Depeche Mode 2010 - Eine Bestandsaufnahme anlässlich des Konzertes am 27.2.2010 in der Düsseldorfer Esprit-Arena.
Ein Gastbeitrag von John Ross Ewing
Depeche Mode begleiten mich seit der frühen Jugend und sind sicher die wichtigste Band in meinem Leben. Sie sind zu einem Phänomen geworden, weltweite Erfolge und Popularität erleichtern das Sprechen über Musik mit Menschen, die sich ansonsten damit kaum auseinander setzen. Music for the masses eben. Dabei ist es unglaublich, wie schnell man einen Konsens herstellt. Alle können sich auf diese Band einigen. Nach dreißig Jahren Bandgeschichte ist ein kritisches Beleuchten aber erlaubt und notwendig. In der Regel sind Bands nach einer solchen Zeit erledigt und ohne Relevanz für die Popkultur. Die Dinge liegen hier anders. Nach den zahlreichen schwierigen Bandphasen und persönlichen Problemen haben sich Depeche Mode schon zu Playing the angel zusammengerauft und neue Kreativität herausgelassen. Sounds of the universe aus 2009 ist ein Koloss von einem Album, unglaublich komplex, vertrackt, voller elektronischer Spielereien, mit Oldschool-Instrumenten wie Moogs und Korgs aufgenommen, gleich mit dutzenden von Remixen versehen. Man konnte sich nicht entscheiden, welche Stücke auf das Album sollen und veröffentlichte also ein Album, das außer Wrong jeglichen Hitcharakter verweigert. Dennoch kommt man mühelos in 21 Ländern auf Platz 1 der Charts. Es werden sich alle unabhängigen, Club-affinen und noch so chartinkompatiblen Elektroniktüftler auf den enormen Einfluss dieser Band einigen. Vermutlich ist dieser mittlerweile ebenso groß wie der von Kraftwerk oder Can. Das Geheimnis liegt nicht so tief. Neben der immer progressiven Musik (die Weiterentwicklung über die Jahre fand oft auf B-Seiten und in Form von Remixen statt), Entfaltung in dem selbstbestimmten Umfeld von Mute Records und verbunden mit dem gewollten Zulassen äußerer Einflüsse, ist es einfach das geniale Songwriting von Martin Lee Gore. Spätestens seit Johnny Cash Personal Jesus aufgenommen hat, ist er geadelt.
Live ist es seit 101 in Pasadena auch dokumentiert so, dass es keine bessere Mischung des gleichermaßen kühlen und emotionalen Entertainments gibt. So auch die Konzerte in Düsseldorf, auf die man nun acht Monate warten musste und die leider kein Sommer-Open-Air wurden. Also Hallenkonzert vor 50.000 Devotees, halb acht Licht aus, NITZER EBB! Die Vorgruppe ist auf besonderen Wunsch von Depeche Mode dabei. Man kennt, schätzt, produziert und remixed sich seit Alan Wilder-Tagen. Nitzer Ebb sind Pioniere der Electronic Body Music und waren Mitte/Ende der achtziger Jahre an Power und Bühnenbrutalität nicht zu überbieten, eine extrem tanzbare Band. Sie standen in einer Linie mit ihren Vorbildern, den frühen Krupps und DAF. Choose the fast beat! In einer solchen Halle funktioniert das trotz langjähriger Auszeiten weiterentwickelte Konzept mit schleppenden Jazz- und Industrialelementen nicht und sehnt sich nach einem Electroclub. Die Band hat nichts an Zorn eingebüßt. Mit dem unglaublichen Murderous aus dem Jahr 1986 beginnt ein hervorragendes Set, das trotz weiterer Smasher wie Join in the chant und Let your body learn im Fußballstadion verhallt. Die Zuschauer mit „Front of stage“ Karten werden hoch getanzt haben, der Rest wird verständlislos zurückgelassen.
Depeche Mode beginnen mit drei Stücken von Sounds of the universe, wie gesagt, kein universeller Sound und somit live schwierig. Wrong hat zu viel Hall, ansonsten ist der Sound Zucker. Anton Corbijn hat die Projektionen für diese Tour erneut perfekt gestaltet und ist somit ein wesentlicher Faktor der Bühnenästhetik. als es noch Musikfernsehsender gab, war er über Jahre für die zeitlosen Videos der Band ab der b/w-Phase zuständig. Ein weiterer Punkt, weshalb man bei jeder Depeche Mode Tour ein Konzert besuchen kann, ist die ständige Erneuerung der alten Songs. Bei dieser Tour ist eine Menge neu abgemischt worden, so dass die Klassiker in neuem Licht erscheinen. Walking in my shoes holt zunächst die Masse ab und hallt auch in den nächsten Tagen noch nach, yeah stumble in my footsteps.
Dann It’s no good, eine eher schwache Single, der immer Drive fehlte, in neuem Gewand, härter und schärfer, mehr Gitarre, sehr schön. Dave Gahan ist müde und angeschlagen und erhält nach drei weiteren Hits eine Pause. Martin Gore, deutlich verlebt, aber Herr des Ganzen, singt hintereinander One caress und Home. Home ist so unglaublich schön und klar vorgetragen, dass es eigentlich nicht aufhören darf, der ritualisierte Publikumsnachhall bestätigt das. In your room ist auch unglaublich dunkel und königlich gemischt, unterstrichen von der red light Projektion extrem einprägend, I’m hangin‘ on your words.
I feel you wird mit den Jahren immer schräger mit immer mehr Gitarren, ganz herrlich. Enjoy the silence und Never let me down again verlaufen schlicht und erwartet, dürfen aber als Abschluss nicht fehlen und lassen die Halle zur Recht zwei der größten Popstücke aller Zeiten feiern.
Die Zugabe beginnt überraschend und nur weil meine Frau bei mir war mit Somebody. Natürlich gibt es kein besseres Liebeslied. Bei Stripped bemerkt man nochmals Gahans Schwäche, Gore gleicht sie aus und das Stück lebt immer noch davon, wie es in die zweite Strophe kommt, mit aller Kraft. Photographic in der aktuellen Version ist wirklich cool, sehr sehr cool, Jugenderinnerungen, dark room.
Personal Jesus wird von tausenden Come back Zetteln untermauert und ist würdiger Abschluss eines abermals furiosen Konzertes. Diese Band wird weitere Entwicklungsschritte machen und Weggefährte sein. Reach out and touch faith!
John Ross Ewing
Setlist:
In Chains
Wrong
Hole To Feed
Walking In My Shoes
It’s No Good
A Question Of Time
Precious
World In My Eyes
One Caress
Home
Miles Away / The Truth Is
Policy Of Truth
In Your Room
I Feel You
Enjoy The Silence
Never Let Me Down Again
Somebody
Stripped
Photographic
Personal Jesus