Vergessene Helden - Rosco Gordon
"Der Blues bietet die Chance, eine der letzten wirklichen ursprünglichen amerikanischen Kunstformen zu feiern, bevor er verschwindet, geschluckt von der Rock'n'Roll-Generation. Hoffentlich schaffen wir es, bevor es zu spät ist". Diese bedenkenswerten Worte, sagt der Regisseur Richard Pearce zu seinem Film "The Road to Memphis".
In dem Film folgt Pearce der musikalischen Odyssee der Blues-Legende B.B. King zurück in die Stadt, die als Geburtsstätte eines, neuen, schnelleren und urban Stils des Blues gilt: Memphis, Tennessee.
Der Film ist aus vielerlei Hinsicht interessant! Zum einen räumt er mit dem Vorurteil auf, dass Memphis die Hauptstadt von Elvis Presley ist. Denn Sam Philips hat nichts anderes gemacht, als die Musik von Rosco Gordon, Little Milton, Howlin Wolf etc. zu nehmen und sie von einem weißen Jungen singen zu lassen. Ein genialer Schachzug, denn die Leute wollten damals diese Musik hören, hatten aber Ängste und Vorbehalte auf Grund des Rassenkonflikts. In den von Philips gegründeten Sun-Studios wurde allerdings respektvoll mit der Musik der Schwarzen umgegangen.
Wieviel Streitpotenzial dieser vielleicht wichtigste Ort der Popmusikgeschichte verbirgt, zeigt dann auch ein kurzer Dialog zwischen Sam Philips (der wirklich nicht gesund aussieht) und Ike Turner (der ein Angeber ist).
Interessant auch zu beobachten, wie konservativ, diese alten Blueslegenden sind und wie wenig Modernes sie in ihrer Musik zulassen.
Einer der Hauptpersonen des neunzig Minuten lagen Filmes ist Rosco Gordon. Seine Karriere als Bluesmusiker begann auf dem einstige musikalischen Hot-Spot, der Beale-Street in Memphis. In den 1960er Jahren zog sich Rosco komplett aus dem Musikgeschäft zurück und arbeitete 20 Jahre in einer Reinigung in New York, bevor 1984 auf die musikalische Bühne zurückkehrte. Natürlich ehr schlecht als recht, den obwohl Gordon einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung vieler musikalischer Stilrichtung hatte, konnte er sich gegen die "moderne" Musik nicht durchsetzen. In Pearce Film sieht man ihn über die heutige Beale-Street schlendern. Ein alter Mann, der zwar sympathisch ist, aber den das Leben vergessen und gezeichnet hat.
Ich habe schon immer ein Nerv für solche Legenden gehabt. Nicht zu letzt weil mich eine kurze Bekanntschaft mit der Blues-Legende Champion Jack Dupree verband, der 1992 in Hannover gestorben ist. Dupree erzählte mir oftmals aus der alten Zeit, lies aber keine Moderne zu. Ja, er wurde im Rahmen seiner feinen charakterlichen Fähigkeiten sogar böse, wenn wir im Gespräch auf Rockmusik kamen.
Rosco Gordon macht einen ähnlichen Eindruck und sagt dann auch, dass die "lauten Gitarren" ihn verrückt machen.
Diese Erkenntnis ist für mich ziemlich sensationell. Da man ja immer denkt, dass man selbst nicht genug tolerant ist und zu wenig Offenheit gegenüber anderen Musikgenres zeigt. Die Erkenntnis das die alten Blues-Legenden konservativ sind und nicht aus ihrem musikalischen Korsett aussteigen können, zeigt Pearce dann auch schmerzlich bei einem Auftritt von Rosco Gordon auf einem Festival.
Dort soll er noch einmal mit Ike Turner, B.B. King, Little Milton spielen. Ike Turner zeigt ihm während der Vorbereitung auf den Auftritt, wie die Klavierbegleitung für den vorzutragenden Song funktioniert. Gordon soll in der Akkordfolge der I. Stufe, den Grundton E verlassen. Gordon hat allergrößte Schwierigkeiten zu verstehen, wie das geht. Ehrlich gesagt ist das schockierend. Denn das gehört wirklich zum ABC der harmonischen Funktion. Aber es zeigt auch zeitgleich, was den echten Blues ausmacht! Gefühl und Soul, nicht Theorie und Können.
In einer späteren Sequenz, sieht man Rosco Gordon, wie er kurz nach dem Auftritt von den Musikern der Begleitband verabschiedet wird. Alles Studiomusiker die ihren Job verstehen. Ehrfürchtig verabschieden sie sich von der Legende und bestätigen ihm, dass es eine Ehre war, mit ihm spielen zu dürfen.
Der Film ist ein ehr ein Essay, als eine bedeutsame musikalische Unterhaltung und somit auch ehr was für Muiknerds. Wer sich mit Blues nicht auskennt, sollte die Finger davon lassen.
Ich komme nämlich mehr und mehr zu dem Ergebnis, dass man den Blues nur spüren kann, ihn aber nicht verstehen wird, wenn man mit rationalen Fragestellungen versucht, zu erklären, was das eigentlich ist;der Blues!
Am Ende des Films sagt Gordon: "Ich finde, ich hätte mehr Aufmerksamkeit verdient". Sechs Wochen später ist Rosco Gordon tot.