We Love Green Festival2022 Paris – Die Regenschlacht von Vincennes

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  7. Juni 2022, 12:32  -  #Festival, #Festivalbericht, #Festivals, #Feuilleton, #Independent Musik, #Kommunikation, #Konzerte, #Konzertkritik, #Kulturblog, #WeLoveGreen, #Paris

We Love Green Festival2022 Paris – Die Regenschlacht von Vincennes

 

Ein neues Festival entdecken! Das war der Plan im Jahr 2019. Paris, Lieblingsstadt! We Love Green Festival: Nachhaltigkeit, tolles diverses multikulturelles Booking, bunte Bilder, entspannte Menschen. Die Entscheidung war getroffen. Die Entscheidung, dass zwei Ausgaben aus offensichtlichen Gründen der Covid-19-Pandemie abgesagt wurden auch.

Die Rückkehr nach Paris für uns und der Pariser Veranstaltung im Bois de Vincennes vor den Toren Paris am vergangen Wochenende, begann dann endlich am Donnerstag mit den Gorillaz, Jorja Smith, Moderat, Nathy Peluso und einigen französischen Ikonen wie La Fève und 1Pliké140.

Der Park Bois de Vincennes ist mit der Metro sehr gut zu erreichen. Der Fußweg allerdings ist weit und zieht sich besonders nach der Veranstaltung ins unendliche. Zudem wird der Spaziergang, schnell zum Wettlauf, da die letzte Metro fährt. Der erste Eindruck des Festivalgeländes ist übersichtlich. 20.000 Zuschauer werden auf einer Mainstage, einer Zeltstage und vor einer kleineren Bühne verteilt. Drum herum das übliche Sammelsurium an politischen Bühnen mit Themen zum Naturschutz, Politik und Renaissancehumanismus. Essen, Trinken und Merch' werden Cashless bezahlt. Der Besucher muss sich im Vorfeld, seinen Account aufladen. Toiletten sind voll biologisch, Abfälle gibt es so gut wie gar nicht. Die Menschen achten auf sich und auf die Nebenleute.

Das Merkmal Arroganz oder gar Schnöseligkeit, welches den Parisern häufig zugeschrieben wird, kann an der Stelle, überhaupt nicht bestätigt werden. Alle Besucher sind unglaublich freundlich, ausgelassen und insbesondere die kulturelle Vielfalt ist nahezu atemberaubend. Das Essen ist wahnsinnig gut und auch die Getränke haben ein sehr hohes Niveau. Preislich liegt das ganze übrigens absolut im Durchschnitt für europäische Veranstaltungen dieser Art.

Leider endete der Samstag abrupt. Wasser, Stürme, Gewitter! Die Stadt Paris sagte das Festival gegen 19:00 Uhr ab. Der Zwang klitschnass ins Hotel zurückzukehren war sehr groß. Ebenso wie bei allen anderen Besuchern, die keine Chance hatten sich irgendwo unterzustellen. Schlamm und knöcheltiefes Wasser, zu viele Besucher die alle auf einmal gehen mussten. Zu enge Wege, kein Sicherheitskonzept. Es ging zum Glück gut aus. Wie schnell sich aber eine Stimmung aus Friede, Freude, Eierkuchen in ein eigenes nachvollziehbares Interesse durchzukommen wandeln kann, habe ich so noch nicht erlebt.

