Zum Tod von Andrew Fletcher, Ray Liotta und Vangelis
In Cameron Crowes Meisterwerk VANILLA SKY von 2001 muss sich David Aames (Tom Cruise) am Ende der Geschichte entscheiden, ob er weiterhin in einer Traumwelt leben oder ob er ins reale Leben zurückkehren möchte.
Crowe versteckt in diesem Film so viele popkulturelle Details, dass es selbst einem Enthusisaten schwerfällt, alle filmischen Erinnerungen und musikalischen Untermalungen wahrzunehmen. Die Handlung ist verwirrend und ich will auch gar nicht auf den Streifen hinaus, sondern auf das Netz von Erinnerungen und die Sehnsüchte, die sich David Aames schafft, um sein Leben anzureichern, wertvoller zu machen bzw. um zu überleben.
Für viele Menschen werden es Kleinigkeiten sein. Unwichtige Details, unwichtige Musik, unwichtige Sequenzen aus einem Film. Denn wer keinen Bezug hat zu Fraincois Truffaut, Harper Lee, Bruce Springsteen, REM, Orson Welles und zudem nicht weiß, wer Jeanne Moreau oder Henri Serre sind, wird wenig Freude an dem Film haben. Crowe will damit keine Arroganz vermitteln, sondern sein (unser) Lebensgefühl, dass popkulturelle Momente, Werke und Künstler bzw. kleine grandiose Ideen und wunderschöne Momente unser Leben mehr prägen, als wir es selbst vielleicht wahrgenommen haben.
Aames Wünsche für das perfekte geträumte Leben sind z. B. einen behutsamen Vater wie Atticus Finch zu haben, eine Frau wie Catherine und einen Song wie „The Last Goodbye“ von Jeff Buckley in den letzten Momenten seines Lebens zu hören. Crowe übersteigert diese Idee der Wahrhaftigkeit und spiegelt David Aames schnöseliges und prallgefülltes echtes Leben gegen dieses scheinbar einfache Narrativ, welches aber eine größere Bedeutung hat, als bisher angekommen.
Gestern habe ich erfahren, dass Andrew Fletcher (Depeche Mode), der Schauspieler Ray Liotta und der griechische Komponist Vangelis gestorben sind. Alle drei stehen genau für diese einzelnen Puzzelteile, über die ich am Anfang schrieb und die der wunderbare Cameron Crowe so majestätisch und leicht in diesem schweren Film verwendet.
Wir sprechen auf diesen Seiten häufig und inflationär von Meisterwerken, Helden und der besten Band aller Zeiten oder dem besten Film überhaupt. Aber es gibt auch diese kleinen Momente die Künstler wie Fletcher, Liotta und Vangelis uns hinterlassen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will die Bedeutung der drei hier nicht klein reden, aber eben vermitteln, welche große Teil-Bedeutung diese Künstler haben, weil sie eben für so viele Millionen Menschen ein Spiegel geworden und schon längst kleine Bestandteile, deren Träume und Wünsche geworden sind.
Wieviel Millionen Fans von Depeche Mode haben Fletch immer für seine zurückhaltende und würdige Art geliebt und an ihm geschätzt, dass er dieser grandiosen Band, Depeche Mode, einen Rückhalt gegeben und mit seinem Herz aus Gold wirklich dazu beigetragen hat, dass es Depeche Mode noch immer gibt?
Ray Liotta war ein ungeschliffener Diamant. Ein schriller Aussenseiter für kranke Rollen. Als Henry Hill in Scorseses „Good Fellas“ hat er schauspielerische Massstäbe für jegliche Darstellung von Soziopathen der folgenden Jahrhunderte gesetzt. Wer diesen Film einmal gesehen hat, wird nicht vergessen, was es bedeutet, einen solch epischen Film, drei Stunden lang zu trangen und auszufüllen.
Vangelis Musik galt nicht immer als akzeptabel. Ich kann mich an Zeiten erinnern, als harte Diskussionen über seine Filmmusik zu „Chariots Of Fire“ ausgetragen wurden und auch z. B. „Conquest Of Paradise“ als überspült, seicht und langweilig abgetan wurde. Aber der griechische Komponist war ein Avantgardist. Seine Arbeit mit neuen Technologien und insbesondere seine elektronischen kompositorischen Ansätze haben seiner Musik Tiefe gegeben, die nicht jeder immer verstanden und viel zu früh als oberflächlich abgelegt hat. Mich erinnert Chariots Of Fire an meinen gestorbenen älteren Bruder, der das Maintheme so häufig auf seinem Plattenspieler gehört hat, dass ich seine eigene Stimme und seinen Atem auf der hinterlassen Vinyl riechen kann.
Alle drei Künstler sind bestimmt nicht die sog. erste Reihe. Aber in meinem „Lucid Dream“ kommen sie ein paar Millisekunden vor und werden dort reingeschnitten.
„Ist ein Traum eine Lüge, wenn er nicht wahr wird, oder ist es etwas Schlimmeres?“ (Bruce Springsteen, The River)
Auf einem Hochhaus
Alan Lomax