komponisten, Künstler, Sänger, Arrangeure und Songs sowie Partituren. Aber welches ist sozusagen der Multiplikator für alles. Das Urkorn, dass das restliche Alan Lomax Universum erschaffen hat?

 

Meine Antwort kann nach reiflicher, anstrengender und langjähriger Überlegung nur eine sein:

 

Steely Dan!!!

 

Um mir selbst zu erklären was es bedeutet Steely Dan Musik zu lieben, wäre es vielleicht wichtig mich selbst zu erklären.

 

Ehrlich gesagt, konnte ich nie großartig etwas mit bedeutungsschwangeren Texten anfangen. Eine poetische Zwischenmenschliche Reflektion in Texten und die Beschreibung des Realen mit Irrsinn, bringt mein Weltbild des Textes, des Gedichtes und des Buches wohl ehr auf den Punkt.

 

Dies gepaart mit der amerikanischen Kultur und dem Leben in den Staaten zwischen 1960 und 1990 trägt sicherlich dazu bei, dass ich seit Kindestagen von Bands aus diesem Zeitraum zusammen gestoßen bin.

 

Ein dritter wesentlicher Punkt ist der typische L.A.-Sound. Oftmals habe ich von Menschen, denen ich Steely Dan vorgespielt habe, folgende Antworten bekommen: „Das klingt zu sauber“, „Das ist zu glatt“ und „Das klingt zwar perfekt, hat aber keine Seele“. Für mich es immer die Schönheit der Komposition von Walter Becker und Donald Fagen gewesen, die mich fasziniert hat.   

 

Der letzte wesentliche Punkt der meine Liebe zu Steely Dan erklärt, hängt auch mit Songwriting zusammen. Becker und Fagen sind in der Lage mit den Grundlagen des Jazz einen scheinbar einfachen Popsong herzustellen. Somit schaffen sie es meinen ewigen Zwiespalt zu eliminieren: Warum langweilen mich Popsongs schnell und warum nerven mich allzu uninspirierte Improvisationen.

 

Zusammengefasst in vier Worten also:

 

Text – Amerikanische Kultur – Komposition – Songwriting

 

Alles musiktheoretische Ansätze, die vieles erklären können deswegen auch in der Folge von mir eingesetzt werden, aber nicht die endgültige Formel ist, die ich suche und die ich ab sofort „Gun“ nennen werde.

 

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Fange ich also ganz vorne an, also an dem Tag an dem ich das allererste Mal einen Steely Dan Song gehört habe:

 

Dazu muss ich einen wichtigen Herren in meinem Leben vorstellen: Peter Karla! Herr Karla, später durfte ich ihn Atze nennen, war ein Nachbar von meinen Eltern und der Vater meines damaligen Kumpels Markus. Peter Karla hatte im Jahr meiner musikalischen Sozialisierung eine veritable Jazzplatten-Sammlung. Das war 1984. Ein ungewöhnlicher Typ, der vielen anderen Nachbarn ehr merkwürdig, weil nicht konformistisch vorkam. Atze erzählte viel aus der Vergangenheit. Somit war er während seines Studiums Berliner Box Stadtmeister im Mittelgewicht, hatte bereits mit 22 Jahren mehrfach die Welt umreist und hatte damals gerade angefangen Berge die über 7.000 m hoch sind zu besteigen. Dies sogar nachweislich, weil wir immer beobachten durften, wie er sich auf die nächste Expedition vorbereitete.

 

Bei Markus spielen gehen, hatte für mich bald einen ganz anderen Zweck. Nämlich mit seinem Vater im Wohnzimmer zu sitzen und mir Musik vorspielen zu lassen.

 

Später hat er mir auch Tapes aufgenommen und ich kann heute mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass Atze Karla, der wichtigste musikalische Einfluss in meinem Leben gewesen ist. Ein Mentor.

Zurück zu Steely Dan:

 

Es war also im Frühsommer 1984. Ich saß auf der weißen Ledercouch von Atze Karla. Mit einem breiten Grinsen, stand der Mann vor mir und sagt sinn gemäß: „Und jetzt spiel ich Dir ein Lied von Steely Dan vor, dass Du nie wieder vergessen wirst“. Ich kann mich noch erinnern, wie er seinen silbernen Onkyo-Verstärker anschaltete. Wir warteten das obligatorische 5 Sekunden klicken ab und Atze legte „Do it Again“ den Opener der Platte „You can’t buy a thrill“ auf. Vernommen haben ich nicht viel nur die Textzeile „Go back, Jack, do it again!“.