Leider konnten wir nicht alles sehen. Und den Sonntag hatten wir tatsächlich gar nicht geplant. Das Geld wird übrigens vollständig zurückbezahlt. An der Stelle, möchte ich den Organisatoren noch einmal danken. Dafür, dass sie die Entscheidung der Absage getroffen haben. Für die Kraft, den Sonntag denoch aufleben zu lassen und für die dauerhafte, mutige und kluge Aufrechterhaltung der Festivalidee über drei Jahre. Es tut mir persönlich sehr leid, dass das alles unter keinem guten Stern stand. Denn das FESTIVAL WE LOVE GREEN ist absolut zu empfehlen. Hier wird richtig gedacht und der unkommerzielle (wenig Werbung, unkonventionelles Booking, Vertrauen auf das Gute in den Menschen) Gedanke stimmt. Verlogenheit findet woanders statt. Und bevor wir zu meinen Favoriten kommen: Das immer wieder aufkeimende Thema der Frauenquote, müsste hier gar nicht erst erwähnt werden. Ich vergleiche mal das WE LOVE GREEN FESTIVAL mit dem ROCK AM RING Festival. Im direkten Scoring fällt die Frauenquote wie folgt aus 95 % Paris / 5 % RAR. Es ist schlimm überhaupt, über das Thema schreiben zu müssen. Und es ist noch schlimmer, die Kommentare und Überlegungen, insbesondere in Deutschland wahrnehmen zu müssen. Dabei ist es einfach: Das Booking richtet sich nach dem Geschmack des Publikums. Das Publikum ist die Zielgruppe. Ein Festival ist ein Produkt. Und Marketing auch im Kulturbetrieb, wird nach dem Konsumenten abgestimmt. Eine Frauenquote bei Festivals ein zuführen ist absurd. Denn es gibt so viele großartige KünstlerINNEN in dieser Welt. Nur machen die eben wenig NEW-METAL, POST-PUNK oder heißen DIE TOTEN HOSEN, DIE DONUTS oder DIE ÄRZTE. Gut, wird es eben erst, wenn wir ALLE über so etwas gar nicht mehr diskutieren müssen. Und das macht das LINE-UP und die Vielfältigkeit in Paris sehr, sehr angenehm:

We Love Green Festival2022 Paris – Die Regenschlacht von Vincennes

KOFFEE

…ist jetzt schon der schillernde Star am Reggaehimmel. Die 22jährige Mikayla Simpson trägt die ganze jamaikanische Geschichte in sich. Ihr schöner ursprünglicher immer wieder auf fachender Rocksteady, wird angetrieben von modernen elektrischen Sounds und einem sehr, sehr deepen Bass, getränkt von Popmusik. Was ihre Musik, absolut konsensfähig macht und absolut auf jede Bühne dieser Welt passt. RAPTURE z. B. ist so voller positiver Energie, dass der Track auch dem letzten METALLICA T-SHIRT Träger ein Lächeln ins Gesicht zaubern würde. Leider zieht der Regen auf, sie wird der letzte Act auf der Hauptbühne sein. Unvergesslich…

SCH

Der französische Rapper Changard hat Glück im Unglück. Er spielt auf der einzigen überdachten Bühne bzw. unter einem riesigen Zelt. Wer KOFFE frühzeitig verlassen hat und somit auch ihre unglaublich ergreifende Coverversion von Bob Marley „Redemption Song“ verpasst hat, genießt nun die trockene Gelassenheit des Künstlers aus Marseille. Eine gute Situation, den die meisten von Denen die nun im Trockenen sind „müssen“ sich nun mit den wütenden Tönen, Flows und Beats auseinandersetzen“. Eine merkwürdige Stimmung, während, draußen das Grau von Paris neu erfunden wird.

AMAARAE

Wahrscheinlich eine der interessantesten Entdeckungen des Jahres und mit großer Nachhall ausgestattet, war der erste europäische Auftritt der ghanaischen Sängerin und Musikerin AMAARAE. Die Einordung in das westafrikanische Musikuniversum reicht hier nicht aus. Somit muss der für uns neue Begriff ALTÈ gefeatured werden: Altè. Eigentlich ersetzt er das Genrewort FUSION im besten Sinne. Eine Bewegung die an diesem Wochenende sowie sehr auffällig ist. Vielleicht kann der Kreis an der Stelle schon mit der Erwähnung der GORILLAZ geschlossen werden, da DAMON ALBARN, sicherlich sehr viel dazu beigetragen hat, dass Afrobeats, R&B, Soul, Pop, Dancehall, Jazz, Rap, zusammengekommen sind. Aber Alté ist eben mehr als eine Genrebezeichung und steht auch für das schöne Wort „alternativ“ welches in Deutschland, insbesondere im Zusammenhang mit musikalischer Vielfältigkeit, völlig ad absurdum geführt wurde.

2018 wurde AMAARAE von Apple Music als Africa’s Favorite New Artist ernannt und ihre Fähigkeit alle Genres bedienen zu können wurde klarer und klarer. Ihr außergewöhnlicher Stil, mit sehr viel guter Unterhaltung, Einbeziehung des Publikums und dem Willen, dass Ihr Stil die „Quintessenz einer afrikanischen Popprinzessin wird, ohne dafür die Integrität ihrer Musik opfern zu müssen“ (Pitchfork Interview) wird sie durchsetzen. Die Sonne scheint in diesem Moment über ganz Frankreich, vielleicht über der ganzen Welt und alle Menschen tanzen, egal, wer und wo sie sind….

