Meisterregisseure und ihre Komponisten 1: Steven Spielberg - John Williams/ London Symphony Orchestra - Frank Strobel/ Montag 01.11.2010 Philharmonie Köln. Ein Konzertbericht
Das Konzert
Die Philharmonie war ausverkauft. Das Publikum gemischt. Abonnenten, Touristen, Neugierige, Nerds und Profis. Ich hatte einen guten Platz direkt in der Mitte in Block E und konnte die gesamte Bühne gut überblicken. Links neben mir sass ein Zuhörer gleichen Alters aus den Niederlanden und wir kamen sofort ins Gespräch, "fachsimpelten" über Alfred Newman und Bronislau Kaper und den Komponisten des heutigen Abends: John Williams.
Der filmmusikalische Abend war Auftakt zur Reihe 'Meisterregisseure und ihre Komponisten'. In den nächsten Wochen wird in der Kölner Philharmonie die Musik von Bernard Herrmann zu den Filmen von Alfred Hitchcock gespielt, sowie die von Nino Rota zu Federico Fellinis Werken.
Das berühmte London Symphony Orchestra (LSO) unter dem Dirigat von Frank Strobel spielte an diesem Montag Abend Auszüge aus den Partituren von Williams zu den Filmen von Spielberg.
Das Konzert war in zwei Abschnitte unterteilt. In der ersten Hälfte wurden Auszüge aus 'Jurassic Park', 'Jaws', 'Schindler's List' und 'Indiana Jones And The Kingdom Of The Crystal Skull' dargeboten, nach der Pause Auszüge aus 'Hook', 'Close Encounters Of The Third Kind', 'War Of The Worlds', 'Empire Of The Sun', 'The Terminal' und 'E.T.'.
Es war ein berauschender Abend, das LSO spielte professionell und Strobel dirigierte souverän konzertante Versionen der Filmmusiken. Im Hintergrund war eine grosse Leinwand aufgestellt, auf der vereinzelt Filmsequenzen oder Bilder zu den einzelnen Stücken zu sehen waren.
Am Ende gab es frenetischen Applaus und mehrere stehende Ovationen(!). Als Zugabe wurde Musik aus 'Munich' und der Marsch aus '1941' gespielt. Nach den Darbietungen nahm Frank Strobel das Mikrofon in die Hand und erinnerte an den kürzlich verstorbenen leitenden Trompeter des LSO Maurice Murphy, der diese Position für fast 30 Jahre innehatte und an vielen Filmmusik-Einspielungen beteiligt war, insbesondere wurden seine Leistungen für die 'Star Wars' Reihe gewürdigt. Auf der Leinwand wurde ein kurzes Statement von John Williams eingespielt.
Als Erinnerung an diesen Musiker spielte das LSO zum Abschluss "... ein Stück, dass Sie alle kennen!" (Zitat Strobel). Nach einigen Sekunden Pause erklangen die berühmten ersten Takte zum 'Main Title' von 'Star Wars'. Mit diesem fulminanten Abschluss wurde der Kreis geschlossen, der einst durch eben diese Musik eröffnet wurde und über Nacht symphonische Filmmusik in Hollywood wieder salonfähig machte.
Persönliche Anmerkungen
Als ich vor fast 25 Jahren anfing Filmmusik zu hören und mich mit ihr zu beschäftigen, hätte ich es mir niemals erträumt diese Musik einmal Live auf der Bühne zu hören. Insofern kann man Menschen wie Frank Strobel (Künstlerischer Leiter der Europäischen FilmPhilharmonie), Beate Warkentien und Johanna von Kuczkowski (Projektleiter) gar nicht genug für Ihr Engagement danken! Ideen gepaart mit Leidenschaft können zum Erfolg führen und der stellte sich gestern zweifelsohne ein. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass Filmmusik einen so grossen Konzertsaal wie die Philharmonie ausfüllen würde!
Ein Traum ging in Erfüllung und es war einer der schönsten Abende, die ich jemals in meinem Leben in einem Konzertsaal verbringen durfte. Momente der Atemlosigkeit aufgrund der Faszination sein Hobby live zu hören wechselten ab mit denen überschäumender Euphorie, eine Gänsehaut folgte der nächsten und ich konnte mein Lächeln ebenso wenig verbergen, wie den innersten Ausdruck meiner Seele in den Augen. Es war Freude pur!
