Heavy - Jochen Distelmeyer
Mir ging vieles durch den Kopf, als ich das Album 'Heavy' von Distelmeyer gehört habe. Zu aller erst: wie geht man möglichst unbedarft an dieses Album heran wohl wissend, dass Distelmeyer als Leadsänger und 'Kopf' von 'Blumfeld' einige der schönsten deutschsprachigen PoP-Songs aller Zeiten geschrieben hat? Es ist schwierig, aber wie sehr waren er und die ehemalige Band ein und die selbe Person, denn ich habe den Solisten eigentlich nicht aus diesem Album heraus gehört. 'Heavy' könnte genauso gut das nächste 'Blumfeld' Album sein, was es aber wiederum nicht ist und was mich zur nächsten Frage geführt hat: ist ein Musikalbum in seiner Summe das Ergebnis einer kollektiven Bemühung oder doch nur das Resultat eines einzelnen begabten Menschen? Im Jazz ist das nebenbei bemerkt anders. Wer das Album hört und 'Blumfeld' kennt, der wird diese Frage verstehen. So ist das eben mit Erwartungshaltungen und v.a. wenn sie gross sind. Mit Biegen und Brechen "muss" das Gehörte diesen entsprechen, sonst ist man enttäuscht. Sich von dieser Haltung frei zu machen, dass ist glaube ich auch eine grosse Kunst in der Rezeption von PoP-Musik. "Lass uns Liebe sein" hatte die Vorfreude in noch grössere Höhen getrieben, denn sowohl die Musik als auch den Text betreffend war das die Essenz eines Jochen Distelmeyer Songs. Beim ersten Hören eingängig und sich in einer Gedankenwelt bewegend, in der man sich nur allzu gut auskennt. Ein perfekter, ein grossartiger PoP-Song.
Aber weg von 'Blumfeld', die waren einmal und hin zu dem neuen Album. 'Heavy' enthält ein Sammelsurium an Themen und auch viele Songs, die um das ewige Thema Liebe kreisen. Was mich persönlich "erschüttert" und auch sehr verärgert hat ist die phasenweise unerträgliche Banalität einiger Lieder, ob nun Acapella gesungen wie 'Regen', oder mit Band wie 'Nur mit Dir', der zugleich auch der schlechteste Song des Albums ist mit einer Trivialität, die ihn, ich muss es leider sagen, zu einem Schlager macht. Nichts gegen Schlager, möge jeder hören was ihr/ihm gefällt, aber die Kunst war es bisher immer geschickt um genau diese Klippe herum zu manövrieren, was im angelsächsischen wesentlichen einfacher ist als in der deutschen Sprache.
Das traurige an 'Heavy' ist, dass die Musik, die Melodien, die Arrangements sehr gut sind, aber irgendwie nicht mit den Texten harmonieren und ich finde das macht immer einen guten Song, ein gutes Lied aus. Es gibt auch einige lautere Stücke auf dem Album mit einfachen Akkorden und Riffs, bei denen ich leider den Text nicht verstehen konnte und die auch musikalisch nicht sonderlich reizvoll sind, aber anscheinend in ein solches Album gehören. Dadurch macht 'Heavy' insgesamt keinen homogenen Eindruck und ich bin auch froh, dass es so ist. Immerhin ist hier Musik, PoP-Musik, die einen auch endlich mal aufregt, mit welchem Attribut auch immer, aber sie tut es wenigstens.
'Bleiben oder Gehen' ist neben 'Lass uns Liebe sein' einer der wenigen guten Titel auf dem Album, bevor es mit dem unerträglichen 'Murmel' endet, dessen Komposition, Musik, Melodie wiederum sehr gut sind aber in den Hintergrund geraten und man als Freund Distelmeyer'scher Musik anfängt den Boden unter den Füssen zu verlieren wenn man dem Text lauscht. Das hört sich so an, als würden die mich umgebenden Familienväter am Sandkasten sitzen und ihr selbst komponiertes Lied auf einem Strassenfest zum Besten geben. Das tut weh.
Komisch ist das. Und verwunderlich auch. Keineswegs möchte man Jochen Distelmeyer sein unglaubliches Talent, Intellekt und auch seine Musikalität absprechen, aber ich frage mich was dieses Album soll? Der Titel 'Heavy'? Das Cover finde ich absolut grossartig und es stellt vielleicht die Zusammenfassung von 'Heavy' dar, ich weiss es nicht. Blickfang und Provokation ist es alle mal. Was ich weiss ist, dass ich mir das Album, zumindest in den nächsten Monaten, nicht wieder anhören werde, was ein Novum in meiner eigenen Distelmeyer-Historie ist. Welcher Titel allerdings einer 'Heavy Rotation' unterliegen wird ist: "Lass uns Liebe sein".
Ich glaube Jochen Distelmeyer hat mit 'Heavy' zu sehr über die Stränge geschlagen und vielleicht ist ein Diskurs in einer Band mit verschiedenen Meinungen insgesamt doch fruchtvoller und produktiver, als die die Vorgaben eines einzelnen? Ich bin kein Musiker um solche Thesen beantworten zu können. Hier hat künstlerisch ein Abnabelungsprozess statt gefunden, das sollte nicht vergessen werden und die Zeit wird zeigen welchen musikalischen und künstlerischen Weg J.D. gehen wird. Ich werde ihn gespannt verfolgen und mich weiterhin über seine Musik freuen und ärgern.
Es ist wie immer alles eine Frage der Dosis.
Und in 'Heavy' steckt leider für einen Musiker vom Format eines Jochen Distelmeyer zu wenig Substanz.
Rick Deckard