Stanley Kramer - Retrospektive – Das letzte Ufer (1959)

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  31. Mai 2017, 12:02

Stanley Kramer - Retrospektive – Das letzte Ufer (1959)

Stellen Sie sich vor: Es ist der 17. Dezember 1959. Ein Donnerstagabend! Sie gehen ins Kino. Wahllos! Sie landen, wie vele Andere in einem großen Saal. Etwa 1.200 Zuschauer passen in diesen Kinosaal. Die Stimmung ist heiter! Die Vorfreude auf Weihnachten ist zu spüren, der wirtschaftliche Aufschwung verspricht, ein neues glücklicheres Jahzehnt. Das Licht wird gedämmt, der Vorhang öffnet sich, es gibt Werbung. Eine für Viele interessante, weil neue Sache. Sie bereiten sich langsam auf den Hauptfilm vor, in Erwartung der Unterhaltung. Nach dem die Eisverkäufter vor dem Vorfilm (ein Dick und Doof Sketch) den Saal verlassen haben, geht das Licht erneut aus, der Vorhang öffnet sich. Wir sehen den inwischen berühmten Löwen des MGM Logos...

DANN!

...eine U-Boot-Crew, die sich auf das Auftauchen vorbereitet. Der Kapitän ist Gregory Peck. CUT! Die Kamera hat die Außenposition des Bootes eingenommen. Sprudelndes Meerwasser...Dunkelheit...Wasseroberfläche...Lichtstreifen auf der Wasserobfläche...Einblendung:

STANLEY KRAMER PRESENTS A UNITED ARTIST RELEASE

CUT...wir sehen das U-Boot in ganzer Größe...Australiens heimliche Nationalhymne WALZING MATHILDA ertönt im Hintergrund...

GREGORY PECK - AVA GARDNER ...in zerrissen weißen Lettern auf dem schönen 70mmm-schwarz-weiß des Meeres - FRED ASTAIRE - ANTHONY PERKINS in

ON THE BEACH

...das Intro läuft weiter, das Boot driftet im Hintergrund! Die U-Boot-Fahrer sichten Land! CUT - wir sehen den Hafenlotsen, der im Radio hört, dass die Weltbevölkerung gestorben ist und die Radioaktive Wolke sich auf Australien zubewegt! Sie werden nicht mehr der sein, der Sie vorher waren, bevor sie das Kino betreten haben. Unvergessen werden sich diese 145 Minuten Film in ihren Körper brennen.....Sie haben das größte Filmereignis des Jahres gesehen, eine kurze Vorblende der Ängste und Wünsche der Menschheit des kommenden Jahrzehnts!

Was für ein Beginn, was für ein Timing, was für ein Film! Oscar Wilde sagte einmal: „Nur die Mittelmäßigkeit macht Fortschritte. Ein Künstler bewegt sich in einem Kreis von Meisterwerken, von denen das erste nicht weniger vollkommen ist als das letzte.“ Wir schreiben hier oft: Was für ein Meisterwerk! Jedoch trifft das von Wilde Gesagte zu! Und vielleicht macht es daher Sinn, häufiger mal eine kleine Werkschau für sich selbst zu veranstalten, um sich zu beweisen, dass ein einzelner Film selten so groß sein kann, dass man ihn als –alleinstehend- meisterlich bewerten darf. Einfacher! …auch bei der Begründung wird es, wenn man Kramer als Regisseur betrachtet und wie er sich entwickelt hat, um vielleicht auch dann den Einzigen großen Film den er gedreht hat, mit so einem großen Wort zu belegen, es aber nicht kann, da er durchweg Genius bewiesen hat und somit zu den ganz, ach was, zu den Größten Regisseuren überhaupt gezählt werden kann.

Kollege Rick Deckard hat einmal gesagt, dass es nicht nur einer ist, der den Film macht, sondern Viele;..und es ebenso viele Einflüsse sind, die zum Gelingen eines richtigen guten Films notwendig sind. Kamera, Schnitt, Ausstattung, Drehbuch, Darstellung, Musik etc. Aber! Verantwortlich ist immer der Regisseur, denn meist ist er ja auch der Initiator und eben Hauptverantwortliche.

Das Filmwerk von Stanley Kramer ist weitreichend und vielfältig. Noch immer gibt es auch aus heutiger Sicht, neben seinen großen Produktionen, viele Regiearbeiten und Produktionen zu entdecken, die wir ihm entweder nicht zugeschrieben haben oder noch nie gesehen haben.

