Intrige (2019) – Roman Polanski
Der neuste Film des französisch-polnischen Meisterregisseurs ist mehr als ein prunkvoll gedrehtes Historiendrama der alten Schule. Polanski thematisiert gemeinsam mit Drehbuchautor Richard Harris den Antisemitismus in Europa zum Ende des 19. Jahrhunderts, hält den Bezug zur Gegenwart mit einer großartigen zeitlichen Adaption der Whistleblower Affären, in die damalige wenig mediokratische Welt der Französischen Republik, wandelt Rechtsfehler und Justizirrtürmer in großartige Standpunkte und Symbole für die Ungerechtigkeit und schafft es ganz nebenbei die ganze Dringlichkeit der Themen in das großartige Sujet eines perfide anmutenden Hitchcock Film zu verpacken.
Glenn Kenny von rogerebert.com hat, dass was ich meine, sehr gut in einem kürzeren Satz zusammengefasst:
„Polanski ist es gelungen etwas sehr Reales und Dringendes über die Welt zu sagen, in der wir heute Leben.“
Der Film erzählt den historischen Justizskandal um den jüdischen Artillerie-Hauptmann Alfred Dreyfus, der in Paris 1894 des Landesverrats angeklagt wurde. Die Geschichte wird aus der Sicht des antisemitisch eingestellten Leiters des Geheimdienstes Marie-Georges Picquart (Jean Dujardin) erzählt.
Polanskis Wissen, Erfahrung und Liebe zur Cinematographie (hier darf diese staubige sowie wundervolle Wort einmal mehr verwendet werden) wird für uns Liebhaber des guten Films, zu einem Hochgenuss des gesamt Vortrags Films, in all‘ seinen Dimensionen:
Zunächst ist da die geniale Idee, diesen Film nicht auf einer persönlichen, sondern auf einer ethisch-moralischen Ebene zu erzählen. Das macht den Film oftmals sehr komisch, wenn auch bitter, aber die antiken Geheimdienstakte sind einfach gut, die Kalfaktoren und Bürokraten werden zur Rechenschaft gezogen und Hierarchien, sowie Obrigkeiten permanent persifliert.
Die Angst vor dem Fremden, die national blödsinnige Haltung einer Nation und die kleinbürgerlichen Gesinnungen der Gesellschaft sind mühelos als Formel ins heute zu übertragen.
Natürlich muss man auch den legendären Zeitungsartikel von Schriftsteller Èmile Zola erwähnen. „J’accuse – Ich klage an“. Auch Polanski klagt an. Aber das Thema klammere ich hier aus, da es sich um einen sehr wertvollen Film handelt und ich die Vorwürfe gegen Polanski weder beweisen noch wieder legen kann.
Jean Dujardin ist famos in der Rolle des Picquart. Die Rolle seines Lebens, bisher. Beeindruckend wie er mit seiner minimalistischen Mimik in den starken Passagen das Maximum an Emotion erreicht. Und es dann schafft diese tragende Rolle hochspannend an uns, das Publikum, zu vermitteln. Dringend erwähnt werden muss die Ausstattung, die Musik von Alexandre Desplat und die klassische Kameraführung von Pawel Edelman. Dem polnischen Kameramann muss attestiert werden, dass er uns im Jahr 2020 beweist, dass es immer noch wichtig ist, beeindruckende analoge Kinobilder zu liefern und neben bei beweist, das UHD völlig unnötig und vollkommener Schrott ist.
Diesen Film habe ich an dem Abend gesehen, als Ennio Morricone starb. Es gibt hier tausend Zusammenhänge, die meine Liebe zum Kino zum Ausdruck bringen könnte und meinen zeitgleichen Hass auf das Moderne und künstlerisch unbedeutende in der heutigen Film- und Serienkultur. Es gibt eigentlich nur einen Grund, dass alles weiterhin mitzumachen und anzugucken: Es ist die Hoffnung, dass der ganze Schrott der uns täglich visuell und inhaltlich, filmisch gesehen um die Ohren und Augen fliegt, die paar wichtigen Juwelen finanzieren, die Deckard und ich hier Jahr für Jahr aufführen und versuchen zu retten. INTRIGE gehört dazu. Ein Film der das zeitgenössische Kino rettet, weil es ein stolzer, wichtiger und leidenschaftlicher Beitrag zu all‘ dem ist, was wir lieben bzw. verabscheuen.
Von einem Garnisonshof in Paris
Alan Lomax