 

Atze nahm mir das ganze Album auf Tape auf. Auf die B-Seite überspielte er mir das Tom Scott Album „Target“. Welches ich nie gehört habe, da ich immer wieder nur die A-Seite gehört habe.

 

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Das war der Einstieg. So hat es begonnen. „Do it Again“ ist sicherlich bis heute der bekannteste Steely Dan Song. Da er nicht nur eine erfolgreiche, langfristige Chartplatzierung hatte, sondern auch heute noch oftmals im Formatradio gedudelt wird. Sicherlich wegen der oberflächlichen Gefälligkeit der Melodie und wegen des einschmeichelnden hypnotischen und beruhigenden Rhythmus. In Wirklich beschreibt der Song einen Mann, der seine Dämonen nicht in den Griff bekommt. Im Mittelteil gibt es ein Interlude welches das drogenorientierte Lebe der Hippiebewegung genial mit einer Sitar beschreibt. Enden lassen Becker und Fagen den Song mit den Textzeilen:

 

Then you love a little wild one,
but she brings you only sorrow,
everytime you know she’s smiling,
you’ll be one your knees tomorrow

 

Heute gehört “Do It Again” nicht mehr zu meinen Lieblingssongs von Steely Dan. Wahrscheinlich auch, weil ich mir einfach überhört habe. Ein Attribut, welches bei Steely Dan ehr ungewöhnlich ist.

 

Natürlich erklärt das alles nicht die Leidenschaft, aber es ist auch erst der Beginn der Forschungsreise.

 

„Gun“ ist übrigens aus meiner Sicht eines der am häufigsten verwendeten Wörter in Steely Dan Texten. Oft auch wortverwandt wie gunning=aufdrehend etc. Ich werde das Wort das nächste Mal verwenden, wenn ich meine Formel gefunden habe. Wahrscheinlich nach dem 1.400 Eintrag unter der Kategorie Steely Dan.


Und mit einer Textzeile aus Do it Again vorläufig zum letzten Mal 

 

In the morning you go gunning
For the man who stole your water

 

Vor einigen Jahren (!) hatten wir hier mal die Kategorie Steely Dan. In anfänglicher Euphorie hatte ich mir vorgenommen jeden einzelnen Song meiner Lieblingsband zu hören und zu beschreiben was ich empfinde. Viele andere Themen sind dazwischen gekommen, Zeit fehlte, der Druck auch! Nun scheint ausgerechnet das Jahr 2011 wieder ein Steely Dan zu werden und ich warte täglich auf das neue Album "The Jazz-Rock Ambassadors to the Galaxy". Ein gleichzeitig lustiger und zeitgleich nachvollziehbarer überdrehter Titel der alten Botschafter! Außerdem warte ich natürlich auf Tourankündigungen für das gute alte Europa.

Beim wöchentlichen Überfliegen meiner liebsten amerikanischen Tageszeitungen ist mir folgender Artikel aufgefallen: http://latimesblogs.latimes.com/music_blog/2011/03/sxsw-2011-the-strokes-austra-le-butcherette.html

Kurz; ...die L.A. Times berichtet über das neue Strokes Album. Etwas umständlich beschreibt wird dort der Song "Life Is Simple In The Moonlight" als kurioser Mix aus verschiedenen Stilen, dessen handwerkliche Gitarrenarbeit ehr an Steely Dan erinnert, als an Rock'n'Roll beschrieben. Da werde ich natürlich aufmerksam.

 

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Nun ist es so, dass ich die Strokes schon immer für eine besondere Band gehalten habe. Allerdings ein wenig das Interesse an ihrer Musik verloren habe. Nun ist es wieder anders geworden. Beim Hören von "Life Is Simple In The Moonlight" wurde ich angestiftet das komplette bemerkenswerte und gute Album zu hören. Bleiben wir aber bei der Verneigung vor Donald Fagen und Walter Becker. Ich finde das schön und es freut mich zu hören, wie dort in einem Gitarrensolo versucht wird, sich tatsächlich an den Jazz-Rock-Ambassadors zu bedienen. Die Songstruktur und Idee bleibt natürlich in dem unvergleichlich naiven Spiel der Strokes, aber der Gitarrenteil ist so famos, dass er im Einzelnen gewürdigt werden muss, weil es auch zeitgleich eine weitere mir sehr wichtige Fusionierung darstellt. Die Verschmelzung von der Idee des Punkrocks mit dem Gedanken an die Helden der perfekten Musik und der vielleicht definitivsten Art Unterhaltungsmusik zu komponieren. Hier treffen zwei unterschiedliche Welten aufeinander, die ich zeitgleich Liebe und Zeit meines Musikhörlebens versuche zusammenzubringen. Wahrhaftig denkwürdig!