In dieser kleinen,  persönlichen und subjektiven Retrospektive möchte ich aber vorerst seine großen Werke thematisieren, inspiriert durch die Neu-Veröffentlichung des vergessenen und gleichsam wundervollen Film DAS NARRENSCHIFF, angefangen allerdings mit dem Film DAS LETZTE UFER, welcher im Original und im Hinblick auf einige leichte, aber sehr wichtige lebensbejahenden Sequenzen eigentlich und dann auch Folge richtig ON THE BEACH heißt.

ON THE BEACH spielt zu der Zeit, als Stanley Kramer 46 Jahre alt war und der kalte Krieg zu Beginn der 1960ziger Jahre seinen Höhepunkt gefunden hatte, schlicht weg gesagt:  Das Filmereignis seiner Zeit. Die Verfilmung des Bestellers von Nevil Shute war zudem der erste Film der zeitgleich weltweit uraufgeführt wurde. Eine globale Kinopremiere also mit einem wahrlich apokalyptischen Thema, nämlich der Erzählung von den letzten Tagen der Menschheit.

Kramer stellt fünf Menschen in den Mittelpunkt der Handlung: Fred Astaire (ähnlich wie Gene Kelly in WER DEN WIND SÄT…besetzt Kramer hier einen Musicalstar, in einer seiner weniger Sprechrollen, kongenial) der einen Atomforscher spielt. Ein junges Ehepaar gespielt von Antony Perkins (der schon wenige Wochen später nach dieser Aufgabe einen der durch geknalltesten Typen der Filmgeschichte sollte; PSYCHO) und der völlig vergessenen Schauspielerin Donna Anderson, sowie dem unfassbaren Gregory Peck als Cpt. Dwight Lionel Towers und der atemberaubenden Ava Gardner, die sich zu der Zeit im privaten Leben von Sinatra trennte und eine tiefgehende Freundschaft mit Ernest Hemingway begann. Unwichtig!? Sagen Sie! Überlegen Sie einmal in was für einem Kosmos von Männlichkeit, Genialität und Intellekt sich die Gardner bewegte.

Stanley Kramer - Retrospektive – Das letzte Ufer (1959)Stanley Kramer - Retrospektive – Das letzte Ufer (1959)Stanley Kramer - Retrospektive – Das letzte Ufer (1959)

Man spürt es in diesem Film förmlich! Die gemeinsamen Sequenzen die sie mit Peck als Moira Davidson hat, gehörten zu den am schönsten gespielten Liebesanbahnungen überhaupt. Gardners unglaubliches Aussehen, Ihre Anmutung, Ihre Verkörperung einer modernen, eigenständigen und selbstbewussten Frau, die zeitgleich einsam, dem Alkohol zugeneigt ist, aber dennoch so viel wunderbare positive Lebensenergie ausstrahlt, ist eins der versteckten Geheimnisse des Filmes. Selbst der ewig cool wirkende und kaum aus der Fassung zu bringende Gregory Peck, muss seine Begeisterung für Gardner bzw. Moira nicht spielen. Er lässt sich einfach nur mitreißen. Oftmals wie ein kleiner Junge, der keine Wahl hat und dieses Abenteuer so sehr liebt, dass er sich gar keine Fragen mehr stellt, auch nicht die seines eigenen Todes und seiner Familie in den USA, die längst dahin gerafft sind.

Denn Fragen muss er als letzter U-Boot Kapitän der Schwertfisch (U-623) und dem letzten Schiff der amerikanischen Marine häufig genug beantworten. Schließlich kommt er mit seinem Atom-Boot direkt aus dem Kampfgebiet bzw. aus dem globalen Atomkrieg und landet mit seiner Mannschaft in Australien, dem einzigen Kontinent, wo ein Überleben noch möglich ist, bevor die Radioaktivität auch hier ankommen wird, um die Menschen sterben zu lassen.

Der Familienvater und Verbindungsoffizier Peter Holmes (Perkins) und seine Frau freunden sich schnell mit dem Amerikaner an und verbringen gemeinsam mit ihm, einigen Freunden (Astaire und Gardner) unbeschwerte Tage am Strand.

Der psychologische Schock bei der Urauführung muss bei den Zuschauern gewaltig gewesen sein. Schließlich wurden viele das erste Mal mit den Konsequenzen eines möglichen Atomkrieges konfrontiert. Kramer zeigt ihnen, wie es ist, wenn man nur noch einige Woche zu leben hat, wie man sich auf den Tod vorbereitet und trotzdem nicht verstehen wird, dass bald alles vorbei ist.

Und es ist genau dieser Grad, den Kramer konsequent geht und auch gar nicht verschönert erzählt. Es ist kein Geheimnis, dass dieser Film ohne ein Happy-End auskommen muss. Die Welt ist zerstört alle sind tod.

