Billy Joel – Frankfurt 03. September 2016 Commerzbank Arena
Billy Joel hat weder die Popmusik, noch die Welt verändert. Seine besten Songs schrieb er in den 1970ziger Jahren. Zu einer Zeit als andere cool waren und zwar die, die nicht an einem Klavier saßen, sondern die Rock- und Popmusik revolutionierten.
Nick Hornby hat in seinem Buch „31 Songs“ über Ben Folds ähnliche Worte gefunden und einen sehr treffenden Satz für das Werk von Folds, aber letztendlich auch zu Folds Vorbild Joel, gefunden: „…daher sind seine Songs bloß Songs, sie repräsentieren nichts und sind auch nicht Teil von irgendetwas anderem und sie müssen sich in einer Industrie und gegen Kritiker behaupten, die nur Dinge von kultureller Wichtigkeit interessiert!“.
Und schon ist man mitten drin im Dilemma, in dem man sich zwischen zwei anstrengenden Diskussionen stellt. Ausgehend davon, dass der perfekte, ideale Popsong bereits gefunden wurde, es aber trotzdem Menschen wie mich gibt, die daran glauben, dass die nächste Punkbewegung kommt und andererseits, dass die (lt. Hornby) Kritik ein Vokabular entwickeln muss, dass es uns ermöglicht, das Gute vom Schlechten zu unterscheiden, das Banale vom Durchdachten, das Frische vom Abgestandenen.
Und bevor ich mein Leid und meine Begeisterung vom Billy Joel Konzert am Samstag in Frankfurt schildere, erkläre ich gerne, dass ich mich direkt aus diesem Dilemma zurückziehe, weil ich dann doch mit dem britischen Schriftsteller im Einklang bin, wenn er schreibt: „…wenn wir unseren besten Songwritern zu verstehen geben, dass sei wertlos, was sie tun und sie so herunterspielen. Die nächsten Lennons und McCartneys sind wahrscheinlich schon unter uns; nur werden sie am Ende nicht bekannter als Jesus sein. Sie werden lediglich Songs produzieren, die so gut sind wie „Norwegian Wood“ und „Hey Jude“, und damit kann ich leben.“ Ich auch…
Eine sehr gutgeschriebene, auf den Popkritikerpunkt gebrachte Konzertkritik des Schriftstellers und Journalisten Andrian Kreye finden Sie unter diesem Link: http://www.sueddeutsche.de/kultur/billy-joel-in-frankfurt-ein-kollektives-seufzen-1.3148014-2
Ich selbst wurde in den frühen 1980ziger Jahren mit dem Album „Songs In The Atic“ infiziert. Einem guten Späteinstieg, da das Livealbum das Frühwerk der besten Joel Songs beinhaltet. Somit sind dort auch meine drei Billy Joel Lieblingssongs vereinigt: Das spektakuläre MIAMI 2017 (welches er am Samstag als Opener spielte), dass manisch depressive und wundervolle SUMMER, HIGHLAND FALLS (welches am Samstag in der Publikumswahl gegen VIENNA verlor) und das romantische YOU’RE MY HOME.
1986 habe ich es dann nochmal mit dem Album THE BRIDGE versucht. Die Platte steht in meiner Sammlung im verbotenen Bereich. Denn außer einem Duett mit Ray Charles (Baby Grand), bedient sie den schlechtmöglichsten achtziger Jahre Produktions- und Kompositionsweg. Hören Sie sich nur einmal das Cindy Lauper Duett CODE OF SILENCE an. Es ist fürchterlich…
Im Prinzip habe ich Joel zwischendurch nie verloren. Songs wie JUST THE WAY YOU ARE oder Klassiker wie SHE’S ALWAYS A WOMAN TO ME im Radio niemals ausgeschaltet und immer mit gesungen.
Richtig fasziniert hat mich dann aber ein zufällig im Fernsehen gesehenes Konzert aus dem Shea Stadium in New York von 2008. Über das ich hier bereits euphorisch berichtet habe:
http://www.lomax-deckard.de/article-billy-joel-live-at-the-shea-stadium-109377796.html
Alles was musikalisch zwischendurch passiert ist, wie ich sozialisiert wurde und welche Bedeutung Musik für mich hat, steht auf diesen Seiten geschrieben.
Die Zusammenfassung ist schwer, da ich mich seit Beginn dieser Leidenschaft, niemals nur einer Bewegung, Subkultur oder Genre hingegeben habe. Somit lange Phasen in meiner Jugend gehabt habe, wo ich Jazz und Afrobeats gehört habe, als andere bereits ihre ersten SOLID STATE TRANSFORMER Scheiben in Amerika bestellt haben. Ich aber wiederum auch die ersten DEF JAM Scheiben in Niedersachsen besaß und in Hannover die Stadt mit den ersten Tags überhaupt verschönerte. Soll heißen, dass ich hin und her gerissen war von allem begeistert, aber auch schon früh ein Gespür dafür gehabt habe, was uncool ist! Damit ist natürlich nicht SST gemeint, sondern vielleicht auch manchmal die Qual der Wahl.
