13 REASONS WHY – BRIAN YORKEY / Jay ASHER – NETFLIX
Clay Jensen erhält zwei Wochen nach dem Selbstmord seiner Mitschülerin ein Päckchen. Hannah hat auf sieben Tapes 13 Gründe für ihren Selbstmord diktiert und nennt die Mitschüler die Schuld an ihrem Suizid sind. Clay hört sich die Tapes an, die Handlung spielt somit in der Vergangenheit und in der Gegenwart.
Hervorzuheben sind zunächst einmal die für eine High-School-Geschichte nicht unbedingt stereotypen Charaktere. Angeführt von Clay Jensen, der immer tiefer und tiefer in die Geschichte rutscht, ohne das er geahnt hat, dass er überhaupt in diese involviert ist. Clay ist nicht der klassische Nerd. Ehr so etwas wie der von vielen respektierte Außenseiter, weil er smart und clever ist. Letztendlich ist er auch der Held der Serie, weil er als einziger Fragen stellt und versucht gegen die Situation an zugehen. Dabei gelingt es Schauspieler und Story gut, nicht auf das Thema Adoleszenz zusetzen, sondern ehr die Ignoranz und Dummheit seiner Mitmenschen in Frage zu stellen.
High-School-Storys habe ich schon immer geliebt. Es gibt zwei ganz einfache Gründe dafür: Zum einen ist da meine übertriebene Liebe zum Amerikanischen, aber auch von Anfang an zu der Welt die im Prinzip der Filmregisseur John Hughes mit einem eigenen Stil in den Achtziger Jahren etablierte und die vielleicht Regisseure wie George Lucas (American Graffiti) erfunden hatten.
Geschichten wie TOTE MÄDCHEN LÜGEN NICHT (Deutscher Titel) mag es vielleicht viele geben, aber die meisten Vergleiche ab 1995 hinken doch gewaltig, da in den häufigsten Fällen eine triviale Coming-Of-Age Geschichte dabei herauskommt oder eine Persiflage auf die Persiflage, wie es z. B. bei RIVERDALE, dem direkten Erzfeind dieser Serie zu bestaunen oder zum Abschalten gibt.
„Warum?“ …stellt sich der erwachsene Zuschauer die Frage: „…soll ich mich mit der Geschichte von ein paar Prä-Pubertierenden amerikanischen Teenager auseinandersetzen“.
Nun die Antwort ist recht einfach und so keuche ich zurück: „Hier geht es um die Selbstwahrnehmung einer weiteren Generation und ganz bestimmt in erster Linie um die Suche der eigenen Identität.“
Denn eigentlich müssten die Klischees der Stereotypen ja inzwischen überholt sein. Denn bei dem summierten Bombast an Beispielen, müsste ja auch der letzte Hillybilly Football Kapitän oder die hübscheste Homecoming Queen festgestellt haben, dass sie Parodien ihrer selbst sind. Oder sind die Eitelkeiten tatsächlich so groß, dass es niemanden auffällt?
Ich kann da nur für meine eigenen Kinder sprechen, die sich sicherlich auch ihren äußeren Status aufbauen mussten, aber eben diesen Vorlagen so gar nicht entsprechen. Vielleicht ein amerikanisches Phänomen!
Aber für die atemberaubend spannende Serie 13 REASONS WHY ist das uninteressant. Das Metier wird hier schlau weitergeführt, die Personalien und Charaktere aufgeschraubt und letztendlich wird sich ehrlich und Jugendlich- sowie Erwachsenen gerecht mit den unfairen und ernsthaften Themen Mobbing, Selbstmord und Vergewaltigung auseinander gesetzt. Werden danach mehr Fragen gestellt und findet eine Aufklärung statt, hat die Serie vollends erfüllt. Und es gelingt.
Zum Schluss muss ich allerdings noch auf ein scheinbar leichtfertig hingenommenes Phänomen hinweisen, welches ich schon häufiger erforscht habe, aber bisher kaum Raum zur Diskussion erhalten habe, weil sich die jüngeren Jahrgänge dazu nicht äußern und es den Älteren egal ist.
