Ablaye Ndiaye Thiossane
Mein lieber Legend!
Letzte Woche hast Du mir die CD des oben genannten Herren zugeschickt mit der Bitte sie zu hören und auch etwas darüber zu schreiben.
Ich kann mir gut vorstellen, wie Du beim lesen dieser Zeilen schelmisch vor Dich hin grinst und die Hände reibst! Über Musik dieser Art zu schreiben ist eine echte Herausforderung für mich gewesen, da ich alles, v.a. meine bisherigen Hörgewohnheiten und meine musikalische Sozialisation über Bord werfen musste. Was schreibe ich da! Sie ist gar nicht von Bedeutung!
Ich gebe zu, dass ich Hemmungen hatte die CD einzulegen (obwohl ich sehr neugierig war) , da ich ungefähr ahnte was mich erwarten würde. Allein der letzte Teil des Satzes zeigt, wie sehr man voreingenommen ist, noch ohne den ersten Ton gehört zu haben. Fast ritualisiert laufen da Gedanken ab, Schubladen werden aufgemacht und vorab bereits verurteilt. Schon beeindruckend.
Auf dem Weg zur Arbeit habe ich Zeit und so beschloss ich die Musik morgens und abends zu hören, an zwei aufeinander folgenden Tagen. Es war nebelig und nasskalt, aber als ich die ersten Takte hörte, wurde es mir warm ums Herz. Hört sich kitschig an, ist aber so gewesen. Ob ein wenig Einbildung mit dabei war? Ja, kann sein.
Weisst Du was von Vorteil ist: wenn man nichts, wirklich nichts über einen Künstler weis. Musik im wahrsten Sinne des Wortes in 'Reinkultur'.
Zwei Dinge fielen mir auf: zum einen der Gesang und zum anderen die Instrumentierung, besser die Verwendungen von Instrumenten wie Akkordeon, Gitarre, Rhythmusgruppe/ Percussions und Saxophon.
Der Gesang hat repetitiven Charakter, fast so, als gäbe es nur einen bestimmten Inhalt, der voller Freude in die Welt hinausgesungen werden müsse. Daneben gibt es aber auch mehrstimmigen Gesang. Das klang am Anfang fremd, wie auch sonst? Denn diese Sprache ist einem nicht geläufig. Ist französisch z.B. auch nicht, aber man hört sie öfter und bildet sich ein emotionale Nuancen heraushören zu können. Ein Trugschluss.
Diese Musik lebt vom Rhythmus. Ein wesentlicher Bestandteil der Songs. Häufig beschwingt und heiter und immer wieder Anlass gebend mit dem Fuß zu wippen. Mir fielen Tanzrhythmen auf und auch die Nähe zu lateinamerikanischer Musik, afro-kubanische Einflüsse. Aber nicht nur die Stimme hat hier vorrangigen Charakter, sondern auch die o.g. Instrumente und die zu hören hat immer wieder Freude bereitet.
Freude deswegen, da hier ein Abgleich mit Hörgewohnheiten stattfand. Soli des Saxophons oder der Gitarre, nie abhebend, nie blumig ornamentierend, sondern immer einer einfachen, klaren Linie folgend.
Die ganze Zeit über stellte ich mir vor wie diese Musik live vor Ort klingen würde, oder an einem Ort, an dem es warm ist, die Sonne scheint und alle Sorgen in Luft aufgelöst an einem strahlend blauen Himmel? Ob die Rezeption dann eine andere wäre?
Die Musik auf dieser CD hat mehr Fragen aufgeworfen als Antworten geliefert, v.a. eine: ist der eigene Maßstab zur Bewertung von Musik, die eigene Herkunft, die eigene (musikalische) Sozialisation immer die maßgebliche? Wie empfinden diese Musiker wohl Musik aus Europa oder Amerika?
Mir fällt immer wieder der Beitrag von Peter Bieri ein, der mir nach dem ersten Lesen nie wieder aus dem Kopf gegangen ist. Er schreibt u.a.:
"Zu Bildung gehört Einsicht in die historische Zufälligkeit der Art, wie wir denken, fühlen, reden und leben: Es hätte alles auch anders kommen können. Dieses Bewusstsein drückt sich aus in der Fähigkeit, die eigene Kultur aus einer gewissen Distanz heraus zu betrachten und von dem naiven und arroganten Gedanken abzurücken, die eigene Lebensform sei den anderen überlegen und einem angeblichen Wesen des Menschen angemessener als jede andere. Solche Anmaßung ist ein untrügliches Zeichen von Unbildung."
Mein lieber Legend! Zu behaupten diese CD ist ganz grosse Klasse und ein Meilenstein der Musik wäre schlicht und einfach gelogen. Sie ist v.a. eines: sie öffnet die Augen, die meist 'wide shut' sind. Dafür bin ich Dir dankbar.
Ich habe es genossen die einzelnen Stücke zu hören und das vollkommen ohne Anstrengung. Neue, reizvolle und weiter neugierig machende Musik. Hervorragend produziert und mit einer Mischung aus Tradition, Folklore, PoP und Jazz Elementen durchaus eine sehr reizvolle Erfahrung.
Nur habe ich jetzt eine Frage an Dich: Wie bist Du auf diese Musik gekommen? Kannst auch gerne hier einen Kommentar schreiben.
Die "Biographie" von Thiossane lässt sich mit Begeisterung lesen und ist zu empfehlen, da sich zeigt woher seine Einflüsse kamen:
link zu einem Beitrag auf Africa live online.
link zu dem überaus lesenswerten Artikel von Peter Bieri.
Gruss aus Senegal,
Rick Deckard