Das hört sich nun sehr arrogant an! Und natürlich gibt es nichts Schlimmeres als, wenn sich jemand selbst als cool bezeichnet oder es sich rausnimmt andere als uncool zu bezeichnen! Richtig! Es gibt aber auch nichts schlimmeres, als wenn an einem Samstagabend, auf den man sich sehr lange gefreut hat, jede Menge Menschen um einen herum stehen, die ca. gleich alt sind, aber schlimm gemusterte Hemden anhaben, die sie zudem in schlecht sitzende Bermudahosen stopfen und deren Fußnägel aus Trekkingsandalen lungern. Aber Lomax? …was hat das denn nun mit Billy Joel zu tun? „Nun sehr viel!“ entgegne ich Ihnen gerne: Diese Leute stehen um mich herum und spielen Luftgitarre zu HIGHWAY TO HELL, welches gerade ein räudiger Bühnenmitarbeiter mit Billy Joel singt.
Die Mischung ist alleine ist schlimm genug. Und das ich erklären muss, warum das schlimm ist, auch. Aber das ich mir Zeit und Mühe gebe, Joel in Schutz zu nehmen, um ihn zu erklären und vielleicht anderen zugänglich machen möchte, weil er wirklich gute Songs geschrieben hat, tut in diesem Moment wirklich weh. Und glauben Sie nicht, was andere Schreiben! Dieser Moment war der Publikumshöhepunkt für viele. Noch weit, weit vor PIANO MAN, bei dem die Zuschauer lange nicht so textsicher waren, wie allgemein beschrieben.
Dennoch ich bin glücklich! MIAMI 2017 als Opener und der Easy-Listing Klassiker unter den progressiven Pianosongs PRELUDE/ANGRY YOUNG MAN, dann direkt das wirklich schön runtergespielte JUST THE WAY YOU ARE, gefolgt von THE ENTERTAINER und dem überraschend veritabel jazzig gespielten ZANZIBAR. Das alles bei bester Laune, gutem Sound und sichtbarer Bühne inkl. Videoleinwand ohne Kapriolen, sondern mit totalen Cuts auf die Musiker.
Neben THE LION SLEEPS TONIGHT, mussten wir dann noch eine völlig unvermutete und aus dem Kontext gerissene Version von Giacomo Puccini’s Neussun Dorma ertragen, die der gut singende Bassist Andy Cichon vortrug. Unpassend.
Passend dann die durchschnittlichen Hitsingles, wie Allentown, Movin‘ Out, Uptown Girl, We Didn’t start the Fire und der wirklich furios dargebotenen doo-woop Nummer THE LONGEST TIME, mit wunderbar referenzierter Labelhommage an SUN Records und Bands wie The Swallows , The Platters oder The Blue Jays.
Für mich als amerikanophiler Musikfreund dann natürlich die Höhepunkte NEW YORIK STATE OF MIND, mit einem zum nieder knienden Saxophone Solo des legendären Mark Rivera und dem programmatischen Scenes From an Italian Restaurant, ebenso famos und unvergesslich an diesem Abend.
Bevor es, wie bei Billy Joel Konzert gewohnt, im Zugabeteil mit den radiotauglichen Mainstream Rocknummern von IT’s STILL ROCK AND ROLL TO ME bis YOU MAY BE RIGHT richtig schlimm wurde. Natürlich nicht bevor, dass allseits bekannte, beste Sing-A-Long Lied der Welt PIANO MAN alle Menschen glücklich gemacht hat.
Zusammengefasst ein gediegenes Rockstadionkonzert über das man sich nicht beschweren kann, sich aber als Musikträumer, (lieber) so vorgestellt hätte:
Konsequente Streichung aller Coverversionen, Fokussierung auf ernsthafte musikalische Interpretationen, wie bei ZANZIBAR inkl. dem atemberaubenden Carl Fischer am Flügelhorn, mit Erweiterung um BILLY THE KID und der unfassbaren Pianopassage im Mittelteil (wie auf dem Album Piano Man von 1973). Konsequente Streichung der mittelmäßigen Rücknummern á la DANCING UNDER THE STARS unter gleichzeitiger Soloaufführung der beiden besten Balladen YOURE MY HOME UND dem triefenden, kitschig-schönen, aber wahren HONESTY und dem unterlassen von selbstironischen, fast zu ehrlichen Aussagen, wie: „Jetzt können Sie auf Klo gehen, es kommt eine Albumnummer mit einem sehr langen Jazzteil“.
