Infinity Song - Metamorphosis Complete

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  4. April 2025, 11:01  -  #Haldern Pop Festival Line-Up

Photo by: John N. Adams III

Photo by: John N. Adams III

Infinity Song sind ein Versprechen – vier Geschwister, deren Musik direkt in die Seele fließt. Mit ihrem aktuellen Album Metamorphosis Complete zeigen Abraham, Angel, Israel und Momo Boyd, dass Soft Rock nicht nur lebendig, sondern auch zwingend relevant sein kann. Verträumte Texte, makellose Harmonien und eindringliche Gitarrenriffs lassen Erinnerungen an legendäre Bands der 70er-Jahre wachwerden und beweisen zugleich, wie zeitlos echte musikalische Qualität ist.

Doch Musik wie diese braucht nicht nur Ohren, sondern auch Worte, um ihre Kraft voll zu entfalten. Selbstgeschriebene, leidenschaftliche Plattenbesprechungen sind mehr als bloße Kommentare – sie sind der Pulsschlag der Popkultur, das leidenschaftliche Echo derer, die Musik nicht nur konsumieren, sondern fühlen, begreifen und reflektieren. In einer Zeit, in der Algorithmen und gesichtslose Playlists bestimmen, was gehört wird, droht der Verlust jener subjektiven Stimmen, die Platten erst verständlich machen, ihnen Bedeutung und Tiefe verleihen. Ohne diese Autorenschaft werden Songs zu bloßen Datenpaketen reduziert – entleert, entzaubert, steril. Wenn wir den Konzernen und ihren kalten Algorithmen die Deutungshoheit überlassen, zerstören wir nicht nur das Fundament echter Musikkultur, sondern berauben Künstler:innen ihrer Stimme und ihrer Fähigkeit, wahrhaft gehört zu werden. Deshalb müssen wir schreiben – laut und deutlich, kompromisslos subjektiv. Denn erst durch persönliche, authentische Worte entfaltet Musik ihre volle Kraft – und bleibt am Leben.

The Fifth Dimension waren eine amerikanische Pop- und Softrock-Band, die Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre ihre größten Erfolge feierte. Mit ihrem einzigartigen Mix aus Pop, Soul, Psychedelia und Easy Listening wurden sie zu einer prägenden Stimme ihrer Zeit. Ihre außergewöhnlichen, mehrstimmigen Harmonien und das elegante Zusammenspiel zwischen weiblichen und männlichen Stimmen machten Songs wie „Aquarius/Let the Sunshine In“ und „Up, Up and Away“ zu zeitlosen Klassikern, die das Lebensgefühl einer ganzen Generation einfingen. Besonders in den 70ern verkörperten The Fifth Dimension musikalisch und ästhetisch eine positive, friedvolle Utopie – sie standen für Hoffnung, Harmonie und kulturellen Wandel und hinterließen einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung des Pop und Soft Rock, dessen Echo auch heute noch spürbar ist.

The Fifth Dimension, The Carpenters, Burt Bacharach – weshalb dieser kurze Ausflug zu den Giganten der 60er- und 70er-Jahre? Weil Infinity Song genau jenes selten gewordene Gefühl zurückbringen: die Leichtigkeit, mit der Melodien zu Ohrwürmern wurden, die scheinbare Mühelosigkeit perfekter Harmonien – und die tiefe Wärme zeitloser Arrangements. Natürlich sind die Referenzen groß, beinahe zu groß – The Carpenters und Bacharach sind musikalische Monumente, deren Songs tief in unserer DNA eingebettet sind. Infinity Song stehen noch am Anfang dieses Weges, doch der Vergleich dient weniger der Konkurrenz als vielmehr der Einordnung in eine gemeinsame musikalische Landschaft. Denn hier geht es nicht um Schubladen, die nach Jahrzehnten aufgezogen werden, sondern um jene Magie, die zeitlose Musik verbindet.

„Haters Anthem“ – der Titel allein ist bereits ein charmantes Paradoxon. Statt einer erwarteten Kampfansage liefert Infinity Song hier eine lässige, fast schon spielerische Hymne, die Selbstvertrauen und musikalische Raffinesse vereint. Die eleganten Vocals der Boyd-Geschwister verweben sich spielend leicht mit butterweichen Gitarrenlinien und groovigem Rhythmus – und zeigen, dass Selbstironie und Coolness viel stärkere Waffen gegen Missgunst sind als offene Konfrontation.

