Week-End Festival Köln - Roedelius/Schneider

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  3. Dezember 2011, 14:36  -  #Konzerte

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Wenn man vom genuin deutscher Popmusik spricht, muss man auch immer von elektronischer Musik sprechen. 

Zwei Vertreter, unterschiedlicher Generationen konnte man gestern gemeinsam auf der Bühne des alten Kölner UFA-Palasts auf dem Ring, beim Week-End Festival, im Rahmen des Theaterfestivals GLOBALIZE-COLOGNE 2011 sehen. 

Auf der linken Bühnenseite sitzt die deutsche Elektronik-Legende Hans-Joachim Roedelius, neben ihm steht ein Teil des Trios To Rococo Rot und ehemaliger Kreidlermusiker Stefan Schneider. Hinter den analogen und dialogen Geräten, in dem alten Kino, in konzertanter Atmosphäre, waren die ca. 500 sitzenden Zuhören gezwungen zuzuhören. 

Überhaupt ist das „konzertante Prinzip“ –nach Definition das Wetteifern von Stimmen oder Instrumenten– vielleicht sogar die beste Beschreibung für dieses klangliche und historische Spektakel, das sich gestern Abend abgespielt hat. 

Erst kürzlich wurde ich von Rick Deckard kritisiert, weil ich mir eine anmaßende Haltung über die derzeitige handwerkliche Qualität von zeitgenössischen Musikern erlaubt habe. http://www.lomax-deckard.de/article-fuck-art-let-s-dance-erster-versuch-jahresruckblick-der-lieblingsmusik-2011-89855094-comments.html#anchorComment 

Über solche konstruktiven Hinweise mache ich mir gerne Gedanken. Zeitlich ist das aufwendig, rechtfertigt aber auch die Liebe zur Musik. 

Da ich gleich zur improvisierten Musik komme, wird es noch mal wichtig sein, noch mal meinen Hauptanklagepunkt an die derzeitige Musik zu manifestieren: Der Tonkreis ist eng geworden! „...so stereotyp seine Ausdrucksform, dass es zurzeit nicht ein bekanntes Motiv gibt, auf das nicht ein anderes bekanntes Motiv passte, so dass es zur gleichen Zeit mit dem ersten gespielt werden könnte“. Dieses Zitat von Derek Bailey zum Thema Improvisierte Musik Europas stammt aus den frühen siebziger Jahren. 

Gut also, dass Krautrock und Elektronikpioniere wie Roedelius und Schneider im Jahre 2011 immer noch wie Rebellen wirken. 

Ein Sample ist wie ein Geist! Der Ruf nach den Geistern von gestern – in der Popmusik so alt wie sie selbst – findet im Sampling aus dem digitalen Gedächtnis des Computers seine modernste Entsprechung, eine Geisterbeschwörungsmaschine mit unendlichen Dimensionen, vom Zitatenspuk bis zum Tanz im diffusen Dunkel kaum mehr zu verortender Erinnerungen (aus einem Text über den Köner Technoproduzenten Wolfgang Voigt). 

Vor dem Duo Roedelius/Schneider trat die entspannte Band „High Places“ auf. Strukturierter, eingäniger, schöner Elektropop. Nach den beiden Auftritten, folgte Jochen Diestelmeyer, mit seinen schönen komponierten Songs. Eine interessante, herausfordernde Mischung, insbesondere, wenn man sich wie ich derzeit in einem Gedankenlager zwischen improvisierter und hauptamtlich komponierender Musiker befindet. 

Um es vorwegzunehmen: Der Auftritt des ehemaligen Blumfeldsängers war richtig und wichtig, schön. Es ist also mühsam das ein oder andere Lager zu befürworten. 

„Wenn ein Typ aufhört zu improvisieren und Musik schreiben möchte, früh am Morgen, vor einem breiten Fenster, das den Blick auf einen wunderschönen Park freigibt – ich kann das absolut verstehen, es muss ein wunderbares Leben sein, und nicht nur das. Es gibt keinen besseren Weg, im Musikgeschäft Geld zu verdienen. Es ist eine nette Tätigkeit, vor allem im Winter – aber ich kapiere nicht, warum sie der Improvisation dann noch einen Tritt versetzen müssen.“  (Zitiert nach Thomas Mießgang: Interview mit Derek Bailey. In: Ey Tempore Wien `84. Programmheft der Wieder Musikgalerie 1984) 

Und Deckard hat an diesem Punkt recht: Man sollte den analytischen Blick nicht von Bitterkeit eintrüben lassen! Der gesamte Abend war eine –etwas abgegriffen, aber egal– sinnliche Erfahrung und das Bewusstsein um die Bedeutung individueller bzw. kollektiver Selektion ist mal wieder gestiegen. 

„Klatscht ruhig in die Hände, es ist Hipp! Ich mache es auch! Seht her! Ich bin Hipp, also seid Ihr es auch, klatscht!“ Jochen Diestelmeyer gestern Abend als er verstört festgestellt hat, dass er sich in einer konzertanten Situation befand. 

„Es ist vorbei!“ Hans-Joachim Roedelius, nach seiner letzten gespielten Klavierharmonik, die so schön war, dass es selbst Kollege Schneider nicht wagte, sie zu loopen und das Publikum andächtig, verzaubert und Gedankenversunken abgetaucht war.

Furiose Momente, verstreute Gedanken

Alan Lomax

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