Schlussbemerkung
Das Beschäftigungsthema Billy Joel ist für mich nun abgeschlossen. Bereits auf dem Rückweg nach Köln, musste ich unbedingt Gitarrenmusik (wenn es interessiert SLOWDIVE und SECRET SHINE) hören, weil mich diese seichte Musik von Billy Joel und seinen Epigonen in den letzten Wochen weichgespült hat.
Dies bedeutet nicht, dass es das alles nicht wert war! Ganz im Gegenteil! Wenn man einmal den eingetreten Pfad verlässt und sich seinen Lieblingsstücken stellt, gleichzeitig hinterfragt und feststellt, wie Musiker und Musik auf andere Menschen wirkt und wahr genommen wird, so kann das nur ein Gewinn sein.
Billy Joel hat in Deutschland lange nicht die Bedeutung, die er in Amerika hat. Die meisten seiner 150 Millionen Platten hat er dort verkauft. Als einziger Musiker überhaupt, darf er einmal im Monat im Madison Square Garden in New York spielen. Das bisher 71 mal! Seine Konzerte sind tatsächlich ein Erlebnis der Perfektion, weil er eben dem Publikum etwas zu bieten hat und wahrscheinlich zu den Popmusikern gehört, die man getrost eine Ikone nennen darf. Er ist im besten Sinne ein Entertainer, voller Leidenschaft, mit einem grandiosen Kanon an Songs. Seine früheren Platten sind entdeckungswürdig.
Über meine Sehnsüchte, Träume und Gefühle zu Menschen muss ich hier nicht schreiben. Billy Joel hat eine Handvoll Songs geschrieben, die mir wichtig sind und assoziativ mit bestimmten Gefühlen und Empfindungen aufgeladen sind. Und so ist z. B. SUMMER HIGH LAND FALLS ein Song der mich durch mein Leben begleitet, ohne dass er sich jemals abgenutzt hat, sondern es immer wieder schafft bestimmt Erinnerung in mir abzurufen.
Es ist ein Drama, das ausgerechnet dieser Song in der Publikumswahl am Samstag gegen das für mich unbedeutende Vienna durchgefallen ist.
Aber ich werde das Beste daraus machen!
Schlussschlussbemerkung
Falls sich jemand von Euch Luftgitarrenspielenden, Trekkingsandalen tragenden fast Fünfziger hier her verirrt haben sollte. Und nur Bahnhof versteht. Folgendes zur Erklärung: Dies hier ist ein Blog über Musik, Film und Kultur. Wir werden nicht bezahlt für das was wir hier machen. Und wir „Verschwenden unsere Jugend“ tatsächlich immer noch damit, sich leidenschaftlich, subjektiv und reflektierend mit für andere Leute, unwichtigen Kram auseinanderzusetzen. Ich wollte Sie nicht beleidigen! Weder ihren Kleidungsstil, noch das Luftgitarre spielen! Im Gegenteil und ganz ehrlich: Ich freue mich, wenn ich sehe, dass 29.998 Menschen um mich herum stehen und glücklich sind. Glücklich sind über Musik die sie selbst verstehen und offensichtlich etwas damit verbinden. Aber verstehen Sie bitte auch meine Perspektive. Vor 5 Tagen habe ich mir alle Dinosaur Jr. Platten nacheinander angehört! Eben weil ich deren neue Platte Give a Glimpse of What Yer Not für eine der besten Gitarrenalben des neuen Jahrtausends halte und herausfinden möchte, ob man das so sagen darf. Heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit, musste ich mir Dizziy Gillespie Y Machito – Afro Cuban Jazz Moods anhören, weil einer meiner Musikbrüder die gestern Abend erwähnt hatte und ich mich gefragt habe, was ihn wohl daran so begeistert. Gestern Morgen habe ich mir die neuen Platten von Die höchste Eisenbahn und die neue EP von APHEX TWIN angehört, bevor ich nochmalig die neue Family Five Scheibe aufgelegt habe, weil ich so in Vorfreude auf das Konzert in der nächsten Woche im Luxor zu Köln bin. Und da wir gerade dabei sind, der Text hier eh viel zu lang ist, muss ich Peter Hein nochmal zitieren, weil er es wie immer auf den Punkt bringt:
Von den guten Zeiten wird gern viel erzählt / Viele tun so, als hätten sie’s erlebt / Als wüssten sie genau, woran es grade fehlt / Als hätten sie der Zukunft Hebel umgelegt.
Und dann komme ich auch schon zum Ende! Ich will hier keinen belehren, sondern nur meine Gedanken archivieren. Mir macht das halt mehr Spaß, als den Rasen zu mähen oder die Hecke zu schneiden.
…aber auch wenn ich das machen muss! In Trekkingsandalen seht Ihr mich nicht! Und das ist der Punkt! Ein wenig mehr Respekt vor sich selbst zu haben! Ein wenig mehr nur…
Alan Lomax