Schauspiel Hannover – Woyzeck von Robert Wilson, Tom Waits & Kathleen Brennan nach Georg Büchner

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  27. Februar 2012, 09:24

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Woyzeck ist ein Opfer! Der einfache und arme Soldat versucht redliche seine kleine Familie zu ernähren. Seine Freundin Marie verliebt sich trotzdem in einen anderen Mann. Woyzeck sieht seine kleine, fast heile Welt zusammenbrechen. Einen Ausweg findet er bei einem medizinischen Experiment, bei dem er sich zusätzliches Geld erhofft, um letztendlich auch seine Freundin Marie wieder an sich zu binden.

Allerdings ist der psychische und physische Abstieg des Soldaten fest vorprogrammiert.  Das Experiment macht Woyzeck zur Lachnummer, seine Vorgesetzten mobben ihn und letztendlich bringt er seine Freundin im völligen Erschöpfungswahn um.

Die Gesellschaftskritik dieser eigentlich einfachen Geschichte liegt automatisch auf der Hand. Grenzen sind irgendwann erreicht, der Mensch ist nicht endlos belastbar. Faszinierend an den klassischen Stücken deutscher Dichter ist immer die Kritik an der Gliederung der Gesellschaft. Georg Büchner hat das Stück 1836 geschrieben, notiert wäre eigentlich richtiger. Wesentliches hat sich in der Gesamtheit der Verhältnisse zwischen den Menschen (Marx) nicht geändert!

Das soziale Drama „Woyzeck“ ist ein Klassiker. Nicht nur auf der Theaterbühne, sondern auch in Film und in der Musik. Die bekannteste Verfilmung ist Werner Herzogs Woyzeck (1979) mit dem unerreichten Klaus Kinski in der Hauptrolle.

Büchners Geschichte sind letztendlich nur überlieferte Fragmente, die seinerzeit für Aufsehen sorgte, weil es auch die juristische Frage nach der Zurechnungsfähigkeit auslöste.

Auf Basis der Überreste schrieb Legende Tom Waits mit seiner Frau, Kathleen Brennan die benebelnden Songs nach seinen Meisterwerken „The Black Rider“und „Alice“. In Kopenhagen führte Regielegende Robert Wilson Büchner, Waits/Brennan und sich selbst zusammen.  Am vergangen Samstag war ich endlich mal wieder im Theater und konnte mir die Sub-Inszenierung für die deutsche Bühne (Regie Heike Marianne Götze) endlich ansehen.

Das Theater kommt bei all‘ meinen kulturellen Leidenschaft immer zu kurz. Ich liebe es vor einer Bühne zu sitzen und mich für einige Stunden komplett zu verabschieden.  

Dabei liegt mein Fokus, vielmehr als beim Film, auf der möglichen Kritik und der Beurteilung. Als Filmliebhaber konnte ich mir diese selbst unbefriedigende und selten nachvollziehbare Haltung nach langer Zeit abgewöhnen. Einen Film genieße ich inzwischen, wegen des Films. Das Theater wegen den möglichen Schwächen und der ständig drohenden Alternative und möglichen Varianz.

Modernes Theater ist oftmals anstrengend, weil der Schockeffekt, oft der Handlung übergeordnet wird. Mit anderen Worten: Wird nicht gerade ein lebendes Huhn geschlachtet, war es langweilig. Theater in den letzten 20 Jahren mutierte oft zum Zirkus der Seltsamkeiten. Schauspierführung, Licht, inhaltliche angemessene Inszenierungen, Feinsinnigkeit,  alles Attribute die oftmals vergessen wurden.

Nun MUSS der Stoff Woyzeck aus meiner Sicht eine verstörende Wirkung bei Zuschauer erzielen. In Form eines Kammerspiels, hätte es eine künstlerische Relevanz, allerdings gibt es weder Schauspieler auf deutschen Bühnen die das umsetzen könnten, noch Intendanten, die eine feinsinnige Umsetzung, einer mutwilligen Verstörung des normalen Geisteszustand der Zuschauer ,vorziehen würden. Woyzeck ist gelebter Albtraum. Ein normaler Mensch, wird zum Mörder, weil es die Gesellschaft von ihm fordert. Die grundsätzliche Situation ist bedrückend, die Veränderung, der dressierte Prozess Woyzeck’s zum Opfer verstörend. Ebenso muss der Kern auch dargestellt werden. So ist es dann auch mit der Unterdrückung auf sexuelle Art. Ein zweiter wesentlicher Kern der Inszenierung, des Fragmentes.

Wer an diesem Abend also eine „Ästhetik der schönen Darstellung“ erwartet hat, sollte vielleicht modernes, sinnvolles und gesellschaftskritisches Theater vermeiden. Trotzdem ist eine Diskussion, wie weit eine Inszenierung zum Zwecke der Kunst und nicht des Zirkus, nachvollziehbar zu führen.

Das Thema der drastischen Inszenierung hat Hannovers Hauptkritiker und Oberarroganz Rainer Wagner gut zusammengefasst: „Nicht jeder ist schließlich so leidgeprüft wie Theaterkritiker und Abonnenten“.

Und um zu verstehen, dass ich durchaus amüsiert über einen Ignoranten wie Wagner bin und auch um diesen Text inhaltlich aufzumöbeln, noch ein Zitat aus der Kritik des Provinzkritikers vom 20.02. aus der HAZ, der mich dann auch gleich zu den schauspielerischen Leistungen nachdenken lässt: „Früher hat man in den Schauspielschulen Fechten gelernt, heute gibt es wahrscheinlich eine Ausbildung im Onanier-Simulieren. Nur leider hält sich dabei der Erkenntnisgewinn für den Zuschauer in Grenzen, wenn er kein Urologe ist. Diese Theaterchiffre ist, pardon, abgegriffen.“

Bei dem ganz Sex, Körper und Blutgeschmiere ist es natürlich interessant die Gesichter der Zuschauer zu beobachten oder anschließend die kurzen Bemerkungen zwischen den Lebenspartner zu belauschen, die man so auf dem Nachhauseweg mitbekommt.

Das alles zusammengenommen ist es eigentlich schon wert einen Abend im Theater zu verbringen, wenn man keine Aktien im Spiel hat, außer der Beobachtung und dem Bewusstsein zum Gegenwartsbezug.

Und letztendlich kommt mir noch der Gedanke, dass Theaterkritiker auch nur alte Muftis der Selbstdarstellung sind. Neben dem ganzen Amüsement gilt dann eigentlich auch nur das Wort und zwar das des eigentlichen Genies bei dem ganzen Theater hier:

"Woyzeck handelt von Wahnsinn und von Obsessionen, von Kindern und von Mord – alles Dinge, die uns berühren. Das Stück ist wild und geil und spannend und Phantasie anregend. Es bringt einen dazu, Angst um die Figuren zu bekommen und über das eigene Leben nachzudenken. Ich schätze mal, mehr kann man von einem Stück nicht verlangen." (Tom Waits)

Alan Lomax

 

 

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