Justified - Staffel I (Keine Spoiler)
Das Kino und das Fernsehen driften immer weiter auseinander. Während die grossen weissen Leinwände zum Anlaufpunkt von technisch immer ausgefeilteren und sich selbst überholenden Kirmesspektakeln, Budenzauber und optischen Feuerwerken werden, ist das kleine Fenster daheim das Lagerfeuer, an dem wir gerne Geschichten hören oder angepasst an die Neuzeit: sehen wollen. Wir lieben diese Geschichten von Helden, Bösewichten, Freundschaften, Liebe und Hass, Leben und Tod. Es steckt in unseren Genen und die kann man nicht einfach überrumpeln. Justified erzählt eine solche Geschichte. Eine Story mit Dimensionen die an die griechische Tragödie heranreichen oder vielleicht auch Shakespeare. Bevor Literaturkenner die Nase rümpfen: Es ist kein Vergleich zu den grossen Werken der Weltliteratur, kann es nicht sein, aber der Kern solcher Erzählungen steckt in der Handlung der ersten Staffel. Schaut man sich die Folgen der ersten Staffel an, kommt man am Ende zu der Erkenntnis, dass hier eine klassische Geschichte erzählt wird, die eines ist: Altmodisch. Altmodisch ist aber nicht gleich zu setzen mit miefig oder langweilig. Ganz in Gegenteil. Old School klingt da schon besser und gemeint ist: Klarheit, vielmehr Präzision. Die Narration folgt einer roten Linie ohne unnötige Nebenhandlungen und wenn eine von der roten Linie abweicht, dann nur um den geraden Weg in seiner Stringenz zu bestärken. Die Charakterzeichnungen sind genau umrissen, der Zuschauer wird nicht mit unnötigem Ballast überfordert. Er bekommt Protagonisten geboten mit hohem Identifikationspotential. Es gibt eine sauber umrissene Moral und im Mittelpunkt steht ein archaisches Thema: Der Kampf 'Gut gegen Böse'. Wissen sie wo alle diese Elemente vorkommen? Verrate ich ihnen später.
Irgendwo las ich, dass es in der Welt eines Elmore Leonard weniger um Geschichten und Typen geht, sondern um Milieus und deren ganz spezifische Eigenheiten. Ein solches Milieu bekommt der Zuschauer geboten: wir tauchen tief ein in das Hinterland von Kentucky, dem Bundesstaat, der bekannt ist für die Pferdezucht und den Whisky. Was wir aber zu sehen bekommen sind nicht die edlen Gestüte und Brennereien oder gar die Landschaft, sondern Kaffs, kleine Orte, Hinterhöfe und Häuser und Gehöfte im Nirgendwo. Dazwischen tummeln sich Verbrecher, religiöse Eiferer, Hinterwäldler, Mörder, Diebesgesindel, Gauner, Faschisten und ... Männer des Gesetzes: U.S. Marshals. Einer dieser Gesetzeshüter ist Deputy Marshal Raylan Givens, kongenial verkörpert von Timothy Olyphant. Givens ist gerecht, Givens ist ein Good Guy und Givens kann eines: schnell ziehen. Doch er kann auch mit Argumenten überzeugen, und die sind verpackt in einige der besten Dialoge, die ich in letzter Zeit im Fernsehen gehört habe. Dialoge, kein Geschwafel. Präzise, mal lakonisch, mal messerscharf sezierend.
Diese Unterhaltungen sind ein wesentlicher Pluspunkt von Justified. Es macht Spass den Menschen zuzuhören, die wiederum selbst Geschichten erzählen, aus ihrer eigenen Vergangenheit oder solchen, die ihrer Phantasie entsprungen sind. Von Folge zu Folge erschliesst sich das Universum eines Raylan Givens und man wird Teil einer Subkultur. Schritt für Schritt erschliesst sich dieses Milieu von dem ich weiter oben sprach und am Ende ist man ein kleines Stückchen klüger. Nicht, dass man nach der ersten Staffel einer Fernsehserie sich fortbilden würde, aber man lernt zuzuhören. Wie wirkt Sprache? Welche Macht hat sie? Wie kann man mit ihr beeinflussen? Ein schöner Nebeneffekt.
Der Kern ist aber das zeitlose Good Guy gegen Bad Guy. Der Charakter des von Olyphant dargestellten Marshals ist hoch sympathisch. Ein klasse Typ. Jemand, mit dem man sofort Freundschaft schliessen würde. Ein Mann zum Pferde stehlen. Ein Held, der seinen Prinzipien treu bleibt. Die "Leinwandpräsenz" eines Timothy Olyphant ist phänomenal! Es gibt Einstellungen, die einen jubeln lassen. Das sind Mythen, mit denen jeder kleine Junge groß geworden ist. Ein ums andere Mal zeigen diese Serien, dass die Traumfabrik noch genau weiss, wie man mit Träumen handelt.
Inhaltlich und von der Machart ist Justified erstklassig. Jede einzelne Folge ist genau umrissen, spannend, humorvoll und immer wieder flackert mit einem perfekten Timing Action auf. Nur vermisst man diese nicht, wenn mal in einer Folge keine Kugeln fliegen, denn die Drehbücher und die Dramaturgie sind so gut, dass man gefesselt ist und bleibt. Die Titel-Sequenz ist kurz und prägnant, der Song 'Long Hard Times To Come' ein Hit.
Erfinder der Serie ist neben Elmore Leonard, der die Kurzgeschichte lieferte, Graham Yost, ein kanadischer Film- und Fernsehautor. Im Kino war er beteiligt an Speed, Broken Arrow und Hard Rain, für das Fernsehen schrieb er u.a. an Band Of Brothers und The Pacific.
Wo alle diese Elemente vorkommen wollte ich Ihnen ja noch verraten: Im Western. Das will diese Serie nicht sein, ist sie aber. Ein perfekt inszenierter Western in Serienform.
Ich liebe Western.
Und ich liebe gut erzählte Geschichten, daheim, am Lagerfeuer.
Aus Harlan, Kentucky,
Rick Deckard