Das London Symphony Orchestra
Eine Ursache dieser Freude war ein grosses Symphonie Orchester live spielen zu hören. Bedingt durch die geografische Lage meines Heimatortes komme ich viel zu selten in diesen Genuss, es sei denn ich nehme Kurzreisen auf mich. Es ist ausserordentlich faszinierend die Musiker im Verbund spielen zu sehen, wie sie interagieren, auf den Dirigenten blicken und seine Anweisungen umsetzen. Nun muss man mildernd auch dazu sagen, dass das LSO natürlich durch die langjährige Zusammenarbeit mit John Williams in der Aufführung solcher Stücke mehr als erprobt ist und die Notation aus dem Schlaf spielen kann. Trotzdem ist es ein fantastisches und filmmusikalisch betrachtet besonderes Orchester. Ich hatte zu Beginn des Konzerts Zweifel, ob ein solches Orchester auch unter einem anderen Dirigenten die Musik von Williams genauso spielen würde können. Mein Nachbar, der schon 12 solcher Konzerte über dem halben Erdball verstreut gesehen hatte beruhigte mich:"Keine Sorge, die wissen genau was sie spielen, es ist ein sehr erfahrenes Orchester, das auch kleine Fehler ausmerzen kann!" Er behielt Recht.
Eine so grosse Ansammlung von Instrumenten und trotzdem konnte ich die Triangel, die Harfe, die Flöten als auch die Holzbläser heraushören. Dieses "Phänomen" war interessant, dachte ich doch dass die Streicher, Blechbläser und das Schlagwerk dominieren würden. Das LSO spielte alle Stücke mit den ihnen anhaftenden Attributen, mal leise und sensibel mit Zurückhaltung, dann aber auch fulminant aufbrausend mit einer ungeheuren Dynamik. Insbesondere die sehr traurigen und hoch emotionalen Auszüge aus 'Schindler's Liste' wurden ausserordentlich gefühlvoll intoniert vom Konzertmeister Carmine Lauri. Ich habe als Laie kaum Unterschiede zu der Interpretation von Itzhak Perlman heraushören können (die Profis mögen jetzt auf mich einprügeln, aber ich war viel zu sehr auf die Melodie und die Emotionen konzentriert!). Ein weiterer sehr beeindruckender Moment war das Spiel von Chris Richards auf der Solo Klarinette bei dem Thema aus 'The Terminal', 'The Tale of Viktor Navorski' - unfassbar wie schön der Klang einer Klarinette ist! Eine unglaublich schöne Melodie!
Das LSO hat auf mich einen sehr grossen und intensiven Eindruck hinterlassen. Ich kannte es zwar von diversen CD's, aber eine Live Performance ist und bleibt etwas anderes. Die unterschiedlichen Nuancen im Spiel der einzelnen Instrumente, der Klang, die Klangfarben, die Töne, alles gewinnt durch die Unmittelbarkeit einen ungeheuer intensiven Eindruck.
Die Musik von John Williams im Konzert
Ich bewundere sehr viele Komponisten aus der Filmmusik, auf die ich hier nicht nähern eingehen will, aber keiner von ihnen ist in der Lage mit seiner Musik meine tiefsten Emotionen so an die Oberfläche zu holen (und darüber hinaus) wie Williams. Seine Musik hat einen transzendentalen Charakter und er kann mit ihr alle Facetten menschlicher Emotionen spiegeln und dadurch Assoziationen hervorrufen, die sehr persönlicher Natur sein können. Das ist eine Gabe, über die nicht viele Musiker verfügen. Er hat ausser seinen unbestrittenen musikalischen Qualitäten ein Talent, welches für mich phänomenal ist: er kann mit seinen Kompositionen Emotionen punktgenau musikalisch umsetzen. Eine meisterhafte Leistung!
Als ich gestern seine Musik hörte wurde mir trotz jahrelanger Beschäftigung mit ihr bewusst, wie komplex, wie einzigartig und v.a. auch wie knifflig und verschachtelt seine Arbeiten sind. Sie stellen ein Orchester auf die Probe. Klassik Puristen stempeln orchestrale Filmmusik ja immer als "Klassik für Arme" ab, aber das ist nicht nur arrogant, sondern von der Einschätzung auch vollkommen daneben gegriffen. Es ist grosse Kunst!
