Vermisst - Constantin Costa-Gavras
Für Costa-Gavras ist das Kino stets Mittel zum Zweck. Ein Medium um zu informieren und zu sensibilisieren. Seine Filme waren nie bequem, sind es auch heute nicht und wirken lange nach. So auch der Film 'Missing' aus dem Jahr 1982 mit Jack Lemmon und Sissy Spacek in den Hauptrollen.
Die Handlung spielt zur Zeit des Militärputsches 1973 in Chile, als der Präsident Salvador Allende gestürzt wird und Augusto Pinochet die Macht übernimmt. Inmitten und zu Beginn dieser unruhigen Zeit verschwindet plötzlich der amerikanische Autor Charles Horman (gespielt von John Shea). Nachdem seine Frau (Sissy Spacek) immer wieder auf Barrieren stößt und unzureichende Unterstützung seitens der Machthaber und den vor Ort agierenden Amerikanern erhält, stösst ihr Schwiegervater Ed Horman (Jack Lemmon) hinzu um seinen Sohn zu suchen. Horman ist ein Geschäftsmann aus New York und Anhänger der christlichen Wissenschaft. Gemeinsam versuchen beide den Ehemann und Sohn im Chaos der politischen Unruhen zu finden.
Was den Film sehenswert macht ist die perfekte Verbindung von Anspruch und Unterhaltung. Der Zuschauer ist von Beginn an, ebenso wie die Hauptdarsteller, unwissend und wird nach und nach in die Geschehnisse eingeführt. Es gibt gegen Ende des Films einen bezeichnenden Satz des amerikanischen Konsuls vor Ort der zu Ed Horman sagt, als dieser ihn anklagt nichts unternommen zu haben, "... wenn Sie nicht persönlich betroffen wären, würden Sie sich doch einen Dreck um die Vorkommnisse hier scheren!" So in etwa. Das trifft in gleicher Weise indirekt auch auf den Zuschauer zu. Nun soll man durch die Betrachtung eines Films nicht gleich zum Polit-Aktivisten werden, aber es geht um das Verständnis und die kritische Betrachtung zeitgenössischen politischen Geschehens auf der Welt und hier bezieht der Regisseur klar Stellung. Dass das nicht mit erhobenem Zeigefinger daher kommt gelingt Costa-Gavras eben mit diesem Kniff eine kritische Aussage mit Unterhaltung zu verbinden.
Es ist unübersehbar, v.a. gegen Ende der Handlung, dass die Machenschaften der US-amerikanischen Geheimdienste und ihre Verwicklung in den Putsch 1973 an den Pranger gestellt werden, nicht ohne jedoch auch die Kehrseite der Medaille zu sehen: Welche Mittel sind rechtens um den 'Way Of Life' zu erhalten und ist der Preis den man dafür bezahlt, im Grunde also jeder Bürger, das Ergebnis wert? Wirtschaftspolitische Interessen kollidieren mit moralischen Wertvorstellungen. Ein heikles Thema.
Die Spannung die der Regisseur und die Drehbuchautoren aufbauen ist immens und ungemein fesselnd zugleich. Ohne hektische Wackelkamera, spektakuläre Schnitte oder Special Effects gelingt es Costa-Gavras die Erzählung über Dialoge und Bilder höchst intensiv aufzubauen und aufrecht zu erhalten. Der Zuschauer bleibt jedoch stets Beobachter und wird nicht manipuliert Partei zu ergreifen, auch ein grosser Verdienst.
Neben dieser politischen Ebene wirkt 'Vermisst' aber auch auf einer zweiten, ebenso interessanten, wenn nicht noch beeindruckenderen Ebene: die Beziehung des konservativen Patrioten Ed Horman zu seiner Schwiegertochter Beth. Hier prallen nicht nur zwei Generationen aufeinander, sondern auch zwei vollkommen unterschiedliche Lebensauffassungen und Ideale. Auf der einen Seite der Geschäftsmann von der Upper East Side, verwurzelt im christlichen Gedankengut und Wertkonservatismus, auf der anderen Seite eine junge Frau, die die Welt mit eigenen Augen sehen und erleben will und nicht "durch die Augen der New York Times!"
Dass dieser Spagat gelingt ist den schauspielerischen Leistungen zu verdanken, sowohl der von Sissy Spacek, die die Rolle sehr einfühlsam und glaubwürdig interpretiert, als auch und v.a. Jack Lemmon, der hier eine seiner beeindruckendsten Leistungen zeigt. Er hätte eigentlich einen Eintrag in der Sparte 'Vergessene Helden' verdient gehabt. Lemmon, der v.a. durch seine Zusammenarbeit mit Billy Wilder berühmt wurde und den meisten als Komödiant bekannt sein dürfte, hat durch solche Rollen bewiesen, welche Vielseitigkeit in ihm steckt. Einer der letzten grossen Allrounder Hollywoods.
Es ist wirklich beeindruckend und berührend zugleich, wie Jack Lemmon in diesem Film eine Wandlung durchmacht. Sein Mienenspiel, seine Körpersprache, seine Glaubwürdigkeit sind wirklich zutiefst beeindruckend. Ich war damals begeistert und bin es auch heute noch.
Der griechische Komponist Vangelis schrieb im übrigen die elektronische Musik zu dem Film mit einem sehr schönen Thema.
Liebe Leserinnen und Leser! Wir benutzen unsere Einträge hier selten als Aufforderung oder Aufruf, aber wer wissen will, wie Kino auch abseits von Computer Generated Images, Franchise, Sequels und Prequels auch funktionieren kann, dem sei dieser Film sehr empfohlen. Neben 'Z' des gleichnamigen Regisseurs, 'The Killing Fields' von Roland Joffe, 'Zeuge einer Verschwörung' von Alan J. Pakula, 'JFK' von Oliver Stone und 'I wie Ikarus' von Henri Verneuil ist dies einer der besten Politthriller überhaupt.
Er gehört in jede gut sortierte Filmbibliothek.
Rick Deckard