Woodkid und Kettcar – Auffälligkeiten beim Melt Festival

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  23. Juli 2013, 14:48  -  #Populäre Musik

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Am Samstag hat der ZDF Kultursender die Konzerte der Hamburger Band Kettcar und des in Reims geborenen Superstars Woodkid live übertragen.

Stellen Sie sich nun folgendes vor: 10 Jahre lang hätten Sie keinen Kontakt zur zeitgenössischen Popkultur gehabt. Keine Magazine gelesen, kein Internet, keine Songs gehört, kein Konzert verfolgt. Nichts! Und dann wären Sie an diesem Abend auf diesem tollen Festival gewesen und hätten beide Bands quasi als Headliner des Festivalsamstags gesehen!

Was hätten Sie gedacht? Ich wette,  dass die Phrase „nichts verpasst“ in ihrem Kopf rumgeturnt wäre. Jeder Mensch in Deutschland der sich ein wenig ernsthafter mit Musik beschäftigt wird wohl ein Kettcar Lieblingslied haben. Und wenn es „Landungsbrücken raus“ ist. Irgendeins wird dabei sein. Denn Kettcar sind sympathisch. Sie sind Teil der ewig guten Hamburger Popkultur, authentisch, sympathisch und genießen jede Menge Respekt und Probs aufgrund ihres Verstandes in Richtung Kontexte jeglicher Art. Dabei wirken sie aber manchmal etwas gleich, vielleicht zu wenig subversiv, langweilig möchte man nicht sagen, aber doch durchschnittlich mit großen Momenten.

Der Vergleich mit dem derzeitigen Popphänomen Woodkid hinkt nicht! Zwar ist der DJ und Videoclipregisseur per se etwas mehr arty und vielleicht auch urbaner (aufgrund seiner Herkunft und seiner Internationalität, obwohl Sänger Marcus Wiebusch ja richtig anmerkt, dass Menschen die in Städten mit Hafen wohnen noch Hoffnung haben), musikalisch ist er aber im Grunde genommen ähnlich konservativ und wenig gut musikalisch. Man wird mir das um die Ohren hauen, aber leider ist der Fünkchen Wahrheit gegeben auf dem rumgeritten werden muss. Denn Woodkid’s oftmals pathosschwangere, durchaus zum Orchestrieren geeignete Musik, ist auch epigonisch skeptisch, adaptiv und live manchmal sehr krumm, insbesondere was seine eingeschränkten Gesangsfähigkeiten angeht.

Richtig ist, dass eine Analyse eigentlich keinen Sinn macht, denn beide Acts sind getrieben und getragen vom emotionalen Moment. Es ist schon nachvollziehbar, dass dort die ganzen Hipster und hübschen, offensichtlich intelligenten  Mädchen mit verschlossenen Augen in den ersten Reihen stehen und sich krümmen, weinen, tanzen und bewegt sind. Egal, ob nun bei „Balu“ (Wiebusch: „Die Leute wollen das“) oder bei „Iron“ mit einer waghalsigen Pianobegleitung, eines Keyboarders der definitiv kein Pianist (toll was diese Clavia Nord Electro Teile alles können)  ist.

Warum also mein Argwohn? Nicht falsch verstehen, er ist eigentlich gar nicht groß. Ich habe mehr als einen Kettcar Lieblingslied und fand den Auftritt am Samstag sehr gelungen, weil dort eine Band stand, die sich nicht von irgendwelchen Trends ablenken lässt und eben das macht, was sie gut kann: Sehr gute Texte schreiben, Melodien erfinden, Songs schreiben und diese glaubwürdig und kompakt vortragen. Auch Woodkid hat mich zwei-, drei- Mal gehabt! Obwohl mir diese ganze Kriegsmetaphorik für 15- bis 35-jährige, eines merkwürdigen Hipsters der offensichtlich immer noch in der Adolezenzkriese steckt schon auffallender auf die Nerven geht.