Ich will das Thema Musik daher erst gar nicht zum Diskurs stellen, sondern gehe einen Schritt weiter: Liebe nach 1990 geborenen Menschen: Hört auf unsere Musik zu hören!!!
The Alarm, The Cure, Echo & The Bunnymen und natürlich immer wieder Joy Division. Das ist die Musik der achtziger Jahre. Und zwar die Musik, die damals jene gehört haben, die heute diese ganzen obskuren Independentbands hören und zur denkenden Minderheit gehört haben und gehören.
Ich bin der erste, der in den achtziger Jahren sagte, dass Joy Division zeitlose Musik machen und dass man CURTIS noch in 400 Jahren zu hören wird, wie Mozart. Und es ist tatsächlich so eingetroffen. Aber?! Ich möchte das nicht hergeben. Es gehört uns. Und ehemaligen Jugendlichen die zwischen schlechten Geschmack, schlechtem Wetter und einer völlig verblödeten Gesellschaft aufwachsen mussten, die uns auch noch oktroyiert hat, uns einer Jugendsubkultur anzuschließen.
Ständig wurde man dadurch definiert, welche Musik man hörte oder was man anhatte. Und gesellschaftlich stiegen alle schlimme Statistiken für alle schlimmen Dinge, die ein Jugendlicher nicht hören will und mit denen „Ihr“ heute weitestgehend distanziert leben könnt:
„Kernkraft“, „Umweltverschmutzung“, „Atomkrieg“, „Scheidungsrate“, „Arbeitslosigkeit“, „Krebs“, „AIDS“ etc. Ehrlich! Da konnte man nur schwarz tragen, Angst vor Montagen haben und frühzeitig anfangen die Welt zu hassen! Denn so war das damals. Und das ging nur mit Joy Division. Ian Curtis rettete mein Leben. Weil er meine Gefühle einsammelte, verwaltete und mir zurück gab.
Glauben Sie also (und Ihr auch nicht), dass ein Clay oder Tony auch nur ansatzweise wissen, wie es sich angefühlt hat, sich nicht definieren zu können. Damals war alles schlechter. Das unterscheidet meine Generation, zu der Generation meiner Eltern und Großeltern, die genau das Gegenteil behaupteten.
Die ultimative Sicht der Dinge muss erst noch geschrieben, verfilmt und vertont werden. Es gab einige Beispiele in der Vergangenheit (Donnie Darco, The Virgin Suicides, Moonrise Kingdom) die man anführend, weil wegweisend, nennen muss. Aber das Genre hat weiterhin Potenzial. Wir dürfen gespannt sein.
Epilog
Neue und alte Leser werden sich durchaus wundern, dass ich dieser Serie ein klares Pro ausspreche und ich gebe gerne zu, dass alle Ingredienzen dafür sprechen ein sehr klares Contra auszusprechen. Ich möchte hier gerne betonen, dass ich mir das Recht als Blogautor rausnehme, einfach komplett widersprüchlich vorzugehen.
Ich möchte somit auf gerne klar stellen, dass ich durchaus verstanden und gesehen habe, dass die Serie leichtsinnig mit dem Thema Suizid umgeht, dass die Stilmittel nicht meinem Anspruch an die Cinematographie entsprechen und das Drehbuch zum größten Teil haarsträubend unlogisch ist.
Aber ich erkenne einige wichtige Ansätze, die vielleicht auch ehr in dem Buch des amerikanischen Autors und Musikers Jay Asher zu finden sind. Vielleicht ist es ein Schmerz, den ich nicht definieren kann, der aber noch immer da ist. Und es ist nicht nur der Schmerz der Hannah Baker, sondern in erster Linie der des unverstandenen und gegen die Windmühlen kämpfenden Clay Jensen.
Dies ist ein Blog, der im Unterschied zu professionellen Printmedien, ausdrücklich eine persönliche Meinung darstellt, die absolut subjektiv ist. Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
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