 

Eigentlich ist es müßig einzelne Songs auseinander zunehmen! Texte zu interpretieren und in einen sinnvollen Zusammenhang zur Musik zu bringen.

Warum? Ganz einfach, weil es überwiegend langweilig wird. Die Leere!

Bei Steely Dan Songs macht dies allerdings Sinn, wenn man einige Songs seit über 20 Jahren hört und dann anfängt sie zu verstehen.

 

 

Bei King of the World haben mich eigentlich immer die klagenden Synthesizer fasziniert. Wenn man genauer hinhört klingen sie wie gedoppelte Saxophone. Der Sound der Synthesizer ist ein MIDI-Sound. Ich glaube nicht mal besonders originell und technisch ausgefeilt. Ich bin zumindest mit dem Programm "Garage Band" in der Lage, in wenigen Sekunden einen ähnlich klingenden Sound hinzubekommen. Es ist die Stilistik, mit der Donald Fagen diese Solos spielt.

 

In einem Interview mit Gary Katz der das Album "Countdown to Ecstasy" produziert hat, habe ich gelesen wie er die Aufnahmen zu "King of the World" beschreibt: "Fagen war manisch. Als er das Solo im ersten Teil des Songs beendet hat, sagte er: ..."das kann ich nicht noch mal spielen." Anschließend sass er 20 Minuten im Studio und sah wortlos auf den Boden. Katz weiter: Fagen wollte den Song nicht aufnehmen, weil er sein eigenes Genie übersprungen hatte. Er hörte sich die erste Aufnahme immer und immer wieder an, bis er es besser konnte. Am dritten Tag hatte er dieses diabolische Grinsen im Gesicht, nach dem er sich mehrere Stunden mit Becker eingeschlossen hatte. Er konnte es noch besser spielen als beim ersten Take. Der Grund dafür das die "Weiterführung" und der Synthesizer-Gitarren-Dialog der dann auch im zweiten Teil Verwendung fand.

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Der angesprochene zweite Dialog klingt dann noch klagender und warnender als der erste Teil. Denn eigentlich ist ja bereits alles vorbei.

 

Worum handelt es sich nun also in "King of the World"? Der Song ist ein post-apokalyptischer Traum. Er beschreibt die Fahrt durch eine Endzeit und dem vielleicht letzten Überlebenden. Ein durchaus nachvollziehbares Szenario für 1973 (.und nur für 1973???). Man machte sich nicht nur Sorgen um den Kampf der Kulturen, sondern über das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen, über das Ende, vielleicht, der Welt selber.

 

 

No marigolds in the promised land

There's a hole in the ground

Where they used to grow

Any man left on the Rio Grande

Is the king of the world

As far as I know

 

Im weiteren Verlauf des Textes versteht man die Zusammenhänge und den Text mit seinem wunderbaren Querverweisen zur untergehenden amerikanischen Kultur. Ein genialer Kniff von Becker und Fagen. Die Endzeitstimmung mit einer Wah-Wah Gitarre und sechzehntel High Hat Schlagfolgen zu markieren. So entsteht die Atmosphäre von geliebten siebziger Jahren Filmen wie "Bullit" und Fahrten über die Zoo-Brücke im "zweiten Gang."

Ein Wort vielleicht noch zu Beckers Gitarre in der nicht Wah-Wah getriebenen Phase des Songs. Hören sich die Pattern die er da spielt an, wie ein Geigerzähler? Verdammt noch mal ja!

Es ist so großartig, die Songs dieser Band immer wieder neu zu entdecken. Unglaublich die Tiefe, die Ideen und die Zusammenhänge. Wenn man sich darauf einlässt. Insofern ist es doch nicht müßig einzelne Songs auseinander zunehmen, drüber zu schreiben und sich mit dem Geliebten auseinander zusetzten.

King of the World
Es lebe Alan Lomax
...er lebe hoch! 


Silbrige Grüße
von Alan Lomax

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