Zeitgeschichtliches Forum Leipzig - Eine bewegende Ausstellung der jüngeren Deutschen Geschichte
In der Grimmaischen Strasse 6 im Zentrum befindet sich das "Zeitgeschichtliche Forum Leipzig". Jedem, der sich in dieser wunderschönen Stadt aufhalten sollte, möchte ich an dieser Stelle die Dauerausstellung in der 2. Etage hiermit ausdrücklich empfehlen, auch wenn kein grosses Interesse an Geschichte besteht und die anderen Reize der Stadt zu verlockend sein sollten. Der Eintritt ist umsonst und der Erkenntniswert enorm.
Nach fast 2,5 Stunden verliess ich das Gebäude zutiefst bewegt, v.a. auch deswegen, weil wir alles das, was wir in Freiheit geniessen für selbstverständlich erachten. Gerade einmal etwas über 60 Jahre (!) ist es her, dass mit dem II. Weltkrieg eine der grauenvollsten Epochen der menschlichen Geschichte endete. Das muss man sich einmal vors Auge führen! Von 1945 bis 2012 veränderten Ereignisse mit grosser Wucht nicht nur unser Schicksal, sondern auch das der Generationen vor uns. Und Geschichte wird ständig geschrieben, auch wir sind ein Teil von ihr.
Die Dauerausstellung ist äusserst effektiv und beeindruckend gestaltet. Der Besucher verspürt überhaupt keinen musealen Mief, sondern wird behutsam, wie von imaginärer Hand, durch die vergangenen Jahrzehnte geleitet. Die Beleuchtung, die künstlerische Gestaltung, die Ausstellung der Exponate, das alles wird sehr würdevoll und mit Respekt dargeboten. Zu sehen sind Originaldokumente, Bilder, Poster, Videoinstallationen, Filme und Fotos, die den Betrachter sehr einfühlsam und mit einprägsamen Informationen durch die Ausstellung führen.
Es überkommt einem immer wieder eine Gänsehaut und man ist nicht gefeit vor Tränen. Das liegt v.a. an den vielen Originaldokumenten und Fotos der Nachkriegsgeschichte. Mir wurde deutlich, wie Menschen an der Barbarei des Krieges und auch an den Folgen dieses Krieges über Jahrzehnte hinweg gelitten haben. Auf einem Foto sind beispielsweise Familien mit Kindern zu sehen, die ihr Hab und Gut auf Pferdekarren und Fahrrädern in einer Kolonne durch die Kälte ziehen, nachdem sie von heute auf morgen enteignet und vertrieben wurden. Was mag in ihnen vorgegangen sein? Wie mögen sie gefühlt haben? Was würde ich tun und fühlen, wenn mir das gleiche Schicksal drohen würde?
Man kann auf den Fotos in die Gesichter der Menschen sehen und versuchen all das nachzuvollziehen. Gleich zu Beginn wird man mit einer Zahl konfrontiert, die einen erschüttert, wenn auch ein getöteter Mensch ein Menschenleben zu viel ist: Der II. Weltkrieg forderte 60.000.000 Opfer. In Worten: Sechszig Millionen. Mich liess das erschauern, bedenkt man, dass hier von Sechszig Millionen Einzelschicksalen die Rede ist.
In der weiteren Führung wird die Gründung der DDR und der BRD parallel aufgezeigt, wie verschiedene Weltanschauungen und Systeme aufeinander kollidierten. Zitate von Walter Ulbricht prägen eindrücklich die hinter der Politik stehende Philosophie: "Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben." Nach und nach wurde mir nach der lange zurück liegenden Schulzeit wieder bewusst, was eigentlich in den letzten Jahrzehnten passiert war und mir wurde auch bewusst, wie schnell wir Menschen vergessen und verdrängen, was mit unangenehmen Inhalten besetzt ist.
5 Jahres versus Marshall Plan, Planwirtschaft versus Soziale Marktwirtschaft, Sozialismus versus Demokratie, Freiheit versus Diktatur, die Einführung der D-Mark. Auf der einen Seite entwickelt sich die Bundesrepublik Deutschland auf der anderen die Deutsche Demokratische Republik. Auf der einen Seite kommen die Menschen in den Genuss der Demokratie, auf der anderen Seite werden sie weiter unterdrückt. Die Isolierung und der Boykott West-Berlins, die Einzeichnung der Sektorengrenze und die Teilung Deutschlands, der Bau der Mauer. Auf Fotos und Filmen sieht man, wie Handwerker und Maurer Stein auf Stein legen und damit nicht nur physisch Welten voneinander trennen. Menschen fliehen mit letzter Kraft und ihrem wenigen Hab und Gut in den Westen, Familien werden getrennt. Das alles noch einmal vorgeführt zu bekommen ging einem sehr nahe.
Die Dauerausstellung gemahnt nicht zu vergessen, auch nicht die unzähligen Menschen, die ihr Leben liessen um für Freiheit und Gerechtigkeit zu kämpfen. In einer Ecke der Ausstellung sieht man Fotos von Männern und Frauen, die gegen das diktatorische Regime in der DDR aufbegehrten, nach Moskau deportiert und hingerichtet wurden. Ich empfehle gerade an solchen Stellen der Ausstellung sich Zeit zu nehmen und einmal in die Gesichter der Menschen zu blicken.
Vorbei geht es an den Ereignissen des Mauerbaus vom 13. August 1961 und dem Aufstand des 17. Juni 1953. Stetig wird aufgezeigt, wie von Beginn an die Idee des Sozialismus, des "besseren Deutschland" zum Scheitern verurteilt war. Die Menschen stellten wirtschaftliche und politische Forderungen, die nicht erfüllt werden konnten. Das SED Regime konnte nur mit Sowjetischer Waffengewalt aufrecht erhalten werden.
Die vielen zeitgeschichtlichen Dokumente und Fotos sind sehr aufschlussreich. Auf einem sehr beeindruckenden Bild z.B. (die berühmte "Teppich-Szene") erkennt man Konrad Adenauer auf dem Bonner Petersberg, wie er den Siegermächten gegenüber tritt - schauen Sie sich dieses Bild einmal genauer an, wenn Sie davor stehen:
In einer anderen Ecke kann man einen Brief von Kanzler Helmut Schmidt an Erich Honnecker lesen, die letzterer mit Kommentaren versah. Doch die Ausstellung bietet im Weiteren auch sehr viel mehr. Man erhält auch einen Eindruck davon, wie Menschen in der ehemaligen DDR "lebten", diese Ecken der Ausstellung haben sehr viel Charme und verströmen bei aller Ernsthaftigkeit auch grossen Humor. In einem Regal sind Haushaltsartikel aus den 70'er Jahren zu sehen, an die sich der eine oder andere vielleicht noch erinnern wird.
Im letzten Drittel wird der Weg bis zum Fall der Mauer und der Wiedervereinigung aufgezeigt.
Das zeitgeschichtliche Forum Leipzig fordert auf sehr plastische Weise auf, sich mit Geschichte und Politik auseinander zu setzen und sich Gedanken zu machen. Idealerweise wäre ich gerne mit mehreren Generationen durch die Ausstellung gegangen. Im Gegensatz zu reisserisch gemachten Fernsehsendungen oder Talkshows wird hier Geschichte unmittelbar erlebt und durch die mediale Präsentation fast physisch spürbar.
Geschichte sollte man mit Würde und Respekt entgegentreten und v.a. aus ihr lernen. Nur letzteres scheint dem Menschen immer wieder schwer zu fallen.
Rick Deckard