NATHY PELUSO

Die argentinische Sängerin ist bereits 2019 bei einigen Festivals aufgefallen. Unter anderem auch während ihres Auftritts beim PRIMAVERA SOUND in BARCELONA. In Spanien und Latein-Amerika ist sie längst ein Superstar. In Europa sollte jeder Booker, der sie und ihre famose Band bezahlen kann oder etwas für die bereits erwähnte „Frauenquote“ tun will, sofort in Alicante (wo sie mit ihrer Familie lebt) anrufen. Ihre Show, Ihr Auftreten und Ihre Musik ist absolut Familien- und Konsensfähig. Sie wird den Vater der den Jazz liebt begeistern, die Mutter die den latein-amerikanischen Tanz bevorzugt, die junge Tochter, die den Superstar will und den pubertierenden Sohn, der es mal so richtig „nasty“ will, abholen. Völlig eigenwillig und –ständig, bewegt sich Frau PELUSO zwischen theatralischen Momenten und der unfassbaren Kunstfertigkeit glaubhaft hinter einem HipHop-Track wie eben „Nasty Girl“ eine astral klare Jazz Fusion Nummer wie BUNOES AIRES zu platzieren, die so sauber und rein und auf den Punkt gespielt ist, dass man an die scheinbaren langweiligen Alben eines TOM SCOTTS oder THE CRUSADERS aus dem Achtziger Jahren denken muss.

We Love Green Festival2022 Paris – Die Regenschlacht von Vincennes

GORRILAZ

Die Band eröffnete den europäischen Teil ihrer Welttournee hier in Paris. Damon Albarn war so glücklich! Von der ersten Minute an, strahlte er über das ganze Gesicht und hörte auch die kommenden 120 Minuten nicht auf damit. Die Band hat sich in den letzten 5 Jahren in den Himmel der Giganten gespielt. Ich bin seit Jahren großer Fan, und aufgrund einiger Ereignisse in meinem Leben, war das der Soundtrack, zur Aufmunterung und aber auch bei der ständigen Antwort, dass dieses Leben schön ist, wenn vielfältig, offen und respektvoll von allen gelebt und al alle gedacht wird. Zudem erfreue ich mich in meiner eigenen Ambivalenz, an den düsteren Momenten und der künstlerischen Seite der GORILLAZ Comic Kunst und dem Gesamtwerk, welches für die Flucht aus der realen Welt in eine bessere Wirklichkeit steht.

Entsprechend häufig flossen die Tränen bereits bei LAST LIVING SOULS, STRANGE TIMEZ und ARIES. O GREEN WORLD spiele Damon gewohnt wunderschön auf dem Piano ein. ON MELACHOLY HILL war kaum zu ertragen nach dieser Corona Zeit und der neuen gewonnenen Freiheit, neben Bootie Brown, Sweetie Irie, POS (De La Soul) und dem australischen Schauspieler BEN MENDELSOHN, war insbesondere ALBARNS exklusives Duett mit FATOUMATA DIAWARA beim Song DÈSOLÈ von tragender ergreifender Schönheit. Mit SUPERFAST JELLYFISH, wurde dann die Hitmaschine von FEEL GOOD INC. Bis CLINT EASTWOOD angeworfen.

2 h also von 2001 GORILLAZ – SONG MACHINE. Atemberaubende Visuals die endlich mal Sinn machen (im Gegensatz zu dem Blödsinn, den viele Bands, auf den Screens zeigen und vom eigentlichen Dilemma ablenken), eine Band bzw. Orchester von inzwischen 15 Personen, die alles können und dem unermüdlichen DAMON ALBARN, der dann z. B. dem legendäre POSDNUOS von DE LA SOUL auch die notwendige Freiheit lässt. Der Sound war perfekt und echt wie noch nie gehört auf einem Festival und ich bin froh, dass ich die ganze volle Show bekam. Denn so konnte sich auch ALBARN komplett als große Crooner, Zampano der die Fäden zusammenführt darstellen, um die GORILLAZ an diesem legendären Abend, zu einem euphorischen unvergesslichen Erlebnis zu machen. Ich bin so dankbar, dass erlebt zu haben!!!

Aus dem Outdoor-Shop des Lebens, auf der Suche nach einem neuen Regenschutz!

Alan Lomax

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