Menschliches Verhalten
Ich beobachte Menschen gerne.
Menschliches Verhalten fasziniert mich, gerade in nicht alltäglichen Situationen.
Vor einiger Zeit war ich mit der Bahn unterwegs. Etwa 20 min. vor Eintreffen an meinem Zielbahnhof kam eine Ansage durch den Lautsprecher: Am nächsten Bahnhof würde der Zug auf unbestimmte Zeit halten, weil auf der Strecke eine Brücke nicht befahrbar sei, aufgrund eines Oberleitungsschaden. Im (unausgesprochenen) Klartext: Am nächsten Bahnhof ist die Fahrt beendet. Keine Wortmeldungen im Zug, bis auf dass die Mehrheit zu den Smartphones griff, verständlich in einer solchen Situation.
Der Zug hielt und alle Passagieren stiegen aus und zogen (recht gelassen) zum Haupteingang des Bahnhofs einer Kleinstadt, eher eines Dorfes. Keiner wusste so recht, wie es weitergehen sollte. Also war man auf sich selbst angewiesen. Busse hielten dort keine, es stand lediglich ein Taxi am Bahnhof, welches gleich von einigen in Beschlag genommen wurde und davon fuhr.
Ich war gepannt, was jetzt passieren würde.
Würde es zu Solidarisierungen kommen angesichts der Tatsache, dass der Ort, zu dem die meisten wollten lediglich 30 km entfernt war oder würde jeder sich selbst der Nächste sein?
Der Bahnhofsvorplatz wurde unterbrochen durch eine runde Strassenschlaufe, auf der Autos halten und die Reisenden absetzen können. Die Gruppe teilte sich auf. Einige wenige gingen über diese Schlaufe und stellen sich demonstrativ auf die andere Seite, jeder mit deutlichem Abstand zum Nächsten. Die grössere Gruppe stand diesseits der Schlaufe.
Die auf der anderen Seiten waren ausnahmslos Passagiere, die man unter der Kategorie "Geschäftsfrauen" oder "Geschäftsmänner" kategorisieren würde, dies jedoch nur anhand der Kleidung.
Diesseits ein buntes Potpourri aus Studenten, Schülern, Touristen, Pendlern etc.
In dieser grossen Gruppe kommunizierte man nicht untereinander, wie es denn weitergehen würde. Etwa die Hälfte war am telefonieren oder Nachrichten schreiben, die anderen standen in Gruppen herum.
Mir war bewusst, dass die meisten Angehörige oder Freunde kontaktierten, damit sie abgeholt würden.
Dann passierte folgendes:
Die ersten Autos kamen nach und nach an und die Menschen auf der anderen Seite stiegen ein und fuhren davon!
Keiner (!) fragte, ob man denn jemanden mitnehmen könne in die Richtung in die man fahre. Keiner diesseits der Schlaufe ging "über die Grenze" (!) auf die andere Seite um fragen, ob man mitfahren dürfe.
Ich war baff. Es handelte sich um keinen Notfall im eigentlichen Sinne, aber dass nicht einmal gefragt wurde, hat mich sehr überrascht.
Anders auf dieser Seite.
Es hielt ein PKW und der Fahrer stieg aus. Dieses mal ging ein leicht hysterischer männlicher Mitvierziger auf den Fahrer zu und fragte, ob er und seine Familie mitfahren dürften? Nach einer ca. 3-5 min langen Diskussion:
"Geht leider nicht, der Wagen ist defekt und hat Probleme!"
Wenigen Sekunden später stieg eine Frau in das Auto und beide fuhren davon ... .
Von dieser einzelnen Beobachtung einen generalisierenden und allgemeingültigen Rückschluss zu ziehen wäre falsch und streng wissenschaftlich gesehen auch nicht richtig, geschweige denn erlaubt.
Es war wieder einmal aufschlussreich nur zu beobachten, was Menschen tun, wenn sie in Situation wie die oben beschriebene geraten. Wie sich zwei Gruppen bildeten, die sich geografisch von einander trennten und wie die eine von diesen ohne irgendeine Form der Solidarität, nur auf sich bedacht, die Situation bewältigte.
Es war ein warmer Sommertag, laues Lüftchen, Uhrzeit etwa 20:00 Uhr, Freitag, kein Regen.
Aus dem Labor.
Rick Deckard
Bildquelle: www.gutezitate.com