Colonia Dignidad - Es gibt kein zurück von Florian Gallenberger
"Es gibt tausend Möglichkeiten eine Filmkritik zu schreiben. Bei dem folgenden Eintrag möchte ich gerne vorab darauf hinweisen, dass es sich nicht um eine "Kritik", sondern um eine" Auseinandersetzung handelt.
Florian Gallenberger erzählt in seinem neuesten Film eine erfundene Geschichte vor dem Hintergrund des Putsches von Pinochet in Chile 1973, im Zusammenhang mit einer deutschen Sekte, die in Chile gegründet wurde.
A u s e i n a n d e r:
Man kann den Film auf zweierlei Weise betrachten:
1. Als Thriller.
Bei dieser Betrachtungsweise funktioniert der Film als gute und spannende Unterhaltung. Er bricht keine Genre-Konventionen und folgt den klassischen Regeln: Junge trifft Mädchen, ein ungewöhnliches Ereignis trennt die beiden, am Ende ... . Gallenberger beherrscht die Vorgaben. Ihm ist ein solider Unterhaltungsfilm gelungen. Den Protagonisten rutscht der Boden unter den Füßen weg, Junge und Mädchen müssen sich einer vollkommen neuen Situation stellen und der Zuschauer fiebert mit. Hieraus erwächst der Thrill, die Spannung und das bis zur letzten Minute.
2. Als Erinnerung und Mahnung.
Mir war nicht bekannt, dass eine solche deutsche Sekte in Chile überhaupt gab. Das, was Regisseur und Drehbuchautor Torsten Wenzel im Kern erzählen, hat sich so in der Geschichte immer wiederholt und es passiert noch immer. Auf dieser Ebene wirkt der Film lange nach. Das ist der grosse Verdienst. Das allerspannendste, psychologisch betrachtet, ist, dass der Zuschauer unbewusst zur Selbstreflexion angeregt wird! Wie bereits der grosse Michael Haneke einmal in einem Interview sagte: "Wenn eine Idee zur Ideologie wird, dann wird es gefährlich!"
Was mich am Kino der "Neuzeit" immer wieder stört ist, dass unter dem Primat des Geldes Künstler "gezwungen" werden, den Regeln des Marktes (dem Geld) zu folgen. Das ist verständlich, weil ein Produkt verkauft wird. Gemeint aber ist: Aus Colonia Dignidad hätte er ein hervorragender Polit-Thriller werden können, sogar im Stile eines Costa-Gavras, wenn der Schwerpunkt mehr auf der zweiten Ebene gelegen hätte.
In der Mitte und am Ende des Films verdeutlichen die Macher die komplexen Zusammenhänge, deuten diese aber leider nur schemen- und skizzenhaft an. Angesichts der Möglichkeiten ist das bedauernswert. Siehe in diesem Zusammenhang Missing (Vermißt) von Costa-Gavras, bei dem merkwürdigerweise Roger Ebert dem Film genau das "vorwirft", was ich jetzt tue, Der Spiegel sah es seinerzeit anders. Nebenbei: Was für eine famose Leistung von Jack Lemmon!
Man kann es eben niemandem Recht machen. Einen Film zu drehen ist schwer und daher gebührt am Ende Gallenberger & Wenzel doch Respekt. V.a., weil sie es gewagt haben mit Stars einen Film zu drehen, der sich nicht um Superhelden und Franchise dreht, sondern eine vergessene Episode in der Geschichte eines Landes auf der anderen Seite unseres Planeten wieder ans Tageslicht holen.
Noch ein Wort zu den Schauspielern:
Daniel Brühl hat mich in der Rolle des Studenten und Politaktivisten überzeugt. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass Potential in diesem Mimen steckt.
Emma Watson soll der "Star" des Films sein. Leider, wie ich finde, eine komplette Fehlbesetzung. Nicht, weil sie an ihre Rolle aus Harry Potter erinnert, sondern man ihr die Rolle als Stewardess, die über sich hinauswächst, nicht abnehmen möchte, oder anders: Es fehlt dem Spiel an Überzeugungskraft. Des Weiteren ist die deutsche Synchronisation, besser: die Stimme (Miriam Stein), absolut unpassend gewählt worden, man hört einen Akzent, der so gar nicht passen will. Watson: Begrenzte schauspielerische Fähigkeiten.
Der eigentliche Star des Films ist der schwedische Schauspieler Mikael Nykvist. Er liefert eine beängstigend gute Darstellung des Sektenführers Paul Schäfer ab. Sein Timing, seine Ökonomie in der Mimik, seine Körpersprache und seine Leinwandpräsenz sind überragend!
Colonia Dignidad ist ein solider Thriller, dessen grösste Stärke in seiner Mahnung und wachrufen der Erinnerung liegt. Er fordert den Zuschauer heraus, sich mit dem Thema innerlich auseinander zu setzen.
Rick Deckard