Dabei wirken eben genau diese unbeschwerten Szenen am Strand und später im letzten Teil des Filmes in der bergigen Natur und auf saftigen grünen Wiesen mit Pferden und Schönheit so unglaublich unecht, schön und gestellt, dass nur dem letzten Pessimisten auffallen dürfte, dass uns Kramer hier romantischen Kitsch zeigt. In einer kurzen Sequenz zwischen einem alten australischen Admiral und seiner deutlich jüngeren Sekretären, spielt er sogar, für 1959 sehr mutig, das Thema des letzten Sex als Hoffnung vor dem Sterben an.

Kritiker haben dem Film insbesondere diese Schlusssequenzen als öd und fadenscheinig vorgeworfen. Außerdem machten sich viele Cineasten zu der Zeit, über den Mittelteil des Filmes lustig: Die Schwertfisch hat einen letzten Auftrag bekommen. Sie soll überprüfen wer diese geheimnisvollen Funksignale aus der Umgebung von San Francisco sendet und ob die Radioaktivität im polaren Bereich schwächer wird. Kramer fängt gar nicht erst an, die Zuschauer mit einem Haufen von Leichen auf Straßen zu quälen. Die Städte sind einfach nur leer und strahlen so genügend Schauer und Greul auf die Zuschauer ab. Die Entscheidung eines Matrosen in San Francisco von Board zu gehen, seine kurze Unterhaltung mit dem U-Boot-Kapitän über ein Mikrophone auf dem Meer, während er längst verseucht in einem kleinen Angelboot mit einer Kiste Bier sitzt, gehört wohl zu den abstrusesten und zeitgleich nachvollziehbarsten Momenten der Filmgeschichte.

Kramer gelingt Jahrzehnte vor DANNY BOYLES 28 DAYS LATER ein Endzeitszenario, welches konsequent inszeniert ist und somit größeren Schauer beim Zuschauer hinterlässt, als radikales Gemetzel zu zeigen.

Und es ist natürlich keine Oberflächlichkeit oder gar den einfachen Weg, den sich der Regisseur entschlossen hat zu gehen mit seinem Film. Und schon gar nicht, ich finde das persönlich entscheidend für die Bewertung dieses Streifens als MASTERPIECE, dass uns STANLEY KRAMER anbietet den Film unterschiedlich zu lesen oder zu verstehen. Denn das wäre Unsinn! Der Kern des Themas ist weder die politische Sicht, noch eine latent düstere-deprimierende Weltsicht inkl. Endzeitszenario! Nein, nein, nein!

Dieser Film erzählt die Wahrheit über uns Menschen und klärt uns auf, welches die wichtigen Eckpfeiler und Inhalte für ein glückliches Leben sind: Liebe, Schönheit, Familie, Freundschaft, Zusammenhalt, Hoffnung, Glück! Alles andere, jeglicher Film der danach gekommen ist und sich mit einem ähnlichen Thema beschäftigt hat, erklärt uns diese scheinbar einfachen Attribute über den Schein des Eskapismus oder über einen Religiösen oder einen Übersinnlichen Ansatz. Kramer hingegen erklärt uns den Augenblick des Glücks bereits in seinem Originaltitel des Filmes ON THE BEACH und nicht über eine gesellschaftliche Ziel- oder Handlungsvorstellung. Damit macht er ON THE BEACH zu einem der schönsten Endzeitdramen überhaupt, wenn man das so sagen kann!

Stanley Kramer gilt bis heute als einer der mutigsten Regisseure überhaupt. Da er häufig schwierige politische Themen als Gerüst seiner Filme genommen hat, um die Komplexität aufzubrechen, allen Menschen einen Zugang zu diesen Themen zu ebnen und doch zu unterhalten und Hoffnung zu schenken. Kramer ist ein genialer Denker und Philosoph gewesen. War aber nicht elitär oder gar akademisch! Er hat in seinem privaten, wie auch in seinem beruflichen Leben, immer die Regel verfolgt: NICHT ÜBER DEN DINGEN ZU STEHEN! UND GEGEBENHEIT UND MENSCHLICHE HANDLUNGEN NICHT ZU VERURTEILEN, SONDERN DIESE ZU BEWERTEN!

Übrigens sind das Maxime über die RICK DECKARD und ICH gerne bei einem guten Schluck und jeder Menge Zigaretten diskutieren und die man sich einmal tatsächlich als täglichen Begleiter heranziehen sollte.

Natürlich setzt das aber einen erhöhten E.Q. und sehr viel Empathie voraus. Davon haben viele Menschen zu wenig abgekommen. Stanley Kramer aber Löffelweise und das beweist er nicht nur mit diesem Film, sondern auch in seinem nächsten MEITSTERWERK: WER DEN WIND SÄT….

Aus Melbourne

Alan Lomax

 

 

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