„Sinking Boat“ ist vielleicht der emotional tiefste Moment auf Metamorphosis Complete. Der Song gleitet ruhig dahin – mit schwebenden Harmonien, zartem Gitarrenspiel und einer Stimme, die so klar wie fragil klingt, als würde sie jeden Moment brechen und sich im letzten Augenblick wieder fangen. Infinity Song zeigen hier eindrucksvoll, dass sie nicht nur musikalisch virtuos sind, sondern auch emotional aufrichtig.
Stilistisch erinnert der Track an moderne Soul- und R&B-Künstler:innen wie Lianne La Havas, H.E.R. oder Norah Jones – Acts, die es verstehen, leise Töne groß zu machen. Auch Sinking Boat entfaltet seine Wirkung nicht durch Lautstärke, sondern durch Reduktion und Atmosphäre. Es ist ein Song, der bleibt. Nicht, weil er laut ruft, sondern weil er still nachhallt.

„Pink Sky“ ist ein Paradebeispiel für das, was Infinity Song ausmacht, wenn sie sich nicht an Genregrenzen halten, sondern frei assoziierend Klangräume bauen. Der Track erinnert in seiner Leichtigkeit und Verspieltheit an die charmante Melancholie von Belle & Sebastian, bringt aber zugleich die leicht futuristische Eleganz von Stereolab ins Spiel – Retroästhetik trifft hier auf eine fast wissenschaftliche Klangverliebtheit. Und über all dem schwebt ein feiner Hauch von Jim O’Rourke: diese seltsame Sanftheit, dieses kontrollierte Loslassen, wie man es von Eureka oder Insignificance kennt. Musik, die sich aus dem Zwang der Unmittelbarkeit löst und sich in langen Bögen entfaltet, ohne je ihre Klarheit zu verlieren.

Wer da reflexartig den Begriff Yacht Rock zückt, sollte kurz innehalten. Denn das hier ist kein ironisches Reenactment sonniger Westküsten-Softness – Pink Sky ist eher ein neu gezimmertes Haus. Eines mit weiten, offenen Fenstern, in dem Luft und Idee zirkulieren. Keine konstruierte Coolness, sondern ehrliche Ambition – smooth, ja, aber nicht seicht. Infinity Song schaffen hier eine neue Form von eleganter Popmusik, die nicht gefallen will, sondern überzeugen kann – durch Musikalität, Stil und Haltung.

Und während Pink Sky in seiner sanften Radikalität vielleicht wenig mit dem Konzert von Jimi Tenor letzte Woche in Köln gemein hat – musikalisch jedenfalls –, so verbindet beide Acts doch eine Haltung: das Streben nach einer eigenen, unabhängigen Klangsprache. Jimi Tenor baut sich seit Jahrzehnten seine ganz eigene Welt aus Funk, Jazz, Elektronik und Wahnsinn – Infinity Song tun Ähnliches mit Soul, Rock und Harmonie. Musik jenseits des Tellerrands. Musik, die bleibt.

„No One Comes Close“ ist der heimliche Abspann dieses Albums – ein Song wie eine Umarmung in Zeitlupe. Tränentreibend, ohne kitschig zu sein. Eine kleine, schimmernde Popperle, durchzogen von zig Millionen Melodien, die alle auf eine einzige Richtung zeigen: den Himmel. Oder eben den nächstgelegenen Strand, mit einem Picknickkorb voller Rotwein, Käse und kalten Hähnchenschenkeln. Alles gefilmt in Kodachrome, leicht verwackelt, mit Sonnenflecken auf der Linse – das Bild, das man sich in 30 Jahren noch einmal anschaut, um sich zu erinnern, wie wundervoll ein Tag im Leben sein kann.

Dass Infinity Song im August 2025 beim Haldern Pop Festival auftreten werden, fühlt sich deshalb weniger wie eine Booking-Info an – und mehr wie eine Verheißung. Sie sind schon jetzt das heimliche Highlight eines Festivals, das für Magie bekannt ist. Vielleicht wird dieser Tag der eine Moment im Jahr sein, der alles richtig erscheinen lässt. Der kleine Sonnenstrahl, der reicht, um den ganzen anderen Scheiß zu ertragen. Weil Musik manchmal genau das ist: Energie. Trost. Schönheit. Und alles zur gleichen Zeit.

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