Weekendfest #5 - Köln 20.11.2015
Ein fester Termin in unserer jährlicher Festival- und Konzertplanung ist das Weekendfest, welches nun zum fünften Mal in Köln stattgefunden hat und zum dritten Mal in der Mülheimer Stadthalle. Das Festival ist ein Geschenk an Kölns Menschen die sich enthusiastisch und leidenschaftlich mit unabhängiger Musik auseinandersetzen. Auch in diesem Jahr gab es wieder unglaubliche Überraschungen, alte Legenden und neues, interessantes zu entdecken. Genauso wie man es selbst haben möchte und es sich aussuchen will.
Leider hatte ich in diesem Jahr nur die Kraft für den Festival Freitag. Vielleicht lässt sich ja noch Gastautor Ewing zu einem Bericht für Tag zwei bewegen?
Der erste Tag startete mit einem launigen Fachgespräch zwischen der legendären Postpunkband THE POPGROUP und Prof. Phil Collins. Die alten Recken um Mastermind Mark Stewart hatten viele launigen Geschichten auf Lager. Nicht zuletzt wegen solcher Einfällen der Veranstalter, der merkwürdigen Kongresshalle mit Patina und dem sehr fachlich, versierten Publikum macht sich eine entspannte Seminaratmosphäre breit.
Welche natürlich mit einem Mainstreaming Businessevent wenig zu tun hat, sondern ehr mit fachlich qualifizierter Musik und Publikum.
Der noisige, basslastige Tanz- und Funksound der POPGROUP gibt sozusagen die Keynote für diesen Abend vor, der stark vom stilbildenden On-U Sound Label geprägt bleiben sollte.
Etwas schwierig war allerdings der vorangegangene Auftritt der Ex Dirty Projectors Sängerin Angel Deradoorian, die bestimmt eine interessante Relevanz hat, jedoch von ihrer tollen Stimme und den experimentellen Ansätzen ihrer Musik wenig vermitteln konnte.
Nach diesen zwei recht unterschiedlich dynamischen Auftitten, überzeugten THE NOTWIST mit einem berauschenden Auftritt und stellten klar, wer in Deutschland die Vorzeigeband in Sachen populärer Musik in Distanz zum Mainstream ist.
Irgendwann sagte mal jedmand aus der Band, dass sie nach NEON GOLDEN nur noch verlieren können. Wer die Musik der Band allerdings seit 1989 verfolgt, hätte vermuten können, dass es eben nicht nur die musikalische Ahnung und das ungekünstelte Können der Weilheimer ist, sondern eben auch ihr breites Interesse an Musik aus allen Genren.
Im Jahr 2015 kommt scheinbar alles zusammen, was in der Zwischenzeit aus Metal, Pop, Punk, Elektro, Jazz und Noise gehört und aufgesogen wurde.
Schön zu sehen, nach der regulären Tour, ist die neugewonnene Freiheit der Band. So konzentriert man sich an diesem Abend auf einen interessanten Remix des ebenso tollen Albums THE DEVIL, YOU + ME und des Meilensteins NEON GOLDEN und remixt sich gekonnt selbst.
Der langjährige Freund und stilbildender Mitmusiker Console hat die Band ja leider verlassen. Live macht das allerdings weniger aus, den die derzeitige Touringband um die Archer Brüder (wer nun festes Mitgleid ist oder nicht lässt sich ja kaum noch nachhvollziehen) ist auf jeden Fall auf den Punkt eingespielt und beeindruckt mit unglaublichen Wendungen und einem knackigen Timing.
Das die Komposition und das Arrangement mehr und mehr im Mittelpunkt des Livesets steht und Notwist auch die manchmal sehr mathematisch wirkenden rhythmisch-klanglichen Texturen von Dub-Künstlern nutzen um den formalen Aufbau ihrer komplizieren Spuren zu mixen, hat bestimmt auch der britische Musiker, Labelbeitzer und Produzent Adrian Sherwood gedacht, der die Entwicklung des Dubs maßgeblich beeinflußt hat.
An diesem Abend hat er sich leider mehr für ein klassisches DJ-Set entschieden, welches er nicht von der Bühne steuert, sondern mitten aus dem Konzertsaal, den inzwischen viele Besucher verlassen hatten, weil sie gar nicht mitbekommen hatten, dass dort aufgelegt wurde oder sie einfach die Reverbs und Delays der Bässe nicht schlucken konnten. Auch ich lies mich von den Schlägen der Reggae-Rhythmik erlegen. Die Verräumlichung des Alkohols. Sie verstehen...
Interessant an diesem Abend war der versteckte, heimliche, aber dann das doch strukturell sinnmachende Programm, welches genial kuratiert wurde und letztendlich wie ein gutes Mix-Tape immer in meinem Herzen bleibt. Die Mischung POPGROUP-NOTWIST-SHERWOOD (Sorry, DERADOORIAN und auch Sorry an die Vögel, die ich leider nicht mehr sehen konnte) bleibt für mich charakteristisch hängen, da die Merkmale der drei verschiedenen Gruppen/Musiker grundlegend von der Subtraktion leben und auch THE NOTWIST melancholischen Gesangspassagen ebenso Bruchstückhaft sind wie im Dub-Reggae. Soviel Wahrheit, Schönheit und Inhalte sind kaum zu bezahlen an diesem Abend. Danke also Weekend Fest.
Der Kongress tanzt!
Alan Lomax
Alle Fotos von der Alan Lomax Foundation