Der Grund warum man einfach nicht so aufgeladen wird, wie dieses zweifellos tolle Publikum auf dem Meltfestival, welches zu hören kann und doch tanzen will, ist, dass man bessere Bands kennt. Die das was Kettcar und Woodkid einfach besser machen. Oder wie kürzlich jemand schrieb, dass die persönlichen Plätze für solche Bands bereits besetzt sind!

Insbesondere bei dem aus dem Nichts kommenden Woodkid mit seinen noch wenigen Songs ist man doch skeptisch, wie viele Festivalsaisons er durchhält, mit seiner schlecht arrangierten Musik, die an Bands wie Archive, Mogwai, Rufus Wainwright, Kasabian/wegen dem Kriegsgetrommel (beliebig erweiterbar) erinnert. Bestimmt im nächsten Jahr, wird er durchstarten. Es wird definitiv Auftritte mit Orchester geben. Es wird auch Nachahmer geben und trotzdem ist alles bereits da gewesen. Und genau hier verlieren beide Acts ihren Reiz. Es ist die ewige Schlichtheit. Die einerseits wunderschön sein kann, andererseits die Anziehungskraft der Popmusik auf Dauer kaputt macht.

Mein Argwohn weicht also ein wenig der Befürchtung, dass auch in diesem Segment der künstlerischen Unterhaltung, die Worte „Genie“, „Meisterwerke“ und „Innovation“ falsch angewendet werden.

Ab hier schließen wir die sympathischen Männer aus Hamburg mal aus, weil sie das nicht sind , ihnen das keiner nachsagt und das auch nicht sein wollen.

Ich muss es am Ende dieses Textes einfach so sagen, damit erst gar keine Missverständnisse entstehen. Und ich will es klar und deutlich formulieren, damit Ihr Bartträger mit dünnen Schuhen, engen Hosen und Jutebeuteln und ihr hübschen Mädchen mit Blumenketten im Haar, viel zu großen Sonnenbrillen und sehr guten Musikgeschmäckern einmal nach hört, bei, z. B. den im Zusammenhang mit Woodkid oft genannten Rufus Wainwright:

Wainwright ist ein Genie. Niemals würde so ein Genie sich mit diesen schlecht arrangierten Bläserarrangements (wie auf dem Melt) zufrieden geben. Rufus Wainwrights Stimme hat zwar nicht die breite Varianz, aber einen stimmlichen Ambitus. Die Band, wie auf dem Melt gesehen, ist sozusagen „Automatic  For The People“ und weitestgehend aus der Overdub-Konserve. Es ist schlau, wie die pathetischen Momente umgesetzt werden, aber es ist Plastik und es ist generisch.

Diese Musik steht nur für den Moment, aber nicht aus einem musikalischen Moment heraus, sondern aus einem akustisch-visuellen Moment. Das kann man so machen! Es ist auch schön, wenn es funktioniert! …und es funktioniert ja auch. Aber es hat kein musikalischen Geist und kein Genie! Und es geht genau um diese Differenzierung in diesem musikalisch verblendeten Zeiten, wo eigentlich ein Jedermann auf die Bühne steigen kann und ganze Orchester zum Klingen bringen kann.

Liebe Kritiker und aufregende Menschen meiner Nachdenklichkeit: Mir geht es nicht um das Diskreditieren, sondern darum, dass Menschen die keine Ahnung vom Musikerzeugen haben, endlich anfangen sich edarüber Gedanken machen, was authentisch ist und was nicht. Und wenn es dann eben nicht musikalisch genial ist die Frage stellen: …warum diese Musik trotzdem eine Magie hat. Soviel Respekt vor dem Handwerk Musik sollte doch bei jedem der sich damit beschäftigt vorhanden sein. Oder?

(Rasierend vor dem Spiegel)

Alan Lomax

Basierend auf einem Artikel auf www.zeit.de http://www.zeit.de/kultur/musik/2013-03/woodkid-the-golden-age

Konzertmitschnitte findet man in der ZDF Mediathek

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