Ich liebe die ausschweifenden Melodien und die romantisch gefärbten Streicherpassagen bei ihm über alles, aber gestern passierte etwas, was als Initialzündung bei mir gesehen werden kann. Doch dazu weiter unten. Was ich jetzt schreibe mag manch einen verwirren und er wird die Hände über den Kopf zusammenschlagen, aber ich versuche es zu erklären. Die Musik zu 'Jaws' (Der weisse Hai) hat mich schon immer beeindruckt, aber ich konnte eigentlich nie ganz "verstehen", warum dieses 2 Ton Motiv so hochgelobt wurde. Der definitive Höhepunkt des Konzerts (einer unter vielen) gestern war die Live Musik zu eben diesem Blockbuster von Spielberg. Manchmal muss man Musik "sehen" um sie zu verstehen. Ich war bis in die Haarspitzen konzentriert und was ich zu sehen und zu hören bekam war absolut überwältigend. Parallel, nicht bildsynchron, wurden die Bilder von der Musik untermalt und zeigten das ganze Genie von Williams. Ein sensationelles Motiv, der Hai schwamm durch den Konzertsaal und mit ihm alles, was der Mensch mit ihm verbindet: das Raubtier, seine mit messerscharfen Zähnen besetzten Kiefer, seine Schläue und die Bedrohung aus der Tiefe des Meeres. Die Wirkung dieser Musik ist bekannt und oft genug analysiert worden, aber erst die visuelle Unmittelbarkeit des Orchesters mit den Bildern hat es deutlich gemacht. Ein Wort, das in heutiger Zeit inflationär gebraucht wird, hier aber passt: Genial!!!
Zur oben erwähnten 'Initialzündung'. Ich tue mich mit orchestraler Filmmusik, die nicht eingängig ist, die Bilder auf der Leinwand zwar kongenial untermalt aber für sich genommen nicht unbedingt immer wieder zum auflegen verleitet, schwer. Als ich gestern aber 'Esacpe From The City' und 'Epilogue' aus 'War Of The Worlds' hörte war ich zutiefst beeindruckt. Druckvoll, hoch dramatisch und komplex kam die Musik herüber und ich werde mich in den nächsten Wochen mit Sicherheit nochmals eingehend mit ihr beschäftigen. Eine beachtliche und sehr eindrucksvolle Komposition. Es ist so wie vielerorts geschrieben und ich muss es zugeben, manche Filmmusiken benötigen Zeit und man muss sich ihnen mehrmals widmen damit sie ihre volle Wirkung entfalten können.
Misstöne?
Ich habe kein geübtes Ohr, aber gelegentlich fielen in der Blechbläsersektion im ersten Teil des Konzerts gewisse Unstimmigkeiten auf. Auch hier und dort hatte man den Eindruck, dass die Stücke nicht sorgfältig geprobt wurden? 'Close Encounters' finde ich persönlich eine sehr schwer zu spielende Musik und dieser berühmte Punkt in dem das spiralartige Crescendo der Streicher endet und das ganze Orchester sich explosionsartig entlädt fand ich nicht so druckvoll wie auf den Aufnahmen. Vielleicht täusche ich mich auch und will mich nicht zu sehr als Laie aus dem Fenster lehnen.
Was ausserdem etwas Missmut hervorrief war die Tatsache, dass die Bilder gelegentlich scheinbar ohne erkennbare Idee auf die Leinwand geworfen wurden. Das lenkte zum einen von der Musik ab und konnte bis auf die o.g. Ausnahme nicht vollends überzeugen. Sicherlich waren nicht alle Menschen im Saal mit der Musik vertraut, aber hier wäre mehr Sorgfalt von Nöten gewesen.
Alles in allem war das mein erstes Live Konzert der Filmmusik und es war ein mehr als gelungener Abend. Seine Leidenschaft zur Filmmusik in dieser Form, in diesem so prächtigen Konzertsaal vorgeführt zu bekommen war ein in höchstem Masse beeindruckendes Erlebnis. Filmmusik hat längst ihr Nischendasein verlassen. Wenn man liest wie viele Konzerte in Deutschland und Europa aufgeführt werden und v.a. begeisterte Hörer zurücklassen, von denen der eine oder andere sich in naher Zukunft vielleicht näher damit beschäftigen wird, dann ist man glücklich. V.a. über die Tatsache, dass diese Gattung der Musik ernst genommen und ihr auch der nötige Respekt gezollt wird.
Insofern kann man den Organisatoren, der Kölner Philharmonie und dem Kuratorium KölnMusik e.V. für die Umsetzung dieser Idee danken. Ich kann jedem auf das eindringlichste empfehlen ein solches Konzert zu besuchen, es ist ein besonderes Erlebnis. Gerade das nächste Konzert mit der Musik von Bernard Herrmann zu den Filmen von Alfred Hitchcock dürfte ein Augen- und Ohrenschmaus werden!!!
Mr. Lomax: Auch Ihnen vielen Dank für den Hinweis damals per e Mail, ohne die Benachrichtigung hätte ich das Konzert und damit auch diesen persönlichen Meilenstein niemals erleben können!
Im Taumel, Glück und filmmusikalischer Euphorie,
Rick Deckard
link zu dem gestrigen Programm im pdf Format
link zur Homepage der Kölner Philharmonie
link zur Homepage des London Symphony Orchestra
link zur Homepage des Dirigenten Frank Strobel
link zum meinem älteren Beitrag auf diesem Blog über Filmmusik