Rufus Wainwright – All Days Nights: Song for Lulu
Dem neuen Album von Rufus Wainwright sollte man mit sehr viel Respekt und Distanz oder gar nicht begegnen. Es ist fürchterlich anstrengend, aber auch wundervoll persönlich. Es ist sperrig, aber nachvollziehbar. Es ist lyrisch, aber auch unterhaltsam, es erzählt eine Geschichte. Es ist streckenweise fürchterlich bieder, dann ist aber auch wieder weit, groß und kunstvoll.
Wainwright widerspricht sich aber nicht selbst. Er nimmt einfach viele Einflüsse, Gedanken, Kontexte und persönliche Erlebnisse auf und gibt sie an uns zurück. Dabei breitet er einen massiv weiten Teppich vor uns auf, den man Kunst nennt.
Nach seinem letzten Popalbum „Release the Stars“ von 2007 hat Rufus Wainwright viel erlebt und viel erschaffen. Er hat der Schwulen-Ikone Judy Garland ein unfassbares Erinnerungs-Konzert in der Carnegie-Hall gegeben. Fast zeitgleich hat Wainwright in seinen deutschen Freund verliebt. Zeitgleich einen neuen Freundeskreis aufgebaut und die Kultur, Kunst und Pracht der Berliner Welt kennen gelernt. Während seiner Arbeit an Prima Donna, seiner ersten Oper, erkrankte seine Mutter Kate Mc Garrigle. Wer sich mit den Wainwrights beschäftigt hat, weiß, wie sehr Familiengeschichten, -tragödien und –geschichten künstlerisch verarbeitet werden. Kate Mc Garrigle ist am 18. Januar des aktuellen Jahres verstorben. Während den Aufnahmen zum neuen, aktuellen Album.
Rufus Wainwright setzt sich alleine damit auseinander. Sehr reduziert, lediglich mit seinem Klavier und seiner unfassbaren, zum nieder knienden Stimme! Dabei sind ihm unfassbare intime Momente gelungen, aber halt auch kaum nachvollziehbare Gefühle, die er selbst verarbeiten muss.
Die szenisch-dramatische Handlung hat bei der wainwrightschen Kunst schon immer im Vordergrund gestanden. Aufmerksam wird man auch seinen Schritt zur Klassik und zur Oper beobachtet haben. Er ist ein Renaissance Mensch. Die Straßenkreuzung in der Mitte der Allee war also auf grün gestellt (Rolling Stone lesen, guter Artikel, gutes Interview, gute Erklärungen, tolle Fotos, sehr gute Kleidung). Im weitesten Sinne wirken in der Oper viele verschiedene Künste ein. Ähnlich wie im Film! Rufus Wainwright benötigt diese Weitläufigkeit, damit er seinen übersprudelnden Genius angemessen verteilen kann.
Darauf darf man gespannt sein. Wer die reduzierte Form des Künstlers erleben will, sollte sich das Atem beraubende, vor Schönheit und tiefer Traurigkeit trotzende TRUE LOVES von der neuen Platte anhören. Wer keine Zeit hat und keine Muse, sollte schnellstens abhauen. Es macht keinen Sinn, sich dieses Album anzuschaffen. Es ist für Entdecker, für Kenner und für Liebhaber von